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RESSOURCEN/188: "Casper" wäre gegen Meeresbodenbergbau (SB)


Manganknollen haben wichtige Aufgabe im Reproduktionszyklus von Tiefseekraken


Nachdem seine Art womöglich seit Millionen Jahren ungestört am Meeresboden der Tiefsee leben konnte, zieht für "Casper", wie er in den Sozialen Medien genannt wird, und seine flossenlosen Artverwandten eine neue Gefahr auf: Menschen. Deren unstillbarer Hunger nach Rohstoffen ließ sie bereits vor einigen Jahrzehnten Manganknollen vom Tiefseeboden einsammeln, um zu prüfen, ob sich der Abbau lohnt und welche Folgen das für die Tiefseeökologie hat. Vor kurzem hat sich der Eindruck bestätigt, daß ein großmaßstäblicher, industrieller Abbau dieser rohstoffreichen Knollen verheerende Folgen zeitigen könnte. Die neu entdeckte Krakenart Octopoda Incirrina könnte durch Meeresbodenbergbau einen wichtigen Bestandteil ihres Lebensraums verlieren. Wie das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) am Montag berichtete, dienen die Manganknollen den Tiefseekraken unter anderem als Brutstätte. Sie benötigen dieses Hartsubstrat, um in der weichen, nachgiebigen Umgebung ihre Eier auf etwas Festem abzulegen. Dazu nutzen sie offenbar abgestorbene Schwämme, die auf den Manganknollen sitzen. [1]


Weißer, fast transparenter Kraken mit schwarzen Augen auf dem Meeresboden - Foto: © NOAA Office of Ocean Exploration and Research; Hohonu Moana 2016

Erstkontakt mit dem Tiefseekraken "Casper" steht unter keinem guten Stern. Geologische Erkundungen gehen dem Bergbau stets voraus.
Foto: © NOAA Office of Ocean Exploration and Research; Hohonu Moana 2016

In der aktuellen Ausgabe des Journals "Current Biology" [2] stellt eine deutsch-amerikanische Forschergruppe den in den Sozialen Medien "Casper" (nach dem gleichnamigen bleichen Filmgespenst) genannten Tiefseekraken und weitere seiner Art vor. Das nur rund zehn Zentimeter große Tier bewacht vermutlich viele Jahre lang seine Eier auf der Manganknolle, da es über einen sehr langen Reproduktionszyklus verfügt.

Entdeckt wurde "Casper" im Februar dieses Jahres im Zuge der Expedition "Okeanos Explorer 2016" mit Hilfe des US-amerikanischen Tauchroboters Deep Discovery vor der hawaiianischen Necker-Insel in einer Tiefe von 4290 Metern. Rund ein halbes Jahr zuvor hatte eine Expedition des AWI, des GEOMAR, des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie und des Zentrums für Marine Umweltwissenschaften (MARUM) mit dem Forschungsschiff Sonne und dem Tauchroboter ROV Kiel 6000 im Peru-Becken im südöstlichen Pazifik artverwandte Kraken aufgespürt und abgelichtet.

Hintergrund dieser Entdeckungen ist nicht etwa die pure Forscherneugier - wenn man einmal die Existenz solch einer Einstellung wohlwollend unterstellt -, sondern die Absicht, Tiefseebergbau zu betreiben. Die Forschungsarbeiten wurden von der Europäischen Union im Rahmen des Projekts MIDAS (Managing Impacts of Deep-seA reSource exploitation) finanziert. Wie der Name schon sagt, geht es bei dieser Forschung um die Frage, wie die Auswirkungen des Ressourcenabbaus in der Tiefsee gehandhabt werden können. Es geht nicht darum, die Option Tiefseebergbau vom Wunschzettel der Industrie zu streichen. Das geht auch aus den Worten der Meeresbiologin Antje Boetius, Leiterin der Sonne-Expedition in das Peru-Becken, hervor: "Unsere neuen Beobachtungen zeigen, dass wir das Verhalten und die speziellen Anpassungen von Tiefseetieren an ihren Lebensraum kennen müssen, um nachhaltige Schutz- und Nutzkonzepte aufzustellen." [1]

Irgendwelcher Schutzkonzepte bedarf es jedoch grundsätzlich erst dann, wenn eine Bedrohung besteht. So ist schwer vorstellbar, daß die Ergebnisse des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten Projekts "Mining Impact of the Joint Programming Initiative Healthy and Productive Seas and Oceans" (JPIO), in dessen Rahmen das Forschungsschiff in See gestochen war, auf ein Totalverbot des Tiefseebergbaus hinauslaufen könnten. Die primäre Aufgabe der US-Expedition Okeanos Explorer 2016 bestand in der geologischen Untersuchung; die Entdeckung von Lebensgemeinschaften in der Tiefsee war eine Nebenaufgabe. [3]

Sobald es sich ökonomisch rechnet und die erforderlichen Technologien entwickelt sind, wird die Industrie Tiefseebergbau betreiben wollen. Keine prinzipielle, aber sicherlich eine rechtliche Hürde bildet noch das Internationale Seerechtsübereinkommen (UNCLOS), demzufolge der Meeresboden außerhalb der nationalen Jurisdiktion, das "Gebiet" (area), von der Internationalen Meeresbodenbehörde in Kingston, Jamaika, als gemeinsames Erbe der Menschheit verwaltet wird. Unternehmen müssen sich mit Ländern zusammenschließen, um einen Antrag auf Exploration von marinen Ressourcen zu stellen - die Exploitation käme erst anschließend in Frage.

Deutschland zählt zu den weltweit führenden Staaten, die bereits Lizenzen zur Erkundung potentiellen Rohstoffabbaus erteilt bekommen haben. Das dürfte der Steigbügel zur späteren Ausbeutung sein. Keine so hohen Hürden gelten für den Tiefseebergbau, sofern er innerhalb der nationalen Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) stattfindet. [4]

Die Kraken sind nur eine Art von vielen, die auf dem Tiefseeboden, in ihm oder in seiner Nähe leben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden bei weiteren Erkundungen noch viele Arten mehr entdeckt. Der Lebensraum ist extrem empfindlich, eine Störung kann Jahre, Jahrzehnte oder länger anhalten und zum Verlust von Arten führen, die noch niemand zu Gesicht bekommen hat. Beim Meeresbodenbergbau werden Sedimentschwebfahnen entstehen, durch die die Lebensformen auch in weiter entfernten Gebieten geschädigt werden. Keine Frage, "Casper" und seine Artgenossen hätten entschiedene Einwände gegen die Fortsetzung des menschlichen Ressourcenfraßes am Tiefseeboden.


Fußnoten:

[1] https://www.awi.de/nc/ueber-uns/service/presse/pressemeldung/manganknollen-als-brutstaette-fuer-tiefseekraken.html

[2] http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0960982216312866

[3] http://oceanexplorer.noaa.gov/okeanos/explorations/ex1603/logs/mar2/mar2.html

[4] Einzelheiten unter anderem zum UNCLOS, dem Meeresbodenbergbau und der Beteiligung Deutschlands an der Tiefseeforschung finden Sie im Infopool des Schattenblick unter UMWELT → REPORT → BERICHT und UMWELT → REPORT → INTERVIEW, jeweils mit dem kategorischen Titel "Rohstoff maritim" versehen. Beispielsweise hier:
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0050.html

20. Dezember 2016


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