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NACHGEFRAGT/0002: Zum Thema Umweltschädlichkeit oder Toxizität von Agrarchemikalien (SB)


Nachgefragt zu dem Schattenblick-Beitrag

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KOLLATERALSCHADEN/005: Sikkation - ein Grund zu fragen (SB)


Ein Leser des oben genannten Beitrags teilte uns mit, daß er darin irritierende Widersprüche sehe. So würden seiner Meinung nach eingangs Düngemittel in einem Atemzug mit Pestiziden als Schadstoffe verteufelt und ihre besondere Bedrohlichkeit durch den Hinweis auf den Stickstoffaufwand unterstrichen. Dies sei ein klassischer Fall von Unwahrheit durch Halbwahrheit, denn zur Wahrheit gehöre erstens, daß in der Landwirtschaft die Erträge - und damit die Nährstoffentzüge - gewaltig gestiegen seien, und daß die verschiedenen mit Mineraldüngung zu ergänzenden Nährstoffe unbedingt gesondert zu betrachten wären.

Aus diesem Versäumnis korrekter Darstellung, so der Leser, resultiere ein unter dem Punkt "2.2.4. Unvorhergesehene Auswirkungen auf Umwelt und Ressourcen - Fallstudie 2" beschriebener weiterer Widerspruch in Verbindung mit Sorption von Pestiziden im Boden:

"Die Phosphordüngung hat in den letzten Jahren angesichts der zunehmenden Verarmung an Mineralstoffen, allen voran Phosphat, im Boden sehr zugenommen!" (KOLLATERALSCHADEN/005: Sikkation - ein Grund zu fragen
(SB))

Das sei doch ein positiv zu verstehender Hinweis, der die Notwendigkeit der Phosphatdüngung nur belegen könne. Es fehlten jedoch ergänzende Informationen, daß beispielsweise die Phosphatverarmung der Böden (in Deutschland, speziell in Ostdeutschland, aber auch im ehemaligen Ostblock) nicht nur aus den gestiegenen Erträgen, sondern vor allem daraus resultiere, daß die P-Düngung seit der Wende rapide auf einen Bruchteil des früheren Niveaus zurückgegangen sei. Anders gesagt: insbesondere die inzwischen wieder privatisierten Großbetriebe wären auch zum guten alten Raubbau zurückgekehrt!


*


Die hier aufgeführten Kritikpunkte bedeuten im Grunde keinen Widerspruch zu den im SB-Beitrag "Sikkation - Ein Grund zu fragen" aufgeführten Zusammenhängen. Denn die Tatsache, daß durch Ertragssteigerung Mineralstoffverarmung im Boden verursacht wird, was weitere Düngung zur weiteren Ertragssteigerung nach sich zieht usw., bestätigt noch einmal den Teufelskreis für die immer größer werdende Notwendigkeit eines unvermeidlichen Einsatzes von Agrarchemikalien und den dadurch kaum zu verhindernden Raubbau am Boden, wenn es allein darum geht, die Nahrungsversorgung zu sichern. Und das ist ohnehin ein brisantes Problem angesichts der bestehenden Welternährungslage. Das betrifft inzwischen nicht nur die Stickstoff- und Phosphordüngung, sondern sogar Schwefel.

Es sei jedoch bei Interesse noch einmal darauf hingewiesen, daß die Tatsache, daß immer mehr Düngemittel unabdingbar gebraucht und verwendet werden, ebenfalls schwerwiegende Folgen für Umwelt und Boden hat und auch, zumindest für den Verbraucher spürbar, in die Nahrungsmittel gelangt. Der erhöhte Nitrat- bzw. Nitritgehalt in grünen Gemüsen (z.B. Spinat) oder vielleicht noch direkter: der seifig- salzige Geschmack, der sich z.B. beim Verzehr roher Karotten bemerkbar macht, zeugen davon.

Genau dies wird auch im aktuellen Weltagrarbericht an verschiedenen Stellen weit gründlicher und detaillierter besprochen als in den Textstellen, die wir zusammenfassend folgendermaßen in unseren Bericht eingebaut hatten:

Der am 15. April 2008 vom Weltagrarrat (IAASTD) in Paris vorgelegte und von Unesco und Weltbank in Auftrag gegebene Weltagrarbericht, der von etwa 400 Wissenschaftlern aus 60 den Bericht unterzeichnenden Staaten verfaßt wurde und der den offiziell genehmigten, kritischen Konterpart zur praktizierten globalen Landwirtschaft bildet, läßt keinen Zweifel darüber aufkommen, daß der Gebrauch von Agrarchemikalien neben anderen Folgeerscheinungen der Landwirtschaft (wie Bodendegradationen auf mehr als 2 Milliarden Hektar fruchtbarem Land weltweit, Erschöpfung der Einflüsse auf die Qualität von Luft, Wasser und Böden mit sich bringt:

'Pestizide und Düngemittel wirken sich weltweit negativ auf die Qualität von Luft, Böden und Wasserquellen aus. Der Stickstoffaufwand zum Beispiel, der für den Anbau von Nutzpflanzen getrieben wird, hat zwischen 1961 und 1996 gewaltig zugenommen. Die Schwere der geschilderten Konsequenzen ist recht unterschiedlich in den Regionen der Welt. Dabei spielt auch der Zugang zu Kapital eine Rolle. [1, Seite 176]'
(KOLLATERALSCHADEN/005)

Selbstverständlich haben die hier genannten umweltrelevanten Folgen durch Landwirtschaft allgemein, selbst die Verarmung an Nährstoffen im Boden, auch unmittelbar etwas mit dem durchaus notwendigen Einsatz von Düngemitteln zu tun. Man setzt bekanntlich Mineralstoffe u.a. Salze ein, von denen die Pflanzen aber nicht die gesamte Substanz, sondern nur den Phosphat- oder Nitratanteil brauchen. So könnte sich beispielsweise in Kette der Natrium-Gehalt (Natriumionen Na(+)) im Boden oder Grundwasser erhöhen. Das fällt zwar bisher noch nicht weiter ins Gewicht, weil Natriumionen ohnehin in der Natur vorkommen, es verändert jedoch durchaus den normalen Anteil dieses (beispielsweise: blutdrucksteigernden) Stoffes im Wasser.

Daß darüber hinaus durch reichliche Düngung (Überdüngung) der Phosphat- und Nitrateintrag ins Wasser zu Eutrophierung von Oberflächengewässern führen kann und auch gesundheitliche Probleme vor allem für Säuglinge und Kleinkinder mit sich bringen kann, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Denn Trinkwasser, welches zur Aufbereitung von Säuglingsnahrung verwendet wird, darf in Deutschland den Grenzwert von 10 mg/l Nitrat (NO3(-)) nicht überschreiten. Für Erwachsene wurde ein Grenzwert von 50mg/l Nitrat festgelegt. Nitrat wird durch Bakterien in der Mundhöhle in Nitrit umgewandelt, das ins Blut gelangt, wenn wie bei Säuglingen entsprechende Enzyme fehlen, und kann dort zu einer sogenannten Methämoglobinämie (Blausucht) führen. Dabei wird ähnlich wie bei der Vergiftung mit Kohlenmonoxid, in diesem Fall Nitrit statt Sauerstoff an den Blutfarbstoff gebunden. Es kommt zu einer Sauerstoffunterversorgung. Im schlimmsten Fall kann diese bei ausbleibender Behandlung sogar zum Tod führen. Der Tod tritt bei normalem Hämoglobinbestand - zwischen 60 und 80% Met-Hämoglobin (Met- Hb) - infolge innerer Erstickung ein, bei erhöhtem Sauerstoffbedarf und Anämien sogar früher.

Darüber hinaus wurde auch schon ein erhöhtes Risiko, an Eierstock- oder Blasenkrebs zu erkranken, in einer amerikanischen Studie bereits bei einer geringfügigen Zunahme der Nitratkonzentration von 2,5 Milligramm pro Liter Trinkwasser prognostiziert.

Düngemittel stellen also auch für sich gesehen eine gesundheitliche Gefahr dar, wenn sie nicht äußerst sensibel eingesetzt werden. Doch selbst dann verschieben die synthetischen, anorganischen Verbindungen und Salze zwangsläufig das normale Verhältnis der Mineralbestandteile im Boden, so daß sich ein Einfluß auf die Bodenchemie und das Ökosystem nicht ausschließen läßt. Vorstellbar ist eine Art Verseifung bestimmter Humusbestandteile allein durch Natriumionen. Das hätte, wenn auch nur in sehr geringem Ausmaß, schon einen Effekt auf die biologische Vielfalt der Bodenorganismen, ohne daß man dafür die weit gefährlicheren und toxischen Pestizide (Insektizide) bemühen müßte. Darüber hinaus können die Veränderungen der Adsorptionsverhältnisse im Boden nicht nur Stoffe, die sonst gebunden bleiben, freisetzen und sowohl in die Pflanzen als auch ins Grundwasser abwandern lassen (siehe die kompetitive Bindung zum Boden zwischen Phosphat und Glyphosat). Auch das ganze mikrobiologische Ökosystem des Ackerbodens ist davon betroffen, einschließlich der Regenwürmer.

Dies wäre also durchaus ein weiterer Anlaß, sich kritisch mit den fraglos notwendigen Methoden des Agrarchemikalieneinsatzes in der Landwirtschaft zu beschäftigen, da auch hier mit nicht zu übersehender Deutlichkeit klar wird, wie schwer es ist, alle Faktoren, Wechselwirkungen und langfristigen Folgen dieses speziellen Chemieeinsatzes überhaupt zu erfassen.

In unserem Bericht "Sikkation - ein Grund zu fragen" diente der kurze Exkurs in diesen Bereich hauptsächlich zur Verdeutlichung unserer These, daß es fahrlässig sein könnte, unhinterfragt Mittel einzusetzen, auf die unter Umständen ganz verzichtet werden kann.

17. Dezember 2010