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BERICHT/023: Fischfang in der Krise - Diskussion in Kiel (SB)


Fischfang in der Krise - Diskussion in Kiel

"Stoppt die Überfischung" - Diskussionsveranstaltung, Kieler Landtag, 27. August 2012

Die Sorge um eine übermäßige Nutzung der Meeresressourcen durch die Menschen ist nicht neu. Aufgrund erster Anzeichen zurückgehender Fischbestände in der Nordsee und dem Nordostatlantik gründeten bereits 1902 in Kopenhagen die Vertreter Dänemarks, Norwegens, Schwedens, Finnlands, Großbritanniens, Deutschlands, Rußlands und der Niederlanden den International Council for the Exploration of the Sea (ICES), dessen Wissenschaftler heute aufgrund umfangreicher Studien die wichtigsten Empfehlungen für den kommerziellen Fischfang weltweit erstellen. Schon 1936 wurde in London die erste internationale Konferenz zum Thema Überfischung abgehalten. Seit den sechziger Jahren versuchen die Mitgliedsländer der Europäischen Union mittels nationaler Quoten die Fischbestände im Mittelmeer und Nordatlantik zu schonen und sie damit als Nahrungsquelle langfristig zu erhalten.

Blick auf den Landtag Schleswig-Holsteins vom Ufer der Kieler Bucht aus - Foto: © 2012 by Schattenblick

Der Kieler Landtag
Foto: © 2012 by Schattenblick

Doch die frühzeitige Erkenntnis der Problematik hat nur geringfügig deren Verschärfung aufhalten können. Inzwischen gelten die meisten küstennahen Gewässer auf der nördlichen Halbkugel als überfischt, weswegen die großen Fabrikschiffe der Industrienationen heute im Südatlantik, Indischen Ozean und Pazifik unterwegs sind, wo sie dank ihrer überlegenen Technologie unzählige Menschen in diesen Regionen um Nahrung und Lebensunterhalt bringen. Die Folgen sind Piraterie vor Somalia, Flüchtlingsströme auf dem Seeweg von Westafrika nach Europa und Streitereien um Fischereirechte zwischen Indien und Sri Lanka sowie zwischen den Anrainerstaaten des Südchinesischen und des Ostchinesischen Meeres. [1] Man braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen, daß eine Eskalation des Disputs zwischen Japan und China um die Hoheit über das Seegebiet um die Senkaku- bzw. Diaoyu-Inseln hin zur militärischen Auseinandersetzung weiterreichende Folgen als der "Kabeljau-Krieg" zwischen dem Vereinigten Königreich und Island in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts hätte.

Vor diesem Hintergrund sowie anläßlich der Europäischen Fischwochen der Allianz OCEAN 2012 lud am 27. August der Naturschutzbund Deutschland (NABU) in den an der Kieler Bucht gelegenen Landtag Schleswig-Holsteins zur hochinteressanten Diskussionsveranstaltung "Stoppt die Überfischung! Europas Weg zu einer nachhaltigen Fischerei". Es kamen um die 60 Vertreter aus Politik, Fischerei, Behörden- und Verbandswesen, welche die Ausführungen namhafter Experten anhörten, um anschließend mit ihnen Wege zur Verhinderung der sich abzeichnenden Katastrophe - nämlich des völligen Zusammenbruchs der Wildfischerei - zu erörtern.

Zu Beginn der Veranstaltung schilderte Dr. Markus Salomon vom Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) in einem kurzen, aber faktenreichen Vortrag die desolate Lage. Nach jüngsten Zahlen der Welternährungsorganisation FAO und der EU-Kommission sind weltweit rund 30 Prozent der Bestände überfischt, im Nordatlantik liegt der Wert bereits bei 50 Prozent und im Mittelmeer bei über 80 Prozent. Das heißt, die Population verschiedener Fischarten ist durch den kommerziellen Fang dezimiert und kann sich nur schwer bis gar nicht mehr regenerieren. Als Grund nannte Salomon Überkapazitäten bei den Fischereiflotten und zu hohe Fangquoten. Als erschwerende Begleitphänomene der Überfischung machte er Beifang und Rückwurf verschiedener Fischarten sowie die Umweltzerstörung am Meeresboden durch bestimmte Fangtechniken aus. Darüber hinaus sterben immer noch zu viele Vögel und Meeressäuger in den Fischernetzen. Salomon erläuterte bündig die unterschiedlichen Positionen von EU-Parlament, EU-Kommission und SRU, wie das ausgewiesene Ziel eines "nachhaltigen Bestandsmanagements" erreicht werden könnte. Zu den Lösungsansätzen gehören die Absenkung der Fangquoten, der Abbau von Subventionen und damit von Fangkapazitäten und die Einführung eines generellen Rückwurfverbots für alle Fischarten, um das Problem des Beifangs endlich in den Griff zu bekommen.

Dr. Salomon am Stehpult vor interessiertem Publikum - Foto: © 2012 by Schattenblick

Dr. Markus Salomon erläutert die desolate Lage der Weltmeere
Foto: © 2012 by Schattenblick

Auf den Vortrag Salomons folgte eine Podiumsdiskussion unter dem Titel "Überfischung der Meere - Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU: Großer Wurf oder Chance verpaßt?". Zu Beginn stellten die Podiumsteilnehmer, die SPD-Europaabgeordnete Ulrike Rodust, der grüne Umweltminister von Schleswig-Holstein, Dr. Robert Habeck, Kai-Arne Schmidt, Geschäftsführer der Kutterfisch GmbH, der Meeresbiologe Dr. Rainer Froese vom Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung und Dr. Kim Detloff, Referent für Meereschutz im NABU-Bundesverband, ihre Standpunkte dar. Im EU-Parlament nimmt Rodust als Berichterstatterin aktiv an den Bemühungen um eine Reform des GFP teil und zeichnet für dessen Gesetzesentwurf verantwortlich. Mit Nachdruck plädierte sie für die handwerkliche Fischerei und eine Abkehr vom bisherigen Konzentrationsprozeß. Gleichzeitig äußerte sie die Befürchtung, daß die geplante Reform der GFP durch die EU-Kommission aufgrund des Drucks der großen Betriebe mit den Fabrikschiffen verwässert werden könnte. Nur mit Hilfe der Fischer lasse sich das Ziel des maximalen Dauerertrages (Maximum Stable Yield - MSY) erreichen, so Rodust.

Umweltminister Habeck erklärte, die Fischerei präge das Land Schleswig- Holstein, weshalb ihre langfristige Erhaltung absolut erstrebenswert sei. Er meinte im GFP-Reformentwurf keine Nachteile für die Fischer an Nord- und Ostsee zu erkennen. Mit ihnen komme er regelmäßig zusammen und wisse, daß auch sie an einer nachhaltigen Fischerei einschließlich stabilen Preisen und gerechten Fangquoten interessiert sind. Dr. Habeck kritisierte gleichwohl die europäischen Großfischer, die ihr Geschäft auf Kosten der Afrikaner und kleinen Fischer in Europa betrieben. Kai-Arne Schmidt von der Kutterfisch GmbH stimmte dem Minister im Prinzip zu. Er bemängelte jedoch, daß die EU-Behörden in den südeuropäischen Ländern Verstoße gegen die bisherigen Fischereipolitik - Nicht-Einhaltung der nationalen Fangquoten usw. - nicht ahndeten. Die Fischer Schleswig-Holsteins hätten laut Schmidt kein Problem mit dem Ziel MSY, forderten jedoch, daß die beschlossenen Regeln für alle gleichermaßen gelten und angewandt werden müßten.

Der Meeresforscher Froese ging dezidiert auf die wissenschaftlichen Hintergründe des MSY ein. Im Grunde laufe es darauf hinaus, daß man maximal 20 Prozent des Bestandes an der jeweiligen Fischsorte fängt, dafür die anderen 80 Prozent übrig läßt, damit die Population ihre Größe und ihre natürliche Zusammensetzung zwischen einer Minderheit an jungen und einer Mehrheit an geschlechtsreifen Tieren erhalten kann. Das heißt, der Fang muß unterhalb der jährlichen Sterblichkeit bleiben, damit die Bevölkerungsgröße nicht einbricht. Kleinere Fischarten wie der Hering, die größeren als Nahrung dienten, benötigten besonderen Schutz, damit nicht ganze Fischgesellschaften kollabieren, erläuterte Froese. Zudem hob er Probleme wie die Erwärmung und Versauerung der Meere infolge des Klimawandels sowie die Verschmutzung u. a. durch Kunststoffe hervor, die erschwerend zur Überfischung hinzukämen. Unter Verweis auf das Positivbeispiel Neuseeland gab sich Froese überzeugt, daß die europäischen Fischer mehr Fisch und bessere Preise bekämen, würden die EU-Institutionen im Rahmen des GFP das Prinzip des "maximalen Dauerertrags" durchsetzen.

Im Namen von NABU setzte sich Veranstalter Detloff für "sektorübergreifendes Denken" ein. Er erinnerte an die EU-Richtlinien zum Schutz von Vögeln sowie zu Flora und Fauna und meinte, daß nur durch die Zusammenarbeit der Umweltverbände, Behörden und Fischer Deutschland seine Verantwortung für den Erhalt der Ökosysteme an Nord- und Ostsee gerecht werden kann. Gleichwohl vertrat er die These, daß man in Einzelfällen nicht um eine Einschränkung der Fischerei herumkäme, weswegen es seitens Brüssels und Berlins flankierende, positive Anreize für die betroffenen Fischer geben müsse.

Die Podiumsteilnehmer als Gruppe - Foto: © 2012 by Schattenblick

(von links) Kim Detloff, Rainer Froese, Kai-Arne Schmidt, Robert Habeck, Ulrike Rodust und Ingo Ludwichowski
Foto: © 2012 by Schattenblick

Nach den einzelnen Stellungnahmen der Podiumsteilnehmer entbrannte eine lebhafte, mitunter hitzige Debatte um Quoten, Netz- und Schiffsgrößen, Beifang, et cetera. Mehrere anwesende deutsche Fischer meinten, die Politik und die Umweltlobby würden aufgrund zweifelhafter Annahmen und mit immer restriktiveren Vorschriften die Bedingung ihrer Arbeit erschweren und sie um akzeptable Erträge bringen. Sie beklagten sich, daß die deutschen Behörden die EU-Richtlinien rigoros durchsetzten, während vor allem in den südlichen Ländern Europas wie Frankreich und Spanien mit ihren großen Flotten eine nachsichtige Handhabung vorherrsche. Ein älterer Ex-Fischer widersprach dem und meinte, die Vorschriften würden in der Industrie generell, das heißt auch in den deutschen Gewässern, mißachtet und es werde gegen die Richtlinien verstoßen.

Die Beschwerden der deutschen Kleinfischer kann man durchaus nachvollziehen, wenn man sich zum Vergleich vor Augen führt, in welch ungeheurem Ausmaß die Aktivitäten europäischer Gefriertrawler vor der Küste Westafrikas - von der EU subventioniert und gefördert - den Kleinfischern dort die Existenzgrundlage rauben. [2]

Im Laufe der Diskussion wurden auch Einzelheiten zur Sprache gebracht, die in der allgemeinen Berichterstattung nicht so oft genannt werden. Es wurde eine Episode aus dem Sommer 2011 vor den Faröer Inseln geschildert, als es fast zu einer blutigen Schießerei zwischen EU-Fischern und der Besatzung eines russischen Fabrikschiffs kam. In diesem Zusammenhang wurde ein stärkerer außenpolitischer Einsatz von Brüssel und Berlin gefordert, um Nicht-EU-Staaten wie Rußland für ein gemeinsames Vorgehen in der Fischereipolitik zu gewinnen. Eine Besucherin der Kieler Veranstaltung prangerte die Tatsache an, daß kleine wildlebende Fische gefangen werden, um als Fischmehl an größeren Fischen wie Lachs in den Fischfarmen der sogenannten Aquakultur verfüttert zu werden. Sie verlangte, daß dieser Praxis ein Ende gemacht wird.

Nach fast zwei Stunden läutete Moderator Ingo Ludwichowski, Landesgeschäftsführer des NABU, das Ende der Diskussion ein und bedankte sich bei allen Teilnehmern herzlich. Bei Imbiß und Getränken fand unmittelbar darauf ein sogenannter "Ausklang" statt. Man kann nur hoffen, daß in diesem Rahmen ein gewisses Aufeinanderzugehen stattfand, denn die Diskussion war stark dadurch gekennzeichnet, daß die verschiedenen Personen fast ausschließlich die eigene Position bzw. diejenige ihrer Berufsgruppe oder ihres Interessenverbandes vertraten. Die geringschätzende Haltung der Fischer gegenüber den Umweltschützern war deutlich zu spüren. Für die Fehlentwicklungen in der Fischereipolitik macht die eine Seite die andere verantwortlich. Hinzu kam eine etwas oberflächliche Kritik an den Zuständen in der nationalen und internationalen Fischerei, als wolle man die handfesten wirtschaftlichen Interessen, die zur Überfischung geführt haben und weiterhin führen, nicht beim Namen nennen.

Ein Hinweis auf die unterentwickelte Kritikfähigkeit findet sich in dem von Ulrike Rodust mitverfaßten "Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gemeinsame Fischereipolitik". Darin heißt es gleich zu Beginn, die Überfischung wäre "ein klassisches Beispiel für die 'Tragödie des Gemeinguts'. Dabei handelt es sich um ein Phänomen, daß eine für viele Nutzer frei zugängliche Ressource zum Schaden aller übernutzt wird." [3]

Spricht man von der "Tragödie des Gemeinguts" bedient man sich einer leichtfertigen, wenngleich allgemein akzeptierten Diffamierung früherer kleinräumiger Gesellschaftsformen, um sich mit der Wirklichkeit der heute herrschenden kapitalistischen Verwertungsprozesse nicht auseinandersetzen zu müssen. Doch die US-amerikanische Wissenschaftlerin Elinor Ostrom hat in ihren Arbeiten das Vorurteil der Moderne gegenüber den angeblich unproduktiven Gemeingütern früherer Epochen als eine eigenwillige Fehldeutung enthüllt, wofür sie 2009 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt.

Fußnoten:
1. David Michel & Russell Sticklor, "Plenty of Fish in the Sea? Food Security in the Indian Ocean", TheDiplomat.com, 24. August 2012

2. "Fischerboote im Netz", www.german-foreign-policy.com, 3. September 2012

3. http://www.spd-net-sh.de/rodust/images/user_pages/
Arbeitsdokument_GFP_1_de.pdf

Bug eines Zweimasters mit Kränen der Werft Thyssen-Krupp im Hintergrund - Foto: © 2012 by Schattenblick

Landeshauptstadt Kiel - vom Maritimen geprägt
Foto: © 2012 by Schattenblick

7. September 2012