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BERICHT/066: Zukunft der Meere - Vermüllung und der verdrängte Rest (SB)


Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See
Tagung im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen am 7. Dezember 2013

Die unendliche und kuriose Geschichte einer Plastiktüte im Meer



Wer schön brav seine Kurtaxe zahlt, ebenso folgsam den Sandstrand an Nord- und Ostseeküsten nicht außerhalb der Saison, außerhalb der Kurzonen und schon gar nicht außerhalb der inoffiziellen Öffnungszeiten frühmorgens um fünf betritt, für den mag die Welt "am Meeresrand" noch ganz in Ordnung scheinen. Denn dafür hätten dann kurz zuvor freiwillige oder gedungene Aufräumkräfte gesorgt, die jeden Tag all das von den Stränden sammeln, was dort nicht hingehört, meinte Meeresschutzexperte Dr. Kim Cornelius Detloff. Gemeint sind Plastiktüten, Eimer, Fischkisten und Glühbirnen, Joghurtbecher, Badelatschen, Plastikschnüre und Fangleinen, Fetzen von Fischernetzen, Auftriebskörper und Bretter, die verstreut im Sand liegen, der selbst bereits zu drei Prozent aus "Plastiksediment" (das heißt durch die Scherkräfte des Meeres zerkleinerte und gerundete Kunststoffkügelchen) besteht. Dieses Bild erwartet den, der sich außerhalb der Badesaison oder nach einem Sturm an die Küste verirrt.

Dr. Detloff war von den Veranstaltern der Tagung "Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See" im Konsul-Hackfeld-Haus am 7. Dezember 2013 [1] eingeladen worden, etwas zum Thema "Plastikmüll und seine Auswirkungen auf die Ökosysteme der Ozeane" zu sagen. Im Rahmen der thematischen Schwerpunkte der Tagung [2] bekam dieses oft vernachlässigte, sichtlich verdrängte, aber keineswegs neue Problem ein vielleicht nicht ganz unbeabsichtigtes Gewicht. Angesichts der unvorstellbaren Müllmengen fragt man sich, ob die Vorschläge des WBGU oder seine nur als Vision für einen nachhaltigen Umgang mit den zahlreichen Meeresressourcen angedachten Änderungen am internationalen Seerecht nicht nur viel zu kurz greifen, sondern bereits von den Entwicklungen überholt worden sind. Die Menschheit scheint ihrem Erbe schon längst einen neuen Wertstoff hinzugefügt zu haben mit unausbleiblichen Folgen: 120 bis 140 Millionen Tonnen (also mindestens 150 bis 200 Milliarden volle große Müllsäcke) nahezu unverrottbares Plastik in unterschiedlichen Qualitäten vagabundieren auf den Ozeanen. Wie viel Meer ist denn überhaupt noch vorhanden? Und wie lange überleben die umwelt- und wirtschaftspolitisch umkämpften "Lebendressourcen" in ihrer plastifizierten Meeresumwelt überhaupt noch?

Der unmanipulierte Mageninhalt des Kadavers eines Albatros-Kükens, aufgenommen im 'Midway Atoll National Wildlife Refuge' im Pazifik, enthält zahlreiche Plastikteile des Meeresmülls, den ihm seine Eltern verfüttert haben. - Foto: 2009 by U.S. Fish and Wildlife Service Headquarters via Wikimedia Commons als CC-BY-2.0 Generic Lizenz

Plastik macht schlank. Einige Bewohner des Ökosystems Meer lassen sich nicht auf Kunststoffsurrogat 'umstellen'.
Zwei von fünf Küken der Laysanalbatrosse verhungern oder sterben daran.
Foto: 2009 by U.S. Fish and Wildlife Service Headquarters via Wikimedia Commons als CC-BY-2.0 Generic Lizenz

Bereits 1997 schätzte die National Academy of Science in den USA den jährlichen Eintrag an Kunststoffen in die Ozeane auf rund 6,4 Millionen Tonnen. Laut Kim Detloff haben wir es heute mit mindestens der zwanzigfachen Menge zu tun. Aufgrund der heterogenen Verteilung und der globalen Meeresströmungssysteme sind absolute Zahlen äußerst schwer zu schätzen. Denn der treibende Meeresmüll ist ständig in Bewegung und daher kaum zu fassen. Erschwerend kommt dazu, daß der Abfall auf vielen Wegen ins Meer gelangt. Der größte Teil (etwa 80 Prozent) stammt vom Land. Müll wird mit Abwässern über Flüsse ins Meer gespült oder von Mülldeponien ins Wasser geweht. Ein großer Teil ist auch dem Freizeitverhalten zuzurechnen. So lassen gerade in der "zivilisierten Welt" Badegäste vielerorts ihre Abfälle immer noch achtlos am Strand liegen. Auf diese Weise werden laut Dr. Detloff die jährlich neuen Einträge ins Meer auf etwa 10 Millionen Tonnen Abfälle geschätzt, von denen 75 Prozent aus Kunststoffen bestehen.

Weitere Eintragswege stellen die Seeschifffahrt und die Fischerei dar. Letztere macht mit ihren Fischernetzen, Fangkörben, Leinen, Tampen, Auftriebskörpern usw. etwa 10 Prozent des jährlichen Eintrages aus. Das MARPOL-Abkommen der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation IMO soll das Entsorgen von Plastikabfällen auf See untersagen [3], aber fehlende Kontrollen und Sanktionen sowie eine teils ineffektive Abfallentsorgung in den Häfen führen dazu, daß viele Reeder und Kapitäne sich nicht an die Vorgaben halten.

Darüber hinaus sind alle Arbeitsgebiete des Menschen auf See wie Offshore-Anlagen oder Plattformen für die Förderung von Erdgas, Erdöl oder nachhaltigen Energieformen (Wind- oder Sonne), potentielle Müllquellen.

Ergänzend sei hier erwähnt, daß eine einzelne Plastikflasche im leeren Zustand nur etwa 30 Gramm auf die Waage bringt und Plastik mit einer Dichte von höchstens 2,2 Gramm pro Kubikzentimeter nur etwa halb so schwer wie Porzellan, Glas oder Leichtmetalle ist. Für einen Laien ist das hinter dem mit Millionen Tonnen angegebene Volumen des Plastikmülls kaum vorstellbar. Eine Tonne Müll läßt sich etwa in 12.000 großen Müllsäcken forttragen. Gemessen am Alter der Welt scheint es geradezu erstaunlich, daß der Mensch all das in nur etwa 75 Jahren, seit der Erfindung von Nylon nämlich, erzeugen konnte. Inzwischen gibt es zahllose Kunststoffqualitäten, die in vielen Anwendungsbereichen Naturstoffe, teilweise wegen ihrer verbesserten Eigenschaften, teilweise auch, um wertvolle Ressourcen wie Metalle zu schonen, vollständig verdrängt oder ersetzt haben.

Vielen, die beim Einkaufen bereits auf Plastiktüten verzichten, aber Mayonnaise doch lieber in der billigeren Plastikverpackung und nicht im Glas kaufen, ist nicht unbedingt klar, daß sich auch das Ökosystem Meer auf einen zunehmenden Ersatz seiner durch Meerwasser, Salz und Sand (bzw. Silizium und Sauerstoff) bestimmten Umgebung durch immer größere Mengen an kohlenstoffdominierten Plastikmüll ein- und umstellen muß. Denn Plastik vergeht und zerfällt nicht bzw. wenn, dann nur sehr, sehr langsam.


Ist-Zustand kaum abzuschätzen

Kim Detloff beschrieb das Ausmaß der Meeresvermüllung als heute schon so groß, daß das Umweltprogramm der Vereinten Nationen von etwa 18.000 Plastikteilchen in unterschiedlicher Größe auf jedem Quadratkilometer der Meeresoberfläche ausgeht. Andere Quellen wie der erste, 2010 erschienene World Ocean Review sprechen von unterschiedlichen Mengen in verschiedenen Küstengebieten:

Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass die Müllmenge in verschiedenen Meeresgebieten unterschiedlich groß ist. In vielen Bereichen zählten die Forscher zwischen 0 und 10 Plastikteilen pro Quadratkilometer. Im Ärmelkanal waren es zwischen 10 und 100 Teilen. In den Küstengewässern Indonesiens schließlich wurden je Quadratmeter 4 Müllteile gemessen - ein Vielfaches des Durchschnittswerts. [4]

Da es für diese Zahlen - wie sich im Verlauf der Darstellungen auf der Bremer Tagung ergab - keine standardisierte Erfassung gibt, ist ein Vergleich und somit eine genaue Abschätzung des Plastikanteils in den Meeren kaum möglich. Denn es ist schon ein Unterschied, ob, wie in der Ärmelkanal-Studie, nur vorbeischwimmende Teile gezählt werden oder man die Wasseroberfläche mit feinmaschigen Netzen abfischt und deren Inhalt dann auswertet.

Die von Kim Detloff beschriebenen Erfassungsmethoden stellen seiner Ansicht nach noch kein systematisches, geschweige denn ausreichend flächendeckendes Monitoring dar. Mal ergeben sich Daten aus Schleppnetz-Untersuchungen des AWI. Mal gibt es im Zuge des Meeresschutzübereinkommens OSPAR [5] ein recht genaues Monitoring-System für die Nordseeküste, mit dem aber keine anderen Gebiete auf die gleiche Weise erfaßt werden. OSPAR verfolgt das Müllproblem in der Nordsee seit mindestens 10 Jahren und hält derzeit 236 Müllteile pro 100 Meter Küste fest. An der Ostsee wurden inzwischen durch NABU Treibgut-Zählungen auf Rügen und Fehmarn ähnliche Müllvergleichsmengen registriert: 90 Teile pro 100 Meter in Fehmarn und 300 pro 100 Meter auf Rügen, bei denen alle Teile ab 5 Millimeter erfaßt wurden. Die sich hieraus ergebenden Anhaltspunkte reichen jedoch aus, um den weltweiten Zustand der Ozeane als eine gewaltige Plastikmülldeponie zu beschreiben.

Gezeigt werden haufenweise Plastikflaschen und anderer, an den Strand gespülter Unrat am Ufer des Roten Meeres. - Foto: by Vberger / Wikimedia Commons als Public Domain

Alles, was man sieht, ist nur die Spitze des Eisbergs.
Drei Prozent der Sandkörner an den Stränden sind Plastikkügelchen, Tendenz steigend.
Foto: by Vberger / Wikimedia Commons als Public Domain

Einflüsse von Wind und Meeresströmungen treiben den langlebigen Müll bis an entfernte Strände unbewohnter Inseln oder konzentrieren ihn, wie bereits 1997 von Forschern entdeckt und beschrieben wurde, in gewaltigen Müllwirbeln in der Mitte der Ozeane. Dort rotieren Wassermengen in mehreren hundert Kilometern breiten Meeresdriftströmungswirbeln, durch gleichmäßige Winde angetrieben. Mit ihnen kreist der Müll, ergänzt von neuen Zuträgen aus den Randbereichen des Wirbels, wie über dem geöffneten Abfluß einer gigantischen Badewanne, nur daß hier nichts entsorgt wird. Den angeblich größten Müllflecken, den "Great Pacific Garbage Patch", hat man in der Mitte des Nordpazifikwirbels ausgemacht. Er akkumuliert den Müll von Japan, den USA und Hawaii und nimmt inzwischen die Fläche von zweimal Texas oder Mitteleuropa ein. [6]

So weit noch von jeder Zivilisation entfernt, konnten die Wissenschaftler eine Mülldichte von fast einer Millionen Plastikteile auf einem Quadratkilometer nachweisen. Allerdings wurden hier auch sehr kleine Plastikbruchstücke gezählt, die mit feinmaschigen Netzen aus dem Wasser gefischt wurden.

Die Grafik zeigt die Meeresdriftströmungswirbel im Nordatlantik, Südatlantik, Nordpazifik, Südpazifik und dem Indischen Ozean. - Grafik: by NOAA / Wikimedia Commons als Public Domain

Endstation des Plastikmülls:
In jedem der Weltmeere sammelt sich ein Müllfleck in der Mitte, der immer größer wird.
Grafik: by NOAA / Wikimedia Commons als Public Domain

Kapitän Charles Moore [7] von der Algalita Marine Research Foundation hat anhand von Planktonproben im Bereich des Great Pacific Garbage Patch sechsmal mehr Plastik als Plankton im Wasser gefunden. Das sind alarmierende Befunde, denn Kunststoff gehört nun mal nicht zu der "natürlichen" Lebensumgebung der Meereswelt.

Kim Detloff hält all das, was man bereits sehen und messen kann, nur für die Spitze des Eisberges. Auch bei einer Dichte von nur 2,2 Gramm pro Kubikzentimeter ist Kunststoff schwerer als Wasser. 70 Prozent des Plastikmülls landen irgendwann auf dem Meeresboden. 15 Prozent treiben einen längeren Zeitraum an der Wasseroberfläche und in den oberen Wasserschichten und weitere 15 Prozent werden an die Küsten gespült. [8] Das stellt die jeweiligen Ökosysteme auf eine gewaltige Belastungs- und Anpassungsprobe. Ob die prozentuale Aufteilung die realen Verhältnisse trifft und welche Müllmengen sich dahinter verbergen, wird allerdings durch die noch mangelhaften Erfassungsmethoden und Monitoringsysteme in Frage gestellt, auf die Kim Detloff später noch zu sprechen kam.

Hier nicht erwähnt wurde jedoch die je nach Kunststoff-Material unterschiedlich eingeschätzte Lebensdauer des Mülls im Meer. So soll eine Plastiktüte ein bis 20 Jahre brauchen, bis sie im Meer zerfallen ist. Sixpack-Ringe gibt man Lebensdauern von 400 Jahren (doppelt so lange wie sich eine Aluminiumdose hält), Einwegwindeln und Plastikflaschen gibt man 450 Jahre, Angelschnüren und Netzen dagegen sogar 600. Auf welcher Grundlage solche Hochrechnungen beruhen, da der Zerfall des ersten vollsynthetischen Kunststoffs, nämlich Nylon, erst seit seinem Produktionsbeginn 1938 beobachtet werden kann, sei dahingestellt. Es könnte also auch mehr oder weniger sein.


Ökologische Auswirkungen

Abgesehen von dem dadurch gestörten, ästhetischen Empfinden sind die Folgen einer zunehmend mit Plastikteilen durchsetzten Umwelt für die Tierwelt dramatisch. Relativ bekannt sind die häufigen "Unfälle mit Todesfolge", die schätzungsweise laut Detloff 130 bis 140 marine Tierarten regelmäßig erleiden, wenn sie sich an im Meer entsorgten Leinenresten, Netzabfällen oder Sixpack-Ringen direkt strangulieren oder sich "nur" darin verfangen, dadurch immobilisiert werden und ertrinken.

Weniger hört man von ähnlichen Vorgängen, die mit aus dem Meer gewonnenen Plastikabfällen an Land passieren. Viele Seevögel sind nämlich inzwischen dazu übergegangen, Treibgut und Fundstücke wie aufgedrehte blaue, grüne oder rote Leinenreste oder Netze anstelle natürlicher Nistmaterialien zum Auspolstern ihrer Felsnischen zu verwenden. Vor allem Jungtieren werden diese Fallstricke bei ihren ersten Streck- und Dehnübungen zum Verhängnis.

Basstölpel-Kolonie in Felsen auf Helgoland. Früher bauten sie ihre Nester aus Tang und Seegräsern. Hier wird der Kadaver eines Jungtiers gezeigt, das sich bei ersten Flugübungen stranguliert hat - Foto: 2011 by Engelberger via Wikimedia Commons als CC-BY-3.0 Unported Lizenz

Gefangen im eigenen Nest.
Strangulation durch Geisternetze oder Nistmaterial aus Plastikabfall sind die Todesursache von 30 Prozent aller totgefundenen Basstölpelnküken (Morus bassanus).
Foto: 2011 by Engelberger via Wikimedia Commons als CC-BY-3.0 Unported Lizenz

Wie qualvoll der Tod aber für jene Meeresvögel und Meeresbewohner ist, die Plastikabfälle mit ihrer eigentlichen Nahrung verwechseln, mag sich derjenige, der seinen Joghurtbecher als harmloses "Schiffchen" auf einem Priel ins offene Meer segeln läßt, nicht vorstellen. Albatrosse, wußte Kim Detloff zu erzählen, würden beispielsweise auf der Jagd nach Tintenfischen, Krebsen oder kleinen Fischen nahe der Oberfläche alle möglichen treibenden Gegenstände aufgreifen und - typisch für Seevögel - sofort herunterschlingen. Sie sterben entweder an inneren Verletzungen durch die den Magen oder Darm perforierenden scharfkantigen Plastikteile oder sie verhungern, da ihnen die Füllung aus Styropor, Gummi und Plastikfolie nur ein Sättigungsgefühl vorgaukelt, ohne daß sie tatsächlich substantiell etwas zu verdauen hätten. Auch bei anderen Seevögeln wie dem Eissturmvogel in der Nordsee sieht man dieses Phänomen oder bei Meeresschildkröten, die dünne Plastiktüten mit ihren bevorzugten Leckerbissen, Quallen, verwechseln. Erst vor kurzem machte in den Medien die unglaubliche Geschichte eines dreizehn Meter langer Pottwals die Runde, der an die niederländische Küste gespült wurde und den Magen voller Plastikmüll hatte [9], ergänzte der Referent seinen Ausflug durch die Fallstricke der Müll-Sonderdeponie Meer.


Subtile Schadstoffverstecke

Der Meeresschutzexperte ließ aber auch die nur selten wahrgenommene, subtile Gefahr nicht unerwähnt, die im Chemieprodukt "Plastik" verborgen ist. Denn neben dem vernetzten und strukturbildenen Kohlenwasserstoffgerüst bestehen Kunststoffe wie PVC, Polyethylen, Polyester, PET, Plexiglas, Nylon, Teflon usw. zu einem nicht unerheblichen Teil aus Weichmachern (30 Prozent), Füllstoffen (30 Prozent), Hilfsstoffen (5 Prozent), Farbstoffen (2 Prozent), Hitzestabilisatoren (2 Prozent), Gleitmitteln (0,5 Prozent), Fließmitteln (1 Prozent), Schaumbildnern (1 Prozent), Biostabilisatoren (1 Prozent), antistatisch wirksamen Stoffen (1 Prozent) [10] oder flammhemmenden Substanzen, die teilweise aus der Produktion stammen oder dem Stoff selbst zusätzliche Eigenschaften verleihen. Hinter diesen verbergen sich ganze Gruppen unterschiedlichster, chemischer Substanzen, die mehr oder weniger toxisch für die Umwelt sind. Kim Detloff nannte hier vor allem Stoffe wie Styrole, Bisphenol A und Phtalate (Weichmacher), die bereits vom Verbraucherschutz an Land wahrgenommen und deren Vorkommen in manchen Produkten wie Infusionsschläuchen für die künstliche Ernährung, Schraubverschlüssen für Lebensmittelgläser oder in Babyschnullern kritisiert wird.

Diese Stoffe sitzen praktisch zwischen den Polymerfasern des Kunststoffs und "laugen" zwangsläufig aus, wenn Plastikmüll den physikalischen und chemischen Verwitterungskräften von Wellen, Salzwasser und Sonnenstrahlung ausgesetzt ist. Während sie ins Meer diffundieren, zerfallen die Kunstststoffe zunehmend in winzig kleine Plastikteilchen, das sogenannte Mikroplastik.

Mikroplastik ist ein Thema für sich, mit unberechenbaren Folgen für das marine Ökosystem, das Naturwissenschaftlern wie -schützern gleichermaßen große Sorgen bereitet. Kunststoffteilchen unterhalb von fünf Millimetern (die nach heutiger Definition gültige Bemessungsgrenze) lassen sich heute weltweit vielerorts im Wasser, in Sänden und im Sediment am Meeresboden nachweisen.

Laut dem World Ocean Review [4] werden 20 bis 50 Mikrometer kleine Kunststoffpartikel (was in etwa dem Durchmesser eines Haares entspricht) von Meeresorganismen wie Muscheln aus dem Wasser gefiltert. In Experimenten wurde gezeigt, daß sich Mikroplastik nicht nur im Magen von Schalentieren, sondern auch im Gewebe und sogar in der Körperflüssigkeit anreichert. Geraten die Plastikteilchen in noch kleineren Maßstäben ins Meer (in jüngeren Studien werden auch Nanoteilchen erwähnt), so können bekanntermaßen (wie bei Nanoröhrchen und "Buckyballs" beschrieben) harmlose Materialien plötzlich fischtoxische oder nervenschädigende Eigenschaften erlangen.

Neben dem indirekten Eintrag über die Verwitterung gibt es jedoch auch einen direkten Eintrag von Mikroplastik in Form der sogenannten Preproduction Pellets (die Ausgangsstoffe der Kunsststoffindustrie).

Darüber hinaus würden im Abwasser von Waschmaschinen nach jedem Waschgang etwa 2.000 Textilfasern gefunden, die zum Teil auch zu den synthetischen Mikromaterialien gezählt werden müssen (Fleecestoffe oder Gortex).

Detloff nannte hier als Quelle zur weiteren Information die internationale Kampagne "Beat the microbeads", der sich auch der NABU angeschlossen hat. [11] Weitere direkte Einträge lassen sich auf Kosmetikprodukte wie Peelings, Massageperlen, Duschgele sowie Zahnpasten zurückführen, in denen sich kugelförmige Mikroplastikpartikel finden lassen, die dort zur Durchblutungsförderung, zum Abrieb oder zum Abschilfern als Hilfsstoff enthalten sind, da sie äußerlich angewendet nicht schaden. Da nichts davon abgebaut wird und eine Filterung derzeit in Klärwerken noch nicht möglich ist, gelangt das Mikroplastik aus den Haushalten ungehindert und unbemerkt ins Meer.

Welche Konsequenzen das für die Lebewesen hat, ob die Akkumulation von Mikroplastik zur Vergiftung von Meerestieren und über die Nahrungskette möglicherweise auch des Menschen führen könnte, ist laut Kim Detloff noch ebensowenig erforscht, wie die subtile Gefahr, die über die gleichen Wege von den chemischen Additiven ausgehen könnte.

Eine weitere "unangenehme", genauer gesagt, adsorbierende Wirkung der Plastikpartikel sei vor kurzem von japanischen Wissenschaftlern herausgefunden und veröffentlicht worden. Im Meerwasser gelöste, langlebige organische Schadstoffe oder POPs (persistent organic pollutants), darunter hierzulande längst verbotene, aber in der Umwelt immer noch persistierende Schädlingsbekämpfungsmittel wie DDT und Lindan, Industriechemikalien wie polychlorierte Biphenyle (PCB) oder Nebenprodukte, die bei der industriellen Fertigung oder bei Verbrennungsprozessen entstehen, wie Dioxine, docken sich vorzugsweise an der Oberfläche von Kunststoffen an, so daß sie sich in einer Hunderttausend- bis millionenfachen Konzentration im Vergleich zum Meerwasser auf Plastikoberflächen nachweisen lassen. Da derartige Stoffe sehr stabil und somit nur schwer abbaubar sind, können sie auf ihren "Plastikflößen" große Entfernungen durch das Meer zurücklegen, unkontrolliert zwischen Feststoff und Medium diffundieren und sich so in der Umwelt anreichern.

Problematisch ist, daß POPs im Fettgewebe oder in Organen von Lebewesen gespeichert werden. Dort können sie toxische Wirkungen entfalten. Sie greifen beispielsweise in den Hormonhaushalt ein, lösen Krebs aus, verändern das Erbgut oder schwächen das Immunsystem.

Da auch Kunststoffe langlebig sind, drängte sich, möglicherweise nicht unbeabsichtigt vom Referenten, an dieser Stelle dem interessierten Tagungsbesucher gewissermaßen die Vorstellung einer "unheiligen Dreifaltigkeit" aus Gift, Transportmittel und potentiellem oberflächenvergrößerten Mikroplastikformat (je kleiner das Teilchen, um so größer im Verhältnis seine Oberfläche und damit Andockmöglichkeiten) auf, wenn er angesichts der Müllmassierung überhaupt noch so weit denken konnte. Tatsächlich würden dadurch vielleicht manche unerklärliche Phänomene von Schadstoffauswirkungen und Funden in Tieren, die damit eigentlich nicht in Berührung kommen dürften, geradezu plausibel nachvollziehbar.

So wurden im World Ocean Review verschiedene Auswirkungen von POPs auf Meeressäuger untersucht, die sich danach vielleicht bereits auf die veränderten Nahrungsgrundlagen der Tiere zurückführen lassen könnten.

Bei Ringel- und Kegelrobben aus der Ostsee wurden Verengungen und Tumoren in der Gebärmutter festgestellt, die zu einer Abnahme der Geburtenrate führten. Weiterhin wurden Darmgeschwüre sowie eine Abnahme der Knochendichte und damit Veränderungen am Skelettsystem beobachtet. Bei Seehunden und Schweinswalen fand man Hinweise darauf, dass POPs das Immunsystem und das Hormonsystem schwächen. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang auch, ob diese Schadstoffe und die Schwächung des Immunsystems einen Einfluss auf die Ausbreitung von Epidemien haben - beispielsweise das Seehundsterben in der Nordsee in den Jahren 1988 und 2002, das vermutlich durch eine epidemieartige Verbreitung des Hundestaupe-Erregers ausgelöst wurde. [4]
Ein Ammenhai wurde auf die Felsen von Jamaika gespült, nachdem er eine beträchtliche Menge eines Fischernetzes heruntergeschluckt hatte. - Foto: © 2008 by Aaron O'Dea/Marine Photobank

Nahrungsverwechslung mit sichtbaren Folgen.
Wesentlich unspektakulärer, aber unausweichlich wird Mikroplastik in die Nahrungskette integriert.
Foto: © 2008 by Aaron O'Dea/Marine Photobank


Gesunde Meere bis 2020 nur ein Ideal

Was gesunde Meere als existentielle Voraussetzung für das Klima und den Erhalt einer tierischen und pflanzlichen Artenvielfalt bedeuten, wird nicht erst heute diskutiert. Bereits die Biodiversitäts- Konvention von 1992 (Convention on Biological Diversity - CBD) und später in weiteren Abkommen wie OSPAR (Abkommen zum Schutz des Nordost-Atlantiks), HELCOM (Abkommen zum Schutz der Ostsee) und TWSC (Trilaterale Kooperation zum Schutz des Wattenmeers) wurde eine gesunde Meeresumwelt gefordert, ohne erkennbare umweltpolitische Konsequenzen im Sinne des Meeresschutzes nach sich zu ziehen.

Kim Detloff sieht in der 2008 in Brüssel verabschiedeten Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie von 2008 (2008/56/EG; MSRL) das erste Umweltgesetz, das zumindest den Anspruch erhebt, trotz wachsendem Nutzungsdruck durch Fischerei, Schifffahrt, Agrarwirtschaft, Energieindustrie und den damit verbundenen Abfall- und Schadstoffeinträgen den Meeresschutz zu garantieren und sich dem Dilemma der aktuellen Verschmutzung zu stellen. [12] Die europäische Meerespolitik habe sich das hehre, aber auch abstrakte Ziel gesetzt, die Meeresgebiete Europas bis 2020 in einen "guten ökologischen Umweltzustand" (GES - Good Environmental Status [13]) zurück zu versetzen. Daß die Frage, wie ein guter Umweltzustand allerdings aussehen soll, jedes Land für sich selbst entscheidet, wurde hier nicht erwähnt. Die sich daraus ergebende Auslegungsspannbreite spricht eigentlich für sich. Daß heute, sechs Jahre danach, das Gesamtausmaß des Problems noch nicht geklärt, geschweige denn entsprechende Lösungsmaßnahmen dafür erarbeitet worden wären, läßt keine guten Prognosen zu.

Deutschland legte als erstes Mitgliedsland im Oktober 2011 seine vorerst drei Berichte (Reports) vor. Anhand von elf sogenannten Deskriptoren, die man in drei Jahren entworfen hat, läßt sich darin ablesen, daß die deutsche Nord- und Ostsee in keinem guten ökologischen Zustand und zunehmenden Belastungen ausgesetzt sind. Deskriptor 10 beschreibt die Abfallproblematik und fordert, daß 2020 die "Eigenschaften und Mengen der Abfälle im Meer keine schädlichen Auswirkungen auf die Küsten- und Meeresumwelt mehr haben dürfen".

Um diesen "Soll-Wert" zu erreichen, bleiben somit noch weitere sechs Jahre, wenn man heute damit beginnt. Laut Kim Detloff wurde 2011 die Task Group 10 etabliert, in der inzwischen mehr als 40 Wissenschaftler, NGO-Vertreter und auch er selbst entsprechende Indikatoren zur Erfassung der Abfallmengen oder auch nur Trends ("Monitoring Tool-Box" MS) erarbeiten, standardisierte Protokolle (für die Erfassung über die Monitoringbereiche Spülsaum, Wassersäule, Schleppnetz-Trawls oder Bioindikatoren) entwickeln und schließlich eine "Roadmap GES" (Plan, um den guten ökologischen Zustand zu erreichen) festlegen wollen. Das heißt, für den geplanten "Frühjahrsputz" wird immer noch sondiert, was alles aufgeräumt und beseitigt werden soll. Den Ist-Wert, den Realzustand des Meeres, beziehungsweise das gesamte Ausmaß des Problems, kennt man noch nicht. Er läßt sich auch nicht in allen Aspekten beschreiben, weil die Forschung in vielen Bereichen noch fehlt. Übertragen auf einen Haushalt hieße das, man fegt den Boden nicht, weil die Staubmenge erst ermittelt werden muß. Dazu müßte man ihn aber fegen....

Die Krabbenfischer Carsten Noormann (l) und Stefan Luitjens bringen gesammelten Müll aus der Nordsee zum Container am Hafen in Norddeich. - Foto: NABU

Nur ein Tropfen auf dem heißen Stein der Müllbeseitigung. Aber wichtiger 'Beifang' für die Erforschung der Eintragswege.
Foto: NABU


Praktisches Aufräumen bleibt reine Kosmetik

Eine tatsächlich strukturierte Müllbeseitigung scheint es den Ausführungen des Referenten zufolge in der Praxis nicht zu geben. Die bisher von Umweltorganisationen und NGOs unternommenen, engagierten Schritte in diese Richtung wirken dagegen hilflos und unkoordiniert. Der NABU, der auch durch Arbeit in internationalen und nationalen Fachgremien, durch Partnerschaften mit Wassersportlern und durch politische Lobbyarbeit auf diese Diskrepanz aufmerksam macht, unterstützt mit dem Projekt "Meere ohne Plastik" pragmatische Aktionen wie den jährlichen "International Coastal Cleanup Day" oder "Fishing for Litter" [14], mit denen durch das Sammeln von Meeresmüll vor allem die Zivilgesellschaft auf das Problem aufmerksam gemacht und Material für die weitere Erforschung des Mülls generiert werden soll. Letzteres dient vor allem dazu, die Eintragswege zurückzuverfolgen und die eigentlichen Quellen zu schließen. Das hat neben den ökologischen Zielen auch wirtschaftliche Gründe, denn der Meeresmüll verursacht handfeste Kosten: Allein bei der Reinigung des fast sieben Kilometer langen Westerländer Badestrands auf Sylt fallen täglich bis zu zwei Tonnen Müll an, das entspricht jährlich circa 23.000 Müllsäcken. In Ostholstein entstehen jährlich Kosten zwischen 750.000 und 1,2 Millionen Euro. Nur in der Nordsee befinden sich schätzungsweise 600.000 Kubikmeter Müll auf und im Meeresboden.

Auf der Tagung 'Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See' am 7. Dezember 2013 in Bremen - Foto: © 2014 by Schattenblick

'Aufräumaktionen sind reine Kosmetik - Vorsorge ist wichtiger als Nachsorge.' - Meeresschutzexperte (NABU) Dr. Kim Detloff.
Foto: © 2014 by Schattenblick


Keine Bankrotterklärung

Im Bereich der Umweltpolitik gibt es laut Detloff durchaus Ansätze, die sich mit dem Problem befassen. Er nannte das UNEP Partnership Agreement 2013, das zu einer besseren Vernetzung der Institutionen führen soll, regionale Meeresschutzabkommen wie OSPAR (Nordsee und Nordostatlantik) und HELCOM (Ostsee) mit ihren Arbeitsgruppen und Workshops wären Vorreiter im Rahmen der UN Regional Seas Conventions.

Auch in Europa gäbe es unterschiedlichste Initiativen und Diskussionsstränge, die verfolgt werden, wie das Grünbuch der EU zum Umgang mit Plastikabfällen, das ein separates Kapitel und einen Fragenkatalog zur Problematik "Müll im Meer" enhält, oder die EU-Konsultation zum Plastiktütenverbot, mit dem man erstmalig handlungsfähig sei, die dünnen Gemüsebeutelchen aus den Supermärkten zu verbannen.

Berlin Marine Litter Conference April 2013 habe einen ersten Schritt über die bloße Zustandserfassung hinaus gemacht, indem sie erstmals nach quantitativen Zielen für einen guten ökologischen Zustand der Meere gefragt habe und wie die Maßnahmen im Meer und an Land aussehen sollten. Daraus sei in einem 10 Punkte Papier "the message from Berlin" hervorgegangen. Bei genauerer Betrachtung werden darin in zehn Punkten der schlechte ökologische Zustand der Meere und bestehende internationale Übereinkommen und Direktiven bestätigt und unterstützt, sowie ein Austausch von Daten, besseres Networking und eine bessere internationale Standardisierung, Koordination und Harmonisierung vorgeschlagen. Nichts Neues also.


Die Rolle der Abfall- und Kreislaufwirtschaft

Tatsächlich gibt Detloff direkten Plänen, das Meer vom Müll zu befreien, keine Chance. Müllbeseitigung im Sinne von flächendeckendem Abschöpfen oder Auflösen würde immer auch den Meeresbewohnern und der Meeresumwelt schaden, weil es den Einsatz mechanischer Geräte oder Chemie erfordern würde. Um beispielsweise das besonders gefährliche Mikroplastik abzufischen, braucht man Netze mit einer Maschengröße von wenigen Millimetern, in denen sich das Plankton verfängt. Daran würde letztlich auch der Denkanstoß scheitern, den Dr. Onno Groß [1] im Anschluß zur Diskussion stellte, das Müllproblem möglicherweise noch in Nutzen zu verkehren, indem man den Kohlenstoffgehalt der Kunststoffteile chemisch in Treibstoff umwandelt. Der Aufwand an Energie, die man dafür braucht, überstiege den möglichen Gewinn bei weitem, von dem Schaden für die Umwelt einmal abgesehen.

Ein Skorpionfisch scheint die Plastiktüte am Meeresboden als Versteck und Tarnung zu verwenden. - Foto: © 2007 by Balazs Doczy/Marine Photobank

Die endlose und kuriose Geschichte einer Plastiktüte im Meer.
Eine radikale Müllbeseitigung könnte den Meeresbewohnern mehr schaden als nutzen.
Foto: © 2007 by Balazs Doczy/Marine Photobank

Konzepte, die chemischen Kunststoffverbindungen für die Energie- oder Treibstoffproduktion oder als Rohstoff für neue Produkte zurückzugewinnen, das heißt, sie zu recyclen, gäbe es schon viele, aber der Wertkreislauf sollte geschlossen werden, ehe man den Müll in die Umwelt entsorgt. Da 80 Prozent des Mülls auf dem Festland erzeugt werden, sieht Kim Detloff, der viel persönliche Energie in nationale und internationale Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit steckt, die größte Chance für eine Verbesserung der ökologischen Meeresumwelt in einer verstärkten RePolitik, der Vermeidung von Verpackungsmaterialien und im verantwortlichen Verbraucherverhalten und Konsumverzicht jedes einzelnen.

Da besonders der erfolgversprechendste und attraktivste Teil, nämlich Plastik zu vermeiden, schon ein grundsätzliches gesellschaftliches Umdenken voraussetzen würde, bei dem Menschen - konsequent weitergedacht - ihre Lebensweise von Grund auf in Frage stellen und revidieren müßten, begibt sich dieser Ansatz auf Kollisionskurs zum politischen Trend.

Offensichtlich hinkt die Task Group 10 mit der Erfassung der momentanten Meeresumweltsituation dem Zeitplan hinterher und das theoretische Ziel, das Meer tatsächlich bis 2020 in einen ökologisch vertretbaren Zustand zu bringen oder auch die im Sinne des UNEP zu entwickelnden Müllvermeidungs- und Müllmanagmentpläne scheinen noch Ideale zu sein, an deren Realisation niemand wirklich glaubt, so daß die ambitionierten grünen oder grün-ökonomischen Ansätze nicht mehr zu werden versprechen als viele andere Feigenblattprojekte der Zivilgesellschaft. Selbst das Aufrechterhalten des Status Quo scheint ausgesprochen fraglich, die Zukunft der Meeresbewohner ungewiß.

Daß man auf Plastikmüll, seinen Zerfall in der Wasserwelt und allen damit verbundenen Implikationen [15] gerade in letzter Zeit immer wieder mit der Nase stößt, macht allerdings auch nachdenklich. Das massive und irreversible Meeresmüllproblem könnte vielleicht in der europäischen Umweltpolitik-Diskussion um den gemeinschaftlichen Besitz des Meeres und die Nutzung seiner Ressourcen zum Anschauungsobjekt und Paradebeispiel allgemein bisher mangelnder Risiken- und Gefahrenvorsorge den Standpunkt für das Vorsorgeprinzip stärken. Doch dann offensichtlich nur, um die zahlreichen, sehr viel gravierenderen und ebenso irreversiblen Probleme zu verwässern, die den Vorrang der Wirtschaftsinteressen in der globalen Gemeinschaft noch viel augenfälliger dokumentieren wie die Verteilung großer Mengen an Erdöl mittels Dispersionsmitteln wie Corexit oder den ungebremsten Eintrag radioaktiver Isotope durch die Kernkraftindustrie, wie er derzeit in Fukushima geschieht.

Seehundwelpe in einer verlorengegangenen Anglerausrüstung gefangen - Foto: © by Steve Whitford 2004/Marine Photobank

Angelschnüre und Geisternetze können Meeresbewohnern noch in 600 Jahren zum Verhängnis werden und doch sind sie nur ein kleiner Teil des Verschmutzungs- und Vergiftungsproblems.
Foto: © by Steve Whitford 2004/Marine Photobank


Fußnoten

[1] Weitere Berichte und Interviews zur Bremer Tagung finden Sie unter:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

INFOPOOL → UMWELT → REPORT

BERICHT/062: Zukunft der Meere - Tiefsee in Not (SB)
Unendliche Weiten? Immer weniger Lebensraum für die Meeresbewohner!
BERICHT/063: Zukunft der Meere ... und machet sie euch untertan ... (Genesis, Kap. 1, Vers 28) (SB)
Das WBGU-Gutachten "Welt im Wandel - Menschheitserbe Meer" - Befreiung vom Raubbau oder dessen Fortsetzung?
BERICHT/064: Zukunft der Meere - Welterbe, Weltbesitz (SB)
Zum Vortrag von Dr. Christoph Spehr über "Die Weltmeere, ein Gemeingut mit Zukunft?"
BERICHT/065: Zukunft der Meere - Küstenkriege (SB) Westafrika - im Brennpunkt der Ausbeutung

INTERVIEW/069: Zukunft der Meere - Pflichten des Fortschritts? (SB)
Dr. Onno Groß im Gespräch
INTERVIEW/070: Zukunft der Meere - Menschheitsrecht und Menschenpflicht, Michael Stadermann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/071: Zukunft der Meere - Schlafende Hunde, Prof. Dr. Alexander Proelß im Gespräch (SB)
INTERVIEW/072: Zukunft der Meere - Widerspruch und Taktik, Uwe Johannsen im Gespräch (SB)
INTERVIEW/073: Zukunft der Meere - Nachzubessernde Gerechtigkeit? Dr. Christoph Spehr im Gespräch (SB)
INTERVIEW/074: Zukunft der Meere - Erhalt und Gebrauch, Jürgen Maier im Gespräch (SB)
INTERVIEW/075: Zukunft der Meere - Ausgebootet, Francisco Mari im Gespräch (SB)
INTERVIEW/076: Zukunft der Meere - Menschheitserbe, fair geteilt? Kai Kaschinski im Gespräch (SB)

[2] Thematische Schwerpunkte der Tagung: das aktuelle Gutachten "Welt im Wandel - Menschheitserbe Meer" und die darin formulierten Handlungsempfehlungen des "Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltveränderungen" (WBGU), sowie die nach Rio+20 von der "AG Meere" des "Forums Umwelt und Entwicklung" (FUE) entwickelten meerespolitischen Forderungen zur internationalen Debatte über "Ziele nachhaltiger Entwicklung"

[3] MARPOL (marine pollution) ist das weltweit geltende Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (International Convention for the Prevention of Marine Pollution from Ships) vom 2.11.1973. Das Vertragswerk besteht aus dem eigentlichen Übereinkommen, zwei Protokollen und sechs Anlagen. Das Übereinkommen enthält allgemeine Regeln, wie die Begriffsbestimmungen und die Festlegung des Anwendungsbereiches. Die Anlagen I bis VI des Übereinkommens regeln die verschiedenen Arten von Verschmutzungen im Zusammenhang mit dem Schiffsbetrieb. Es dient dem Schutz der Meere. Die Aufgaben des Sekretariats nimmt die International Maritime Organization (IMO) wahr.
http://www.bsh.de/de/Meeresdaten/Umweltschutz/MARPOL_Umweltuebereinkommen/

[4] Der World Ocean Review ist als Download erhältlich:
http://www.bioreef.de/wissenswertes/world-ocean-review/

[5] OSPAR: steht für Oslo und Paris, in denen die Vorläuferkonventionen (OSCOM über die Verklappung und PARCOM zu gefährlichen Stoffen aus Festlandquellen) verhandelt wurden, und ist ein völkerrechtlicher Vertrag zum Schutz der Nordsee und des Nordostatlantiks.

[6] Filme zum great pacific garbage patch:
http://www.algalita.org/media-center/index.php

[7] Näheres über Kapitän Charles Moore
http://www.algalita.org/about-us/bios/charles.html

[8] http://www.ikzm-d.de/main.php?page=116,2836

[9] Auf der niederländischen Insel Tershelling ist im November 2013 ein gestrandeter Wal verendet. Der 13,5 Meter lange Pottwal konnte nicht mehr gerettet werden. Die Todesursache waren 59 verschiedene Plastikteile mit einem Gesamtgewicht von 17 Kilogramm, die das Tier verschluckt hatte. Die meisten Teile stammten von Plastik-Abdeckungen, die für Gewächshäuser in den Niederlanden verwendet werden. Dort werden vor allem Tomaten für den europäischen Markt angebaut.

Im März 2013 wurde in Spanien ein zehn Meter langer toter Wal an den Strand gespült. Auch in seinem Magen waren zahlreiche verschiedene Plastikteile gefunden worden. Das meiste Plastik stammte von Gewächshäusern aus Almeria und Grenada. Todesursache war Darmversagen. Bereits 1989 wurde in einem toten Wal in Italien massenhaft Plastik gefunden. Todesursache war Magenverstopfung.

[10] Die Angaben in Klammern sind aus der Tabelle 6-2. Gebräuchliche Zusatzstoffe für PVC entnommen.Quelle: John Emsley, Parfüm, Portwein, PVC... - Chemie im Alltag, Wiley-VCH 1997, Zusatzstoffe für PVC und deren Gefahren, Seite 162

[11] Die Kampagne "Beat the Microbead" informiert über Produkte, die Mikroplastik in die Umwelt transportieren:
http://www.beatthemicrobead.org/de/

[12] Präambel der EG-Meeresstrategie Rahmenrichtlinie (MSRL):
"Die Meeresumwelt ist ein kostbares Erbe, das geschützt, erhalten und - wo durchführbar - wiederhergestellt werden muß, mit dem obersten Ziel, die biologische Vielfalt zu bewahren und vielfältige und dynamische Ozeane und Meere."

[13] GES (Good Environmental Status - guter ökologischer Umweltzustand) der EU-Meeresgewässer bis 2020

GES ist der Umweltzustand, den Meeresgewässer aufweisen, bei denen es sich um ökologisch vielfältige und dynamische Ozeane und Meere handelt, die im Rahmen ihrer jeweiligen Besonderheiten sauber, gesund und produktiv sind und deren Meeresumwelt auf nachhaltigem Niveau genutzt wird, so daß die Nutzungs- und Betätigungsmöglichkeiten der gegenwärtigen und der zukünftigen Generationen erhalten bleiben. (Art 3(5) MSRL).

[14] Mehr über das NABU-Projekt Meere ohne Plastik finden Sie hier:
http://www.nabu.de/themen/meere/plastik/projekt/index.html
http://www.nabu.de/themen/meere/plastik/fishingforlitter/

[15] In einer der aktuellsten Meldungen zum Thema am 16. Januar 2013 warnten Trinkwasserexperten im Deutschlandfunk vor Nanopartikeln und Mikroplastik im Bodensee
http://www.dlf.de/b.697.de.html?dram:article_id=274651

20. Januar 2014