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BERICHT/077: Kohle, Gifte, Emissionen - Industrie vor Menschenrecht, Teil 1 (SB)


Licht für die Metropolen - Asche für den Rest

Ortsbegehung im Braunkohleabbaugebiet Garzweiler am 25. Mai 2014


Kohlekraftwerk beim Garzweiler Tagebau - Foto: © 2014 by Schattenblick

Wohlstandsbrand für postapokalyptische Zeiten
Foto: © 2014 by Schattenblick

Der Braunkohletagebau Garzweiler wird von der RWE Power AG - bis 2003 der RWE Rheinbraun AG - im Rheinischen Braunkohlerevier in Nordrhein-Westfalen betrieben. Entstanden ist Garzweiler 1983 durch den Zusammenschluß der Abbaufelder Frimmersdorf-Süd und Frimmersdorf-West. Das Abbaggern erfolgt in den beiden Abschnitten Garzweiler I und II. Garzweiler I betrifft ein Gebiet von 66 Quadratkilometern östlich der ehemaligen Trasse der Autobahn A 44, während das seit acht Jahren von den Baggerschaufeln in Angriff genommene Anschlußfeld Garzweiler II westlich davon liegt und etwa 48 Quadratkilometer umfaßt. Mehrere Ortschaften, die auf dem Gebiet der Grube Garzweiler I lagen, sind längst verschwunden. Weitere Dörfer und Weiler, deren Einwohner bereits weitgehend umgesiedelt wurden, müssen Garzweiler II weichen. In den nächsten 30 Jahren sollen dort jährlich bis zu 45 Millionen Tonnen Kohle gefördert und zur Stromgewinnung in den Kraftwerken Frimmersdorf und Neurath verfeuert werden.

Um zu erkunden, welche Auswirkungen die durch den Braunkohletagebau angerichtete Zerstörung menschlicher Siedlungen und Kulturlandschaften haben, besuchten zwei Redakteure des Schattenblicks das Gebiet des Braunkohletagebaus Garzweiler.

Garzweiler Loch, dahinter Dampfsäule des Kohlekraftwerks - Foto: © 2014 by Schattenblick

Ausschlachtung der verwundeten Erde
Foto: © 2014 by Schattenblick

Garzweiler I - Abgründe der fossilen Energiegewinnung

Eine schwindelerregende Tiefe gähnt hinauf, wenn man von der RWE-Aussichtsplattform südlich von Jüchen auf die Sohle der Grube im Braunkohletagebau Garzweiler I hinunterschaut. Sosehr man sich auch anstrengt, die Dimensionen wollen sich dem Auge nicht erschließen. Es fehlt schlichtweg der Maßstab für die Raumkoordinaten. So bleibt nur der Eindruck eines gewaltigen Erdlochs, an dessen Rändern sich der Abraum in abgestuften Terrassen bis schier zum Horizont hin auftürmt. Wie ein Krater auf dem Mond kommt es einem vor, wären da nicht die Absetzer und Schaufelradbagger, die sich unermüdlich in die Erde hineinfräsen und durch Sedimentschichten nach und nach bis zum Kohleflöz durchwühlen.

Von hier oben nimmt sich der 220 Meter lange Schaufelradbagger mit einer Höhe von 75 Metern und einem Gewicht von 13.000 Tonnen wie ein Spielzeug in einem Kinderzimmer aus. Erst wenn der Blick auf den bereitstehenden Laster fällt, wird einem der Größenunterschied richtig bewußt. Und man begreift, daß das, was dort unten selbst an den Wochenenden in geradezu beängstigendem Tempo Sand und Sedimente freischaufelt, nichts anderes darstellt als den Inbegriff menschlicher Ressourcenausbeutung, eine seelenlose Maschine, deren Zweck und einzige Funktionalität das Zerstören über lange Erdzeitalter gewachsener Strukturen ist.

Die Mittagssonne schickt ihre Glut weit hinunter in die Schluchten des gigantischen Erdlochs, während heiße Lüfte Wildkräuter wie Wegerich, Löwenzahn und Disteln umwehen, die sich an den Steilwänden der Außenkippen vor dem Fall in den Abgrund festklammern. Millionen Kubikmeter sind hier über die Jahre abgetragen worden und haben eine erschreckend trostlose Ödnis hinterlassen. Was einst Wälder, kultivierte Landschaften und menschliche Siedlungen waren, ist unter der gleißenden Helle der Sanddünen und Abraumhalden erinnerungslos verschwunden. Daß Menschen an diesem Flecken über Jahrhunderte gelebt, die Ernte eingeholt, ein Handwerk betrieben, gelacht, geweint und Feste gefeiert haben, entzieht sich der Vorstellungskraft. Menschen hinterlassen Spuren und die Zeiten überdauernde Zeugnisse, doch dieser Flecken erweckt den fatalen Eindruck einer Wüste ohne Leben. Selbst der Wind weiß nichts mehr davon, daß sie hier einst des nachts in ihren Häusern im Beisein der Familienangehörigen das Tagewerk und all die Dinge besprochen hatten, die am nächsten Morgen noch erledigt werden mußten, vielleicht auch Träumen nachhingen oder Pläne schmiedeten für die Zukunft. Was ist von alledem geblieben? Nur Staub, der über Abraumpisten verweht und die aus der Erde freigesetzten Schadstoffe in die umliegenden Städte trägt.

Schaufelradbagger und Absetzer - Foto: © 2014 by Schattenblick Schaufelradbagger und Absetzer - Foto: © 2014 by Schattenblick


Schaufelradbagger und Absetzer - Foto: © 2014 by Schattenblick Schaufelradbagger und Absetzer - Foto: © 2014 by Schattenblick

Großtechnik des fossilen Kapitalismus im Einsatz
Fotos: © 2014 by Schattenblick

Hier im Braunkohletagebau Garzweiler I werden sich die Bagger solange in die Erde schaufeln, wie sich der Abbau der Kohle rentiert, und dann weiterziehen. Energiegiganten wie RWE in Nordrhein-Westfalen und Vattenfall in Brandenburg kennen kein Pardon, wenn es um Profite geht. Und Braunkohle hat Konjunktur und wirft satte Gewinne ab, auch wenn der Planet unter den Abgasen und Dampfwolken der umliegenden Kraftwerke, deren CO2-Ausstoß sie zu den nachhaltigsten Katalysatoren des Klimawandels macht, ächzt und Millionen Menschen in entfernten Weltregionen schlimmsten Umweltkatastrophen ausgesetzt werden.

Die Bagger im Rheinischen Braunkohlerevier werden sich weiter in die Erde fressen. So ist es beschlossen, seit die Landesregierung NRW den Braunkohleplan am 31. März 1995 genehmigte. Die Landkarte verzeichnet das nächste westlich der A44 gelegene Abbaugebiet, dessen Kohlevorkommen aus dem Tertiär weitere Wälder, fruchtbare Ackerflächen und natürlich auch menschliche Besiedlung geopfert werden. Garzweiler II wird wahrscheinlich bis 2045 abgebaggert werden und bis dahin ein Dutzend Ortschaften unter sich begraben. Über 7000 Menschen werden ihre Geburtshäuser, sozialen Kontakte und ihre zum Teil über ein langes Leben gewachsene Identität zur Region und Kultur für immer und unwiederbringlich verlieren.

Es stimmt schon, was die Literaten schreiben: Man kann die Heimat nicht an den Schuhsohlen mitnehmen. Was einen Menschen geprägt und von Kindesbeinen an geformt hat, kann durch den materiellen Gegenwert einer Entschädigung niemals aufgewogen werden. Vertraute Gerüche, eine liebgewordene Umwelt, der Baum, der morgens beim Blick aus dem Fenster zurückgrüßt - diese ideelle und doch fast körperlich verknüpfte Lebenswelt unterscheidet uns von den Maschinen ganz unten in der Grubensohle.

Baumhohe Sprenkler am Grubenrand - Foto: © 2014 by Schattenblick

Feigenblatt Umweltschutzmaßnahme
Foto: © 2014 by Schattenblick

Es hat Widerstand gegeben, Proteste und Kundgebungen, bis vors Bundesverfassungsgericht gingen die Einheimischen in ihrem Kampf um den Erhalt einer Wirklichkeit, die nur auf diesem Boden unverwechselbar für jeden einzelnen Menschen gedeihen konnte. Am Rand der Außenkippen stehen in schönster Regelmäßigkeit Rohr an Rohr Wasserdampf versprühende Sprenkleranlagen, um die mit dem Sand verwehenden Schadstoffe aus dem Grubenloch in Wassermolekülen einzufangen. Wie irrsinnig dieses Unterfangen zur Senkung der Feinstaubbelastung der umliegenden Region erscheint, zeigt ein Blick auf die gewaltigen Ausmaße des Tagebaus. Genausogut könnte man versuchen, mit einer Sprühflasche einen Sandsturm zu bändigen. Weiter westlich, unweit des Grubenrands, entdeckt das Auge eine Phalanx mächtiger Pumpanlagen, die vor dem Aufbrechen der Bodenschichten das Grundwasser großflächig absenken sollen, im Fachjargon "sümpfen" genannt. Daß damit eine ökologische Zeitbombe in Gang gesetzt wird mit unüberschaubaren Folgen für den Wasserhaushalt der tieferen Erdschichten des Niederrheinischen Beckens und damit des wichtigsten Trinkwasserreservoirs Nordrhein-Westfalens, tut dem Kohlehunger des Tagebaubetreibers RWE keinen Abbruch.

Auf der Aussichtsplattform, die RWE mit der Absicht eingerichtet hat, einen Blick auf die gigantische Dimension ihrer Energiewirtschaft zu werfen, treffen wir auf einen Motorradfahrer. Klaus Hundenborn ist gern bereit, uns einige Fragen zu beantworten.

Im Gespräch am Tagebau Garzweiler - Foto: © 2014 by Schattenblick

Klaus Hundenborn mit SB-Redakteur
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Wohnen Sie in der Gegend?

Klaus Hundenborn: Ich wohne in Kaarst, das ist nicht weit von hier, und mache mit dem Motorrad an Wochenenden gerne eine gemütliche Tour durch die Region, vor allem schaue ich mir dabei den Fortschritt des Tagebaus an. Ich weiß noch, wie es hier vor 15 bis 20 Jahren ausgesehen hat. Man erlebt dabei das Sterben der kleinen Dörfer hautnah mit.

SB: Im Grunde geht eine Lebenserfahrung Stück für Stück verloren.

KH: Das ist richtig, insbesondere wenn man sich vorstellt, wie lange das alles gebraucht hat, um so zu werden. Nicht nur bezogen auf die dörfliche Gemeinschaft, sondern auch auf die Natur. Ich finde es sehr bedauerlich, daß all das auseinandergerissen wird.

SB: Welcher Verlust an Ortschaft und Kultur schmerzt Sie am meisten?

KH: In Immerath gibt es eine sehr schöne Kirche mit einem Doppelturm. Hinter der Kirche verläuft ein Kreuzweg mit Gedenkstätten. Man findet dort eine Grotte, wo früher Kreuz und Heiligenfiguren gestanden haben. Erkennbar sind noch die verrosteten Eisenanker, mit denen die Figuren verankert waren. Jetzt sieht alles trostlos aus. Das ist schon erschreckend.

SB: In den von Garzweiler II betroffenen Ortschaften leben noch einige Menschen. Die meisten sind jedoch schon weggezogen. Es muß ein erdrückendes Gefühl für die Menschen in Borschemich und Immerath sein, die bis zum finalen Aussiedlungstermin bleiben wollen, aber irgendwann wegmüssen.

KH: Das ist für mich unvorstellbar. Wenn ich mir Schilder an den Häusern anschaue mit dem Slogan: "Achtung, hier wohnen noch Menschen", oder wenn an einer ehemaligen Sparkasse zu lesen ist: "Aus Sicherheitsgründen wurde diese Filiale geschlossen", spiegelt das eine gewisse Resignation wider. Dennoch kann ich das Lebensgefühl der Menschen, die bis zuletzt in einer solchen Straße wohnen und tagtäglich außerhalb Lebensmittel einkaufen müssen, nicht nachempfinden. Es gibt dort keine soziale Gemeinschaft mehr.

SB: Einige Leute, vor allem jüngere, hatten nichts dagegen, umgesiedelt zu werden, während andere um den Erhalt ihrer Lebenswirklichkeit gekämpft haben. Wie erklären Sie sich die Unterschiede in der Einstellung zum Aussiedlungsplan?

KH: Dieser Riß geht durch die Generationen. Wer in diesen alten Dörfern großgeworden ist und seinen Lebensabend dort verbringen wollte oder genötigt wurde, sein Lebenswerk aufzugeben wie zum Beispiel einen Bauernhof oder einen kleinen Betrieb, wird sicherlich anders zur Umsiedlung stehen als die jungen Leute, die vielleicht in anderen Orten arbeiten gingen und nicht eine so starke Bindung an Grund und Boden hatten wie die älteren. Ich habe mir die neuen Dörfer angeschaut wie zum Beispiel Neu-Garzweiler. Diese Gemeinden sind zwar äußerlich hübsch, weil es für sie keine Bauvorschrift gibt - jedes Haus kann anders aussehen, was erst einmal positiv ist -, aber dort ist kein Baum älter als zehn Jahre. Man findet praktisch nur Buschwerk. Diese Umsiedlungsdörfer haben noch kein Leben und keinen Ausdruck. Es wird viele Jahre dauern, bis sich ein Gefühl des Vertrauten einstellt.

SB: Für die jetzige Generation könnte es dann zu spät sein.

KH: Man wünscht es den Leuten natürlich, aber so etwas braucht Zeit. Man kann es nicht von oben herab aufoktroyieren, indem man sagt: Das ist eure neue Heimat, jetzt müßt ihr euch in der neuen Dorfgemeinschaft zurechtfinden. So funktioniert das nicht.

SB: Aus welchem Grund fahren Sie Touren durch die geplanten Abbaugebiete? Das muß doch sehr deprimierend sein.

KH: Ich fahre gern mit dem Motorrad hier entlang, weil es in dieser Gegend im Gegensatz zur Eifel oder zum Bergischen Land wenig Verkehr gibt. Durch die Ruhe beim Motorradfahren finde ich Abstand vom Alltag. Vielleicht bin ich auch ein wenig melancholisch veranlagt, weil ich mir die Fortschrittsentwicklung beim Tagebau Garzweiler II immer wieder anschaue. Aber gleichzeitig fühle ich mit den Menschen mit, die hier durch das Abbaggern der Kohle in ihrer Existenz betroffen sind.

SB: Werden Sie häufiger von auswärtigen Besuchern angesprochen, die wissen wollen, was hier passiert?

KH: Das weniger, aber es kommt häufig vor, daß ich von RWE-Mitarbeitern gefragt werde, was ich hier zu suchen habe, wenn ich durch diese quasi verlassenen Ortschaften fahre oder auch abseits der Wege zu Fuß unterwegs bin, um mir Dinge anzuschauen, zu denen ich nicht hinfahren kann. In den Augen von RWE scheint es sich hier um ein riesiges Sperrgebiet zu handeln, obwohl es als solches nicht überall ausgeschildert ist. Man hat mir schon einige Male vorgehalten, daß ich Hausfriedensbruch begehen würde. Aber bisher ist alles harmlos verlaufen. Ich springe ja nicht über Zäune oder begebe mich absichtlich in Gefahr, sondern möchte mir einfach nur einen persönlichen Eindruck von alledem verschaffen.

SB: Vermuten Sie dahinter eine Abschreckungsstrategie, weil doch hier überall Hinweisschilder zu den Besuchsplattformen aufgestellt sind, auf denen Touristen die Technik des Tagebaus bewundern können?

KH: Ich glaube, nicht. Man muß schließlich sehen, daß seitens RWE eine gewisse Verantwortung gegenüber den Leuten besteht, die sich hier unachtsam oder unbewußt in Gefahr bringen könnten. Hier stehen nicht zufällig Gitter vor den Abgründen, weil man sonst sehr schnell herunterstürzen könnte und unten riesige Maschinen unterwegs sind. So gesehen ist es sinnvoll, daß jemand darauf achtet, wo man hingeht. Aber manchmal habe ich schon den Eindruck, daß sich RWE als Sheriff aufspielt.

(wird fortgesetzt)

Schafherde auf dem Weg in die Grube - Foto: © 2014 by Schattenblick

Karge Weidegründe für zum Produktionsmittel degradiertes Leben
Foto: © 2014 by Schattenblick


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BERICHT/075: Kohle, Gifte, Emissionen - Kontroversen, Bündnisse, Teil 1 (SB)
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6. Juni 2014