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BERICHT/083: Nachdenklich, nachweislich, nachhaltig - Rückschau voran (SB)


Impressionen von einer Geburtstagsparty der anderen Art

Symposium zum 75. Geburtstag von Ernst Ulrich von Weizsäcker am 25. Juni 2014 im Auditorium Maximum der Humboldt Universität zu Berlin



Das war offensichtlich ein Geburtstag ganz nach seinem Geschmack: Wenn schon nicht mit der Familie feiern, dann zumindest im Kreis von Freunden, Bekannten und der Öffentlichkeit über brennende Fragen diskutieren, auf die zwar schon sehr viele Menschen sehr viele vermeintlich kluge Antworten gegeben haben, die aber damit keineswegs aus der Welt geschafft wurden: nachhaltige Nutzung von Rohstoffen, Bewältigung des Nahrungs-, Wasser- und Energiemangels, Klimawandel, Umweltveränderungen und wie die Gesellschaft mit all diesen Problemen umgehen sollte. Ernst Ulrich von Weizsäcker feierte seinen 75. Geburtstag mit einem internationalen Symposium und einer abendlichen Festveranstaltung im Roten Rathaus, in der sich die Redebeiträge und Debatten immer wieder um Grundfragen des Menschen im Verhältnis zu Natur und Gesellschaft drehten.

Im Foyer - Foto: © 2014 by Schattenblick

Prof. em. Peter Hennicke, ehemaliger Präsident des Wuppertal Instituts, gratuliert seinem Vorgänger Ernst Ulrich von Weizsäcker.
Foto: © 2014 by Schattenblick

"Macht mir eine schöne Feier!", soll das Geburtstagskind den beiden Institutionen, die eng mit seinem Werdegang verbunden sind, das Wuppertal Institut und die Vereinigung der Deutschen Wissenschaftler (VDW), gesagt haben. Sie sind seinem Wunsch nachgekommen und haben am 25. Juni 2014 in die Humboldt Universität zu Berlin zu einem Symposium geladen.

In seiner Eröffnungsansprache sagte Prof. Hartmut Graßl, Beiratsvorsitzender der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW), daß Ernst Ulrich von Weizsäcker der Vater der Idee der Lösung der meisten Umweltprobleme, nämlich der Internalisierung externer Effekte, sei. Aber daß die gesetzliche Umsetzung dieser Idee, die Ökosteuerreform der 1990er Jahre, nach Einschätzung seines Urhebers nicht den richtigen Biß gehabt habe. Von Weizsäcker habe sich regelmäßig zu verschiedenen gesellschaftlichen Themen geäußert - sein langjähriger Wegbegleiter nannte hierzu die "drängendsten globalen Probleme":

"Politische und keine militärische Konfliktlösungen (also oft eine andere Außenpolitik), Ernährungssicherung bei Stop der Verluste an biologischer Vielfalt (also eine andere Landwirtschaft), Dämpfung der raschen Klimaänderungen (also die globale Energiewende), stark erhöhte Ressourceneffizienz (also die Steuerung des Ressourcenverbrauchs)."
Am Rande des Symposiums - Foto: © 2014 by Schattenblick

Prof. Klaus Töpfer gratuliert dem Geburtstagskind
Foto: © 2014 by Schattenblick

Der bei solchen Anlässen üblicherweise gewählte und daher vertraute, wenngleich recht förmliche "ordnungspolitische Rahmen" - vom Podium aus werden Reden gehalten, während das Publikum in fest an den Boden geschraubten Stuhlreihen kaum weniger festgeschraubt zu sitzen und zu lauschen hat -, wurde gelegentlich aufgelockert. So kam trotz jenes innenarchitektonischen Korsetts, dem sich Publikum wie Laureaten gleichermaßen unterwarfen, eine Ahnung von dem Potential eines Symposions in seiner ursprünglichen Bedeutung auf, als das gesellige Beisammensein, gepaart mit dem gedanklichen Austausch, auf die Bühne gehoben und inszeniert wurde. Dabei stand Ernst Ulrich von Weizsäcker drei Nachwuchswissenschaftlerinnen und zwei Nachwuchswissenschaftlern Rede und Antwort, was - ohne den Gehalt der zuvor gehaltenen Ansprachen und der auf neudeutsch "Keynote" genannten Schlüsselrede Prof. Klaus Töpfers schmälern zu wollen - doch für etwas mehr "gelebte" Wissenschaftskultur sorgte.

Vielleicht vermag das die in der Festrede des Präsidenten der Humboldt Universität, Prof. Jan-Hendrik Olbertz, aufgeworfene Frage, wie in der heutigen Zeit nachhaltiges Wissen geschaffen werden kann, wenigstens teilweise zu beantworten: Eher durch Wissen und Schaffen sowie eine gelebte Kultur derselben - weniger durch die Produktion von Wissen als Information und den Versuch, diese in Form von Datenarchiven dem Vergessen zu entwinden. Wem nutzt die umfangreichste Bibliothek, wenn es nur noch Wissensverwalter, aber keine Wissensschaffenden mehr gibt?

Zur Auflockerung der Veranstaltung trug bei, daß der ausgebildete Physiker, Chemiker und Biologe Ernst Ulrich von Weizsäcker die Antwort auf eine an ihn gerichtete Frage zur Pflanzenzüchtung kurzerhand weiterreichte. Der durch diesen den offiziösen Rahmen verlassenden Schachzug überraschend ins Gespräch gebrachte "Publikumsjoker" hieß Beatrix Tappeser und ist Staatssekretärin im Hessischen Landesministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Sie ging ausführlich auf die Frage der Doktorandin Henrike Hennies nach dem richtigen Verhältnis zwischen Effizienz und Suffizienz in der Landwirtschaft ein, wobei sie sich nicht den Vorschlag verkniff, die Fragestellung vielleicht etwas mehr zu begrenzen, um sie handhabbarer zu machen.

In Großaufnahme als Lifestream - Foto: © 2014 by Schattenblick

Dr. Leena Srivastava, Vize-Kanzlerin der TERI-Universität, Neu-Delhi
Foto: © 2014 by Schattenblick

Der zweite Rede- und Diskussionsteil, in dem unter der Moderation von Dr. Maja Göpel vom Wuppertal Institut, Dr. Ashok Khosla vom UNEP International Resource Panel und Dr. Anders Wijkman, Vorsitzender des Club of Rome, auch die angekündigte, aber aus gesundheitlichen Gründen nicht persönlich anwesende, sondern per Livestream dazugeschaltete Dr. Leena Srivastava "über die Tauglichkeit und Chancen von Nachhaltigkeitsstrategien" sprachen, erweiterte das Symposium um die internationale Sichtweise. Hier wurde dem Publikum die Möglichkeit eingeräumt, Fragen oder Anmerkungen aufzuschreiben und nach vorne zu reichen, so daß darauf geantwortet wurde.

In diesen beiden ernsthafteren "Arbeitsblöcken" war, was die Möglichkeit der Partizipation des Publikums betrifft, sicherlich noch Luft nach oben. Was sich vom Mittelteil des Symposiums, der gewissermaßen Dreh- und Angelpunkt des Treffens war, nicht behaupten läßt: Man traf sich zwanglos im Foyer, vergaß dabei, daß es sich eigentlich um eine Art Durchgangsstraße für Wissensproduzierende und -studierende handelt, in der sich normalerweise niemand lange aufhält, und feierte gemeinsam mit Ernst Ulrich von Weizsäcker den Tortenanstich. Das Backwerk hatte es nicht nur in sich, sondern zeigte dies auch nach außen. Anscheinend hatten viele Gäste diesem Moment mit Vorfreude entgegengesehen, denn wie befreit brach ein Stimmengewirr los, das weit über das "dritte Klingeln" hinaus nicht abebben sollte. Eigentlich hätte man gern noch länger zusammengestanden, um sich im formlosen Gespräch mit bekannten wie unbekannten Gratulanten auszutauschen.

Bunte Torte mit mehreren Etagen - Foto: © 2014 by Schattenblick

Die Geburtstagstorte in ihrer ganzen, noch unversehrten Pracht
Foto: © 2014 by Schattenblick

Ernst Ulrich von Weizsäcker zeigt auf eine Marzipanfigur, die auf einer Tortenetage sitzt und die Beine über die Kante baumeln läßt - Foto: © 2014 by Schattenblick Das Geburtstagskind legt das Messer an die Torte an - Foto: © 2014 by Schattenblick

links: "Das bin ja ich!"
rechts: Das Ziel fest im Blick ...
Foto: © 2014 by Schattenblick

Der erste Schnitt in die Torte - Foto: © 2014 by Schattenblick Von Weizsäcker reckt einen Teller mit einem Tortenstück in die Höhe - Foto: © 2014 by Schattenblick

links: ... wird die messerscharfe Analyse ...
rechts: ... alsbald von Erfolg gekrönt!
Foto: © 2014 by Schattenblick

"Unterwegs in Sachen Nachhaltigkeit" lautet ein Motto, das wohl nur zu wenigen Zeitgenossen so gut paßt wie zu Ernst Ulrich von Weizsäcker. Allein für den Monat Juni hat er sich mindestens 14 Termine, einige davon mehrtägig, aufgeladen, wie aus seiner Website (http://ernst.weizsaecker.de/termine/) hervorgeht. Das schafft ein Mensch auf Dauer wohl nur, wenn er einen ruhenden Pol, ein festes Zuhause hat, was für ihn sicherlich seine große Familie ist. In keinem Widerspruch zu solch regen Reiseaktivitäten steht, wenn er in Anlehnung an einen Aufsatz seines Freundes und VDW-Kollegen Klaus Meyer-Abich über ihn mit dem Titel "Der Anfänger" von sich selbst sagt, daß er "immer nur anfängt". Er habe viele Projekte angefangen, fertig machen mußten das andere, und "die erfolgreichste Anfängerei", so Ernst Ulrich von Weizsäcker auf der Pressekonferenz am Vortag, sei das Wuppertal Institut. Das sei ein "Vulkan von interessanten, neuen Ideen, die man in der peer-reviewten Wissenschaft nicht findet, erklärte er, der eine dezidierte Meinung zu den Peer-review-Publikationen hat, die wir hier aus Gründen der Diplomatie nicht wortgetreu wiederholen wollen. Nur soviel: Solche Publikationen würden "im Durchschnitt von zehn Personen gelesen" und hätten "null Bedeutung, außer für die Karriere".

Ähnlich hart ins Gericht ging er mit der Bologna-Reform - ein Stichwort, das im übrigen einige Male auf dem Symposium mit deutlich negativer Konnotation erwähnt wurde. Die Bologna-Reform ist ein Projekt zur Vereinheitlichung des Bildungssektors in der Europäischen Union und hat unter anderem zu der vielfach kritisierten Verschulung der universitären Lehre geführt und eine allgemeine Jagd der Studierenden nach "Credits", jener Steigerung zu den "Scheinen", die in der Prä-Bologna-Ära als Beleg der eigenen Studienaktivitäten vorgelegt werden mußten, ausgelöst.

Referentin am Stehpult - Foto: © 2014 by Schattenblick

Für mehr Transdisziplinarität und gegen die Ökonomisierung der Wissenschaft - Gesine Schwan, Präsidentin der Humboldt-Viadrina School of Governance in Berlin, beim Abschlußvortrag des Symposiums
Foto: © 2014 by Schattenblick

Es würde den Rahmen dieser Berichterstattung über eine "Geburtstagsparty" vollkommen sprengen, wollte man eine Diskussion über die Frage führen, ob nicht den oben genannten globalen Problemen ein weiteres Problem zur Seite gestellt gehört: Allein nur, was die umwelt- und entwicklungspolitischen Schadensfolgen der heutigen Zeit betrifft, so wäre die Kommodifizierung der Natur (also wenn alles zur Ware gemacht wird) zu nennen. Manche der an diesem Tag vernommenen Ideen, sicherlich in guter Absicht und in der Überzeugung vorgebracht, dadurch eine schlimmere Entwicklung korrigieren oder verhindern zu können, tragen einen Keim in sich, durch den der Trend, sämtliche Facetten der Natur als Ware zu deklarieren und durch eben diese Innovation der freien Verfügbarkeit zu entziehen, also einen im sozialen Kontext partiellen Mangel zu erzeugen, noch vertieft würde.

Dem wäre auf jeden Fall gegenzusteuern, wollte man die zum 75. Geburtstag von Ernst Ulrich von Weizsäcker von verschiedener Seite vorgebrachte Aufforderung zu Innovation, Grenzüberschreitung oder gar Rebellion nicht als wohlfeile Worte ohne jeden Wunsch nach Verwirklichung auffassen, sondern als einen Ruck in der Gesellschaft, der ziemlich genau das Gegenteil von dem meint, sich am Riemen zu reißen oder erprobten Züchtigungsmitteln auszuliefern.

Enden wir unsere Geburtstagsimpressionen mit der Antwort Ernst Ulrich von Weizsäckers auf die Frage des Schattenblicks bei der Pressekonferenz am Vortag, ob er, der zeit seines Lebens mit jungen Leuten im Gespräch war, dabei habe feststellen können, ob sich deren Vorstellungen, Ansichten und Träume im Laufe der Generationen gewandelt hätten. "Oh ja, leider. Als ich jung war, da waren wir rebellisch. Und heute sind die Leute traurig, resigniert und nicht rebellisch (...) da muß wieder Rebellion rein!"

Gruppenfoto mit 20 Personen - Foto: © 2014 by Schattenblick

Das Geburtstagskind im Kreis der Referentinnen und Referenten
Foto: © 2014 by Schattenblick

28. Juni 2014