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BERICHT/122: Klima und Finanzen - den Teufel mit dem Beelzebub ... (1) (SB)


Deutlich unter 2 Grad - Konkrete Umsetzung nach Paris

Briefing vor der 22. UNFCCC-Klimakonferenz im Auswärtigen Amt am 27. September 2016


Unter dem Einfluß des Menschen steuert die Erde rasant auf Verhältnisse zu, in denen die Lebensgrundlage von Milliarden Bewohnerinnen und Bewohnern beeinträchtigt, wenn nicht sogar vernichtet wird. Dessen ungeachtet verfolgt die internationale Staatengemeinschaft Klimaschutz unter Beibehaltung vollkommen anders gelagerter Interessen. So läßt sich nicht eindeutig unterscheiden, ob es darum geht, die globale Erwärmung aufzuhalten, oder ob diese reale Bedrohung als Vorwand genommen wird, um ein immanent krisenhaftes, wachstumsorientiertes Wirtschaftssystem fortzuschreiben, dieses mit bislang noch nicht ökonomisierten Bereichen der sogenannten Ökosysteme als "Dienstleistung" zu füttern und schlußendlich im Zeichen der "Transformation der Gesellschaft" ein neues Menschenbild zu formen, das mehr denn je vom Sich-Einfinden der Subjekte in das ihnen zugedachte Notschicksal geprägt ist.


Beim Vortrag - Foto: © 2016 by Schattenblick

"Wenn wir jetzt frühzeitig eindeutige Signale an Wirtschaft, Gesellschaft und Investoren senden, daß wir es ernst meinen mit dem Klimaschutz, können wir die globale Transformation erheblich beschleunigen."
(Rita Schwarzelühr-Sutter, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), 27. September 2016, Berlin)
Foto: © 2016 by Schattenblick

Wir sollten für unsere ambitionierten Klimaschutzziele nicht nur öffentliche Mittel einsetzen, "sondern auch die globalen Finanzmittelströme stärker als Transmissionsriemen nutzen", schlug Rita Schwarzelühr-Sutter mit Blick auf eine nachhaltige Gesellschaft vor, in der idealerweise der Ressourcenverbrauch trotz fortgesetzten Wirtschaftswachstums nicht mit vermehrten Treibhausgasemissionen einhergeht. Die Staatssekretärin im Bundesumweltministerium möchte eine "resiliente und treibhausgasneutrale Welt" schaffen. Unerschütterlich ist der Glaube, daß private Investitionen unverzichtbar sind, um die globale Erwärmung zu stoppen und Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel zu finanzieren.

An diesem Vormittag des 27. September 2016 im Auswärtigen Amt in Berlin beim Briefing "Deutlich unter 2 Grad - Konkrete Umsetzung nach Paris" vor der 22. UNFCCC-Klimakonferenz war gewiß nichts anderes zu erwarten, als daß die Frage des Schattenblick zum Auftakt der kurzen Diskussionsrunde unter Beteiligung des Publikums, ob denn nicht ausgerechnet mit den "globalen Finanzströmen" der Bock zum Gärtner gemacht werde und, wenn es schon etwas zu transformieren gäbe, dies nicht zuerst nämliche Finanzströme sein müßten, rundheraus verneint wurde.

So durfte sich Nicole Wilke, Referatsleiterin "Internationaler Klimaschutz" beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), eines breiten Konsenses gewiß sein, als sie auf die Frage erwiderte, daß man keinesfalls den Bock zum Gärtner mache. Im Gegenteil, in den nächsten zehn bis 15 Jahren würden weltweit 90 Trillionen Dollar an Investitionen in Infrastrukturen getätigt, und dabei handele es sich im wesentlichen um private Investitionen. Jetzt gehe es darum, dafür zu sorgen, daß diese auch tatsächlich klimafreundlich stattfinden. Das sei somit genau der richtige Ansatz.

Man kann davon ausgehen, daß nahezu alle der mehrere hundert Teilnehmenden aus den verschiedenen Bundes- und Landesministerien, wissenschaftlichen Institutionen, der Wirtschaft, der Zivilgesellschaft und Dutzenden ausländischen Botschaften innerlich zustimmend genickt haben. Dennoch sollen hier anläßlich des vom Deutschen Klimakonsortium, dem Auswärtigen Amt und dem BMUB organisierten Briefings jenem vermeintlich alternativlosen Zaubermittel "globale Finanzströme" im folgenden einige kritische Anmerkungen gewidmet werden.


Beim Vortrag - Foto: © 2016 by Schattenblick

"Gerade in Entwicklungsländern gilt: Der Kampf gegen den Klimawandel bietet auch Chancen. Chancen für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. Die Stichwörter lauten hier: Technologietransfer und Innovation. In diesen Bereichen können wir besonders viel beitragen."
(Prof. Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, 27. September 2016, Berlin)
Foto: © 2016 by Schattenblick

Den klimapolitischen Standpunkt der Bundesregierung brachte die Staatsministerin im Auswärtigen Amt Prof. Dr. Maria Böhmer auf den Punkt. Bei der bevorstehenden Weltklimakonferenz (COP 22) in Marrakesch gehe es um die konkrete Umsetzung des Pariser Abkommens mit seinen drei Hauptzielen: Die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen, die Staaten in ihrer Widerstandsfähigkeit (Klimaresilienz) zu stärken und die globalen Finanzflüsse in Einklang mit den Klimazielen zu bringen. Der Kampf gegen den Klimawandel böte ja auch Chancen für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. Klimaschutz sei ein "Wachstums- und Innovationsmotor". Die globale Transformation gelänge jedoch nicht allein durch öffentliche Mittel. "Es bedarf einer Umlenkung und Mobilisierung von Kapital hin zu klimafreundlichen und nachhaltigen Investitionen." [1]

Die EU habe immer vehement für ein starkes globales Klimaschutzabkommen gekämpft, lenkte Schwarzelühr-Sutter im zweiten Redebeitrag des Tages den Blick auf die europäische Ebene: "Jetzt ist es umso wichtiger, dass die EU auch liefern kann, was sie versprochen hat: bis 2030 mindestens 40% weniger Treibhausgasemissionen als 1990. Dafür hat die EU-Kommission drei Klimaschutz-Legislativvorhaben auf den Weg gebracht: Für den Emissionshandel, die Sektoren außerhalb des Emissionshandels sowie für Landnutzung und Forstwirtschaft." [2]

Die Bundesregierung stehe zu der Zusage der Industrieländer, ab 2020 jährlich 100 Mrd. Euro für die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen bereitzustellen. Die Staatssekretärin betonte, daß sich Deutschland als "Partner" der Entwicklungsländer anbietet, damit die Umsetzung der nationalen Klimaschutzziele gelingt.


Beim Vortrag - Foto: © 2016 by Schattenblick

"Wir brauchen eine gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung, damit sich auch die Entwicklungsländer dem Kampf gegen den Klimawandel verschreiben."
(Dr. Omar Zniber, Botschafter des Königreichs Marokko, 27. September 2016, Berlin)
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Der Botschafter Marokkos in Deutschland, Dr. Omar Zniber, hob hervor, daß Deutschland die marokkanischen Initiativen im Bereich des Energiesektors und des Umweltschutzes stark unterstützt hat. Es sei keine Übertreibung zu sagen, daß das wirklich ein Modell für eine nachhaltige, intensive Partnerschaft ist. Marokko sei überzeugt, daß Deutschland eine wichtige Rolle für den Erfolg der COP 22 in Marrakesch spielen wird.

Der Maghrebstaat gilt als Vorreiter der Transformation der Energiesysteme. In den nächsten vier Jahren will er den Anteil an erneuerbaren Energien am Strombedarf auf über 42 Prozent erhöhen, 2030 sogar auf 52 Prozent. Daß ein Teil der Projekte in dem völkerrechtlich ungeklärten, von Saharauis bewohnten Gebiet der Westsahara, das Rabat als Südmarokko beansprucht, verwirklicht wird und eine Kooperation auf dem Gebiet der Erneuerbaren Energien automatisch Marokkos territoriale Ansprüche bekräftigt, war an diesem Vormittag kein Thema, das auf dem Podium behandelt worden wäre.


Potemkinsche Dörfer ...

2015 wurde nicht nur ein UN-Klimaschutzabkommen beschlossen, sondern auch ein Nachfolgeprogramm für die Millenniumentwicklungsziele (MDG), die Nachhaltigkeits-Agenda 2030 (SDG 2030), die in 17 Hauptziele und 169 Unterziele aufgeteilt ist. Diese könnte man als ein vollumfängliches Totalversprechen bezeichnen, denn man will in den nächsten 15 Jahren beispielsweise Armut und Hunger beenden, menschenwürdige Arbeit für alle schaffen, die Ozeane erhalten, gesundes Leben, Wasser, nachhaltige Energie für alle bereitstellen und eine friedliche und inklusive Gesellschaft bilden.

Seitens der Politik wird so getan, als seien diese Ziele, inklusive des Klimaschutzes, erreichbar. Staatsministerin Böhmer: "Für ein gemeinsames Gelingen der Ziele von Paris und der Nachhaltigkeits-Agenda 2030 brauchen wir eine globale Transformation. Dabei müssen in allen Sektoren nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz stets ineinandergreifen."

Das hört sich phantastisch an, doch hinter der schönen Fassade herrscht das Elend. Es würde den Rahmen dieses Berichts bei weitem sprengen, wollte man auf die inneren Widersprüche der Ziele und die Widersprüche zur politischen Praxis näher eingehen. Nur ein Beispiel: Wie wenig haltbar die Absicht der Europäischen Union ist, den ärmeren Ländern auf Augenhöhe zu begegnen und sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen, zeigt sich daran, daß die EU-Kommission afrikanische Länder wie Kenia genötigt hat, gegen ihren erklärten Willen das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) zu unterzeichnen. Hätten sich Botswana, Elfenbeinküste, Ghana, Kenia, Namibia und Swasiland dem Druck nicht gebeugt, wären Importe aus diesen Ländern von der EU ab 1. Oktober dieses Jahres mit Zöllen in Höhe von 22 Prozent beaufschlagt worden. [3]

Aufgrund der EPAs sind nun beispielsweise die kenianischen Märkte weniger vor der Konkurrenz aus der EU geschützt als zuvor. Zugleich hat die EU die afrikanischen Staaten gespalten, indem sie den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) wie Uganda und Tansania weiterhin ungehinderten Marktzugang einräumt, ohne daß sie ein EPA unterzeichnen müßten. Kenia bildet jedoch mit Uganda, Tansania und anderen Ländern der Region die Ostafrikanische Gemeinschaft und wäre bei Verweigerung der Unterschrift durch die ungleiche Behandlung gegenüber seinen afrikanischen Verbündeten benachteiligt worden.


Beim Vortrag - Foto: © 2016 by Schattenblick

"2015 war ein Hochjahr des Multilateralismus, ein Hochjahr des kollektiven Handelns, weil wir zunächst die Agenda 2030 mit 17 neuen Zielen vereinbart haben und zusätzlich dann zum Ende des Jahres das Klimaabkommen in Paris abgeschlossen wurde. Beides sind historische Erfolge, das muß man unterstreichen, die einen klaren Paradigmenwechsel einleiten. Beide Abkommen spiegeln im Kern den neuen globalen Imperativ wider, nämlich: nachhaltige Entwicklung ist nur innerhalb der planetaren Grenzen möglich."
(Ingrid Hoven, Abteilungsleiterin "Globale Zukunftsfragen" im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), 27. September 2016, Berlin)
Foto: © 2016 by Schattenblick

Bislang waren die mehrfach an diesem Vormittag beschworenen globalen Finanzströme zuvorderst der Treibriemen für eine destruktive Transformation des Planeten aufgrund der Verbrennung fossiler Energieträger (Erdöl, Erdgas, Kohle) mit dem Resultat, daß sich die Erde in einer Geschwindigkeit aufwärmt, für die erdgeschichtlich seit Millionen von Jahren kein Vorbild bekannt ist. Somit zirkulieren die globalen Finanzströme an einem Knotenpunkt der Industrialisierung, in deren Verlauf Treibhausgasemissionen produziert, Ressourcen verbraucht und die Lebensgrundlagen von Menschen dauerhaft beschädigt oder gar vollends vernichtet werden.

Fünf nach zwölf ...

Sollten die wissenschaftlichen Projektionen zur Entwicklung des globalen Klimas zutreffen, denen zufolge mehrere sogenannte Kippunkte der Erdsysteme bereits überschritten sind oder noch in diesem Jahrhundert überschritten werden könnten, dann bleibt ungeachtet des gegenwärtigen Tempos bei der Ratifizierung des UN-Klimaschutzabkommens womöglich nicht genügend Zeit für Perspektiven, wie sie noch im UN-Klimaabkommen von Paris oder dem als Entwurf vorliegenden "Klimaschutzplan 2050" der Bundesregierung angepeilt werden. [4]

Als Indizien für diese Vermutung dient die Häufung von Meldungen wie, daß seit fast eineinhalb Jahren in Folge jeder Monat wärmer war als die Vergleichsmonate seit Beginn der regelmäßigen Wetteraufzeichnungen. [5] Und laut der World Meteorological Organisation (WMO) erwärmt sich die Arktis gegenwärtig auf beispiellose Weise. Das verstärke den Meeresspiegelanstieg, verändere die Wetterverhältnisse rund um den Globus und könne sogar Veränderungen im gesamten Klimasystem bewirken. Die Wissenschaft käme mit dem Tempo der Veränderungen gar nicht hinterher und sei nicht in der Lage vorauszusehen, was sich als "Reise in ein unbekanntes Gebiet" darstelle. [6]


Beim Vortrag - Foto: © 2016 by Schattenblick

"Schauen Sie sich die Städte der Bundesrepublik an, was in den Kommunen passiert. Wir zeigen seit 25 Jahren, wie man Schritt für Schritt etwas bewegen kann im Rahmen des Klimaschutzes."
(Gerda Stuchlik, Umweltbürgermeisterin der Stadt Freiburg im Breisgau und Mitglied im Umweltausschuß des Deutschen Städtetags, 27. September 2016, Berlin)
Foto: © 2016 by Schattenblick

Der gegenwärtige Trend der menschengemachten Treibhausgasemissionen könnte nach dem ehemaligen Chefwissenschaftler der US-Weltraumbehörde NASA und Leitautor einer kontrovers diskutierten Studie, James Hansen, bedeuten, daß noch in diesem Jahrhundert der Meeresspiegel um mehrere Meter steigen wird. [7]

Hansen ist keine Einzelstimme im Chor der Mahner und Warner aus der Wissenschaft, wenngleich sich viele von ihnen weniger weit aus dem Fenster hängen und vorsichtigere Prognosen abgeben als er. Immerhin wird Hansen zugeschrieben, daß er der Wissenschaftler war, der am 23. Juni 1988 erstmals vor einem politischen Gremium (dem Energy and Natural Resources Committee des US-Senats) erklärt hat, er sei zu 99 Prozent davon überzeugt, daß die damalige Jahresrekordtemperatur kein Resultat natürlicher Schwankungen war. [8]

Die Treibhausgasemissionen haben in diesem Jahr erstmals weltweit die Schwelle von 400 ppm (parts per million) überschritten. Ein Wert, den die Erde zuletzt vor 3,5 Millionen Jahren erlebt hat. Damals lag der Meeresspiegel zwischen 5 und 30 Meter höher. David Black, assoziierter Professor an der School of Marine and Atmospheric Sciences der Stony Brook University in New York, sagte kürzlich gegenüber Christian Science Monitor:

"Es brauchte damals Millionen Jahre, bis die Atmosphäre 400 ppm CO2 erreichte, und es brauchte nochmals Millionen Jahre bis unmittelbar vor Beginn der industriellen Revolution, daß das atmosphärische CO2 auf 280 ppm sank. Zu den Dingen, die Klimaforschern echte Sorgen bereiten, gehört, daß wir Menschen nur ein paar Jahrhunderte benötigt haben, wofür die Natur Millionen Jahre brauchte. Darüber hinaus fand der größte Wandel in den letzten 50 bis 60 Jahren statt." [9]


Beim Vortrag - Foto: © 2016 by Schattenblick

"Der Erkenntnisgewinn bleibt die entscheidende Basis für eine glaubwürdige und überzeugende Klimapolitik. Viele Fragen sind in dem Zusammenhang durchaus noch offen. Diese reichen von der Wolkenbildung über natürliche Klimaschwankungen, dem Einfluß der Ozeane und Meere auf das Klima bishin zu negativen Emissionen und Climate Engineering. Die Wissens- und Entscheidungsbasis zu 1,5 Grad muß deutlich verbreitert werden."
(Dr. Karl-Eugen Huthmacher, Leiter der Abteilung "Zukunftsvorsorge - Forschung für Grundlagen und Nachhaltigkeit" im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), 27. September 2016, Berlin)
Foto: © 2016 by Schattenblick

Beispiel Ozeane: Die verheerenden Folgen der anthropogenen Treibhausgasemissionen zeigen sich auch an der Versauerung der Meere. Auf der Veranstaltung im Auswärtigen Amt wurde ein kurzer Film gezeigt, in dem Prof. Dr. Ulf Riebesell vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel auf Fragen zu diesem Thema antwortete. Die Ozeanversauerung hat seit Beginn der Industrialisierung um 26 Prozent zugenommen. Besonders für die Meeresbewohner, die kalkbildende Skelette bauen, werde es zunehmend schwerer zu überleben. Der Kalk könne regelrecht in Lösung gehen. Bei der Geschwindigkeit, mit der die Ozeanversauerung abläuft, werden die Organismen "große Schwierigkeiten" haben, sich anzupassen, erklärte der GEOMAR-Forscher.

Beispiel Permafrost: "Indem wir das Klima immer rascher verändern, begeben wir uns auf ein Feld, für das uns die Maßstäbe fehlen", sagte der Permafrostforscher Prof. Duane Froese von der Universität von Alberta. [10] Auf der Internationalen Permafrostkonferenz, die das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in diesem Sommer in Potsdam ausgerichtet hat, warnten er und weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davor, daß in den dauergefrorenen Böden der Arktis, Hochgebirge und Randlagen der Antarktis doppelt so viel Kohlenstoff eingelagert ist wie in der Atmosphäre. Würde dieser in Folge der globalen Erwärmung freigesetzt, könnte das den Klimawandel noch deutlich beschleunigen. Zwar gebe es auch gegenläufige Trends, da in den vom Permafrost befreiten Gebieten das Pflanzenwachstum angeregt werde, doch weil hinsichtlich dieser Frage Unsicherheiten bestünden, sei äußerste Vorsicht angesagt.

Beispiel Artensterben: Wie viele Arten es auf der Erde gibt, weiß man nicht. Hochrechnungen zufolge sterben täglich bis zu 150 Tier- und Pflanzenarten aus. Menschliche Aktivitäten werden als Hauptursache identifiziert. Die Wissenschaft spricht vom sechsten Massensterben der Erdgeschichte seit 540 Mio. Jahren.

Solche Meldungen über die unterschiedlichen Natursysteme deuten darauf hin, daß der gesamte Planet zur Zeit einem aus geologischer Sicht ungeheuer raschen Wandel unterworfen ist. Und nun will der Mensch diesem mit Zeitperspektiven bis zum Jahr 2030, 2050 oder 2100 entgegentreten? Hat nicht in dem Märchen der Igel gegenüber dem Hasen nur deshalb im Wettlauf gewonnen, weil er den Gutgläubigen betrogen und vorgetäuscht hat, er bewege sich von der Stelle? So ähnlich kommt es einem vor, wenn man sieht, mit welchen Mitteln versucht wird, dem Klimawandel den Rang abzulaufen. Da werden ausgerechnet jene Produktivkräfte beschworen, die am Zustandekommen des globalen Wandels an entscheidender Schnittstelle beteiligt waren und heute noch sind.


Beim Vortrag - Foto: © 2016 by Schattenblick

"Wir müssen berücksichtigen, daß die NDCs, die uns jetzt vorliegen, also die Ankündigungen der Regierungen, ihre Treibhausgase zu reduzieren, die ja noch nicht umgesetzt, sondern zunächst mal nur versprochen sind, im Augenblick erst etwa ein Drittel der Lösung darstellen. Das heißt, 70 Prozent der Lösung ist noch Aufgabe."
(Prof. Dr. Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beitrats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), 27. September 2016, Berlin)
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Profitmaschine Klimaschutz ...

Wer die alle fünf bis sieben Jahre erscheinenden Berichte des Weltklimarats (IPCC), dem mehrere tausend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt zuarbeiten, miteinander vergleicht, wird feststellen können, daß die früher als Worst-case-Szenarien beschriebenen Entwicklungen inzwischen bereits eingetreten sind oder nun im mittleren Bereich der Klimaprojektionen liegen, wie sie in den heutigen wissenschaftlichen Modellen entworfen werden.

Das weitestgehende politische Ziel, das gegenwärtig in der Klimadebatte verbreitet wird, lautet: Die globale Durchschnittstemperatur soll um nicht mehr als 1,5 Grad Celsius gegenüber dem Niveau aus vorindustrieller Zeit steigen. Dieses "Ziel", das eher als Leitplanke oder Korridor zu verstehen ist, wurde aber bereits in diesem Jahr bis auf weniger als ein halbes Grad Abstand fast schon erreicht. Die von den Vertragsstaaten der UN-Klimakonvention gemachten Zusagen gehen jedoch nicht nur über das 1,5-Grad-Ziel, sondern auch über das schon sehr viel weniger ambitionierte 2-Grad-Ziel deutlich hinaus. Jene INDC (Intended Nationally Determined Contributions) würden auf eine 2,7- bis 3,1-Grad-Welt hinauslaufen. Aber, wie gesagt, das sind zunächst nur Absichtserklärungen. Der reale Klimatrend dagegen, der sich wesentlich aus den anthropogenen Treibhausgasemissionen ergibt, steuert auf eine 3,5 bis vier Grad wärmere Welt zu.

Was solche Zahlenwerte kaum auszudrücken vermögen: Die zu erwartenden Schadensfolgen aus den unterschiedlichen Szenarien weichen extrem voneinander ab. Wissenschaftler wie der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und maßgebliche Berater von Papst Franziskus bei der Abfassung der Enzyklika "Laudato Si" [11], Prof. Hans Joachim Schellnhuber, sagte gegenüber dem Schattenblick, daß sich "das Schicksal unserer Hochzivilisation" in den nächsten hundert Jahren entscheiden werde. [12]

Er hob damit darauf ab, daß das Pariser Abkommen unverzüglich umgesetzt werden müsse. Zwar räumte er unmittelbar nach der Einigung in der französischen Hauptstadt den Unterzeichnerstaaten noch einen Vertrauensvorschuß ein, doch inzwischen scheint auch ihm die Geduld auszugehen. In einem gemeinsamen Brief mit Prof. Johan Rockström von der Universität Stockholm und Prof. emer. Will Steffen von der Australischen Nationaluniversität in Canberra forderte er den schwedischen Staatskonzern Vattenfall auf, seine Braunkohlesparte in der Lausitz nicht an den tschechischen Investor EPH zu verkaufen. Die Entscheidung sei nicht allein innenpolitisch zu bewerten, sie habe globale Auswirkungen und gefährde die im Paris-Abkommen beschlossenen Klimaschutzziele, begründeten die drei Experten ihre Aufforderung. [13]


Beim Vortrag - Foto: © 2016 by Schattenblick

"Die Investitionen in die fossilen Energiesektoren liegen heute in der Größenordnung von 850 Mrd., die Investitionen in den erneuerbaren Sektor bei 160 Mrd. Dollar weltweit. Da ist noch eine riesige Lücke."
(Prof. Dr. Gernot Klepper, Leiter des Forschungsbereichs "Umwelt und Ressourcen" am Institut für Weltwirtschaft (IfW))
Foto: © 2016 by Schattenblick

Ob Förderung von Kohlekraftwerken in Südafrika durch die deutsche Entwicklungsbank KfW [14] oder die Expansion der US-Frackingwirtschaft in Mexiko [15], ob Rodung des artenreichen Regenwalds auf Borneo für die Monokultur-Plantagenwirtschaft [16] oder die jahrzehntelange, umweltverschmutzende Erdölförderung im Nigerdelta, ob Vorbereitung des Bergbaus auf Grönland oder der Ernte von Manganknollen und anderen Rohstoffen am Meeresboden, ohne die globalen Finanzströme wären solche besonders destruktiven Formen des Wirtschaftens nicht vorstellbar. Und ohne die Aussicht auf Profite werden sich private Investitionen nirgendwohin lenken lassen. Mit dem ungebrochenen Bekenntnis der Politik zu Wachstum wird zugleich der Vermehrung von Profiten das Wort geredet. Ermöglicht man den Unternehmen aber, Gewinne zu erwirtschaften, schlügen sich die im globalen Konkurrenzsystem errungenen Vorteile an anderer Stelle als Verluste nieder. Sollten beispielsweise die geplanten Freihandelsabkommen zwischen EU und Kanada (CETA) sowie EU und USA (TTIP) den Vertragspartnern Vorteile einbringen, würden diese den Nicht-Beteiligten zum Nachteil gereichen. Denn die Waren aus Entwicklungsländern würden im Vergleich teurer und wären damit weniger wettbewerbsfähig. [17]

Wenn nun ausgerechnet Wirtschaftsinteressen eine wesentliche Funktion bei der Rettung der Welt, wie wir sie kennen, zugesprochen wird, dann rechtfertigt das schon einige Überlegungen, welche Kräfte hier in welcher Absicht und mit welchen absehbaren Folgen mobilisiert werden sollen. Um diese Fragen wird es schwerpunktmäßig im zweiten Teil der Berichterstattung zu der Veranstaltung im Auswärtigen Amt gehen.


Meister und Beck nebeneinander stehend beim Abschluß des Briefings - Foto: © 2016 by Schattenblick

Moderator Thomas Meister, Referatsleiter Klima- und Umwelt-Außenpolitik, Nachhaltige Wirtschaft im Auswärtigen Amt, und Moderatorin Marie-Luise Beck, Geschäftsführerin des Deutschen Klimakonsortiums e.V., wurde es leicht gemacht, sämtliche Untiefen und Stromschnellen des klimapolitischen Diskurses weit voraus zu umschiffen.
Foto: © 2016 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] tinyurl.com/hxqfv4u

[2] tinyurl.com/je5pkua

[3] http://www.euractiv.de/section/entwicklungspolitik/news/eu-draengt-afrikanische-laender-zu-umstrittenen-freihandelsabkommen/

[4] http://www.bmub.bund.de/themen/klima-energie/klimaschutz/nationale-klimapolitik/klimaschutzplan-2050/

[5] http://phys.org/news/2016-09-august-shatters-global-16th-month.html

[6] http://www.climatechangenews.com/2016/09/29/scientists-struggle-to-keep-up-with-melting-arctic

[7] http://www.atmos-chem-phys-discuss.net/15/20059/2015/acpd-15-20059-2015.pdf

[8] http://grist.org/article/a-climate-hero-the-early-years/

[9] http://www.csmonitor.com/Science/2016/0928/Earth-CO2-levels-Have-we-crossed-a-point-of-no-return

[10] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0238.html

[11] http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2015/2015-06-18-Enzyklika-Laudato-si-DE.pdf

[12] http://schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbri0050.html

[13] http://www.di.se/artiklar/2016/5/26/debatt-vattenfalls-forsaljning-bryter-mot-parisavtalet/ und
http://www.klimaretter.info/protest/nachricht/21316-vattenfall-rueckzug-bedroht-paris-vertrag

[14] http://www.wiwo.de/technologie/green/living/foerderung-von-kohlekraft-kfw-bank-in-erklaerungsnot/13550244.html

[15] http://mexiconewsdaily.com/news/fracking-expected-to-begin-next-year/

[16] http://www.cifor.org/publications/pdf_files/articles/AGaveau1606.pdf

[17] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/folgen-von-ttip-fuer-entwicklungslaender-verlieren-werden-die-aermsten-1.2080505


3. Oktober 2016


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