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INTERVIEW/021: Bagger fressen Erde auf - Perspektiven der Antikohlebewegung (SB)


Basisaktivisten vereint im praktischen Widerstand

Gespräch am 14. Juni 2012 im Hamburger Gängeviertel

Im Rahmen der Infotour "The True Cost of Coal" durch die Schweiz und Deutschland machten Aktivistinnen und Aktivisten aus den USA und England sowie dem rheinischen Braunkohlerevier am 14. Juli Station im Hamburger Gängeviertel. Sie gaben Einblick in den Kampf gegen die Zerstörungen durch "Mountaintop removal mining" in den Appalachen und den Tagebau und die Verstromung von Braunkohle in deutschen Revieren [1]. Dabei berichteten Rebekka, Flo und Timo über die Waldbesetzung des Hambacher Forsts [2], die Werkstatt für Aktionen und Alternativen (WAA) in Düren [3] und das Klimacamp Rheinland [4]. Im Anschluß an die Veranstaltung beantworteten die drei in einer Gesprächsrunde dem Schattenblick einige Fragen.

Gesprächsrunde nach Veranstaltung - Foto: © 2012 by Schattenblick

Flo, Rebekka und Timo mit SB-Redakteur
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Ihr seid aktiv im Kampf gegen den Tagebau und die Verstromung von Braunkohle. Was waren die Gründe, euch gerade an dieser Front zu engagieren?

Timo: Ich komme aus der Öko- und Anti-AKW-Bewegung. Die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 war für mich ein Schlüsselerlebnis. Wenngleich sie desaströs verlief, habe ich die Konsequenz gezogen, nicht aufzugeben und mich für die Verhinderung des Klimawandels einzusetzen. Deshalb habe ich mich weiter in den Klimacamps engagiert. Vom Klimacamp Bonn ging es weiter ins Rheinische Revier, das ich damals noch gar nicht kannte. Dann nahm die Bewegung Fahrt auf, es folgte das Klimacamp der BUND-Jugend, und wir haben verschiedene Aktionen durchgeführt. Flo hat ja auch an mehreren Klimacamps teilgenommen, und so kamen unterschiedliche Spektren zusammen. Uns wurde klar, daß Braunkohle das Schlüsselthema in Deutschland ist, wenn man sich für das Klima engagieren will. Das Rheinische Revier ist die größte CO2-Quelle Europas. Was bringt es, wenn man kleine Sachen macht und sich dabei aufreibt? Wir suchten einen Ort, an dem die Bewegung wachsen kann.

Rebekka: Bei mir ist es auch so. Ich war lange bei der BUND-Jugend aktiv, die sich dann des Themas Braunkohle angenommen hat. Darüber bin ich in Kontakt mit diesem Komplex gekommen. Ich hatte schon lange ein Schlüsselthema gesucht, das mir persönlich wichtig ist. Mir ist Klimagerechtigkeit total wichtig, ich wollte in Deutschland etwas bewirken, von dem ich sagen kann, daß ich mindestens symbolisch für den globalen Süden mitkämpfe. Dazu eignet sich die Braunkohle hier in Deutschland einfach am besten. Zum anderen wohnen meine Großeltern in einem Dorf, das dem Tagebau Hambach am nächsten ist. Ich bin von klein auf gewohnt, daß man mit der Familie das Loch und den großen Bagger angucken geht. Ich habe dann gemerkt, daß meine Familie auch direkt betroffen ist - sei es die Feinstaubbelastung oder wenn der Tagebau erweitert wird und der große Hof oder das Dorf, die Heimat, die ich von meinen Großeltern kenne, weggebaggert wird.

Flo: Ich war länger bei direkten Aktionen hauptsächlich zu Klimathemen aktiv und habe beispielsweise beim Flughafenausbau in Frankfurt den Wald mitbesetzt. Es ist nochmal eine Dosiserhöhung, wenn man sich gezielter dort engagiert, worauf es in Europa ankommt. Wenn wir die Braunkohleverstromung verhindern, geht es beim Klimawandel nicht mehr um null Komma irgendwas Prozent, sondern da ist eine Eins oder Zwei vor dem Komma.

SB: Ihr seid Aktivisten einer Bewegung, in der es ein breites Bündnis verschiedener Organisationen und Gruppierungen gibt. Ist das aus eurer Sicht ein Bündnis von Menschen, die allen gemeinsame Interessen verfolgen, oder gibt es für euch aus Perspektive der Basisarbeit auch Unterschiede und Grenzen zu anderen Gruppen?

Flo: Sehr angenehm finde ich die Zusammenarbeit mit den Bürgerinitiativen. Zu ihnen haben wir ein gutes Verhältnis. Die wollen einen nicht vereinnahmen oder einem die Show stehlen, wenn die Presse auftaucht. Vielmehr ergänzen wir einander gut, was die verschiedenen Fähigkeiten betrifft, und wir haben Respekt voreinander.

SB: Wie erlebt ihr das, wenn große Organisationen auftauchen, ihren Auftritt vor versammelter Presse haben und hinterher wieder verschwinden?

Timo: Bei Greenpeace ist es eine zweischneidige Sache. Es gibt von denen auch Leute in unserer Gruppe, die sich organisieren und mit Erlaubnis von Hamburg etwas Unabhängiges machen. Die werden inzwischen wieder ein bißchen aktiver. Teilweise sind diese großen Organisationen aber etwas anstrengend. Der BUND hat eine lange Geschichte in der Bewegung und übernimmt einen ganz anderen Part, indem er sehr sinnvolle und gute Arbeit im juristischen Bereich macht. Er baut jedoch keine sozialen Bewegungen auf, das ist der Unterschied. Im Rheinland haben wir eine ganz gute Mischung, verschiedenste Spektren zu vereinen. Es sind ja auch nicht so viele Leute, und wir wissen, daß wir einander brauchen. Daher gehen wir respektvoll mit den verschiedensten Spektren um. Mir macht es Spaß, dort zu organisieren und Aktionen zu planen und umzusetzen. Auch wenn man nicht immer alle Auffassungen teilt, ist der Umgang mit anderen politischen Vorstellungen in den Bündnissen gut. Das ist eine schöne Sache.

SB: Habt ihr manchmal die Erfahrung gemacht, daß jemand kommt und sagt, was ihr da vorhabt, geht mir zu weit? Oder daß Teile der Bewegung nicht bereit sind, bestimmte Aktionen mitzutragen, und euch deshalb ausgrenzen?

Flo: Viel hängt davon ab, wie wir es vermitteln, daß wir bei unseren Aktionen mitunter auch Gesetze übertreten. Wenn wir solche Aktionen vorstellen, hören wir schon mal von Bürgerinitiativen: Darauf haben wir gewartet, daß ihr das macht. Sie unterstützen uns dann.

Rebekka: Wenn wir uns im internationalen Vergleich anschauen, wie Menschen in anderen Ländern Kohleblockaden durchführen oder sich anketten, was dort gang und gäbe ist, betritt man mit solchen Aktionen im Rheinischen Revier zunächst einmal Neuland. Bei einem Vortrag in Buir sagten die Leute zuerst, man müsse wohl dazu geboren sein, in die Bäume klettern zu können oder sich vor einen Kohlezug zu setzen. Hinterher waren sie jedoch total begeistert darüber, wie effektiv solche Aktionen sind, und sagten, wir sind dankbar, daß ihr das gemacht habt. Dann trauen sie sich auch, selber mehr zu machen. Das ist ein Prozeß, in dem beide Seiten etwas voneinander lernen.

Timo: Es gab teilweise auch intern stressige Situationen zwischen den Leuten, die mehr Aktionen planten, und anderen, die das nicht wollten. Einerseits war die BUND-Jugend dabei und andererseits arbeiteten Leute mit, die aus linken Netzwerken oder aus anderen Basisinitiativen kommen. Da gab es intern schon einen Zwist um die Frage, wie weit man gehen darf. Hingegen wurden wir von den Bürgerinitiativen eigentlich nie gebremst. Man muß natürlich schon mit Augenmaß vorgehen, und das ist uns bisher sehr gut gelungen. Da sehe ich noch einigen Spielraum.

Rebekka: Das lebt vom direkten Kontakt. Leute, die uns vor Ort erleben und mitbekommen, wie wir aussehen, wie wir handeln, bekommen Vertrauen und Verständnis und darüber wächst die Vermittelbarkeit.

SB: Geht ihr davon aus, daß man eine Bewegung von unten aufbauen sollte und es ohne diese Basis nicht läuft?

Timo: Ohne diese Basis geht es nicht. Das ist ja auch das Spannende, daß man eine Bewegung nicht mechanisch aufbauen kann. Es hat immer auch mit Zeitgeist und einer Reihe weiterer Dinge zu tun. Andererseits kann man durchaus darauf hinwirken, daß die Bewegung wächst. Das braucht einen langen Atem. Im Rheinland sind wir jetzt zweieinhalb Jahre am Organisieren, und gemessen an dem, was sich in dieser Zeit schon getan hat, bin ich zuversichtlich, daß bei fortgesetztem Engagement in ein paar Jahren etwas richtig Großes daraus wird. Ich kann mir vorstellen, daß das ein zentraler Punkt für eine Klimabewegung werden kann, weil an dieser Schnittstelle viel Zerstörung, aber auch viel Infrastruktur gebündelt ist. Die Region mitten in Europa ist verkehrstechnisch sehr gut erreichbar, Belgien, Frankreich und die Niederlande sind nicht weit. Genauso schnell, wie man von Hamburg aus im Rheinland ist, kommt man von London dorthin. Da sehe ich viel Potential.

Flo: Es waren schon viele Leute aus Holland, Tschechien, Frankreich, England, Schottland auf der Waldbesetzung. So etwas spricht sich weit herum. Deutschlandweit und europaweit registrieren immer mehr Leute, daß das ein Ort ist, an dem in den nächsten Jahren viel passieren kann.

SB: Vielen geht es wohl so, daß sie Braunkohle lange nicht auf dem Radar hatten und sich heute wundern, wie sie deren Bedeutung übersehen konnten.

Timo: Braunkohle ist der Energieträger Nummer eins in Deutschland. Gut 25 Prozent der Energie kommen hier aus der Braunkohleverstromung. An zweiter Stelle folgen interessanterweise mittlerweile schon die Erneuerbaren. Und danach kommt die Steinkohle. Daß sich die Erneuerbaren so schnell entwickelt haben, ist der Wahnsinn, aber Braunkohle bleibt die Schlüsseltechnologie. Wenn wir die Braunkohle kippen, haben wir hier auch die Konzernstrukturen aufgeknackt. Dann gibt es natürlich noch die Steinkohle, aber deren Weltmarktpreis steigt unablässig weiter, so daß sie immer unwirtschaftlicher wird. Hingegen kann Braunkohle mit den vorhandenen Ausbeutungsmechanismen und der Infrastruktur noch für einige Jahre relativ profitabel weitergefahren werden. Wenn wir ihnen dabei das Geschäft versauen, haben wir sie! Wenn wir eine Energiewende wollen, dezentral und von unten, dann steht Braunkohle im Fokus.

SB: Das ist ein Gegner, der einen langen Atem hat. Er kalkuliert Jahrzehnte im Voraus und kann bestimmte Investitionen in der Hoffnung ruhen lassen, daß die Leute unterdessen vergessen haben, was da auf sie zukommt.

Timo: Das ist die mächtigste Industrie in Deutschland. Sie kalkuliert über Fristen von 40 Jahren und länger. In den 70ern haben die mit dem Tagebau Hambach angefangen und den Abbau schließlich bis 2040 genehmigt bekommen. In solchen gigantischen Zeiträumen planen die Energiekonzerne. Das ist total krank, von einer demokratischen Planung und Genehmigung kann keine Rede sein.

SB: Die Menschen, die dem vorrückenden Tagebau weichen sollen, werden ihrer Lebensperspektive und -planung beraubt. Wir haben das bei unserem Besuch in Proschim in Lausitz erfahren, daß in der DDR Zwangsumsiedlungen stattfanden. In der Wendezeit hieß es dann, man lebe jetzt in der Demokratie und habe nichts zu befürchten. Es wurden sogar neue Bewohner im Ort angesiedelt. Wieder ein paar Jahre später bekamen die Menschen von Vattenfall zu hören, daß ihnen doch schon lange klar sein müsse, daß sie natürlich umgesiedelt würden. In einem solchen Wechselbad resignieren viele und fragen sich nur noch, ob sie das Unvermeidliche abwarten oder lieber gleich wegziehen sollten. Gibt es denn im Rheinischen Revier noch viele Dörfer, die von Umsiedlung bedroht sind?

Timo: Ganz viele.

Flo: Es gibt ein Dorf, das gerade abgerissen wird, Manheim beim Hambacher Forst. Dieser Ort steht vor der Umsiedlung.

Rebekka: Dort haben sie schon angefangen, einzelne Leute umzusiedeln, weil ja diese sogenannte Musterumsiedlung durchgeführt werden soll.

SB: Dann ist also ein Teil der Bewohner schon umgesiedelt worden. Wie geht das praktisch vor sich?

Rebekka: Ich weiß nicht, ob sie ein Dorf weit außerhalb neu bauen, das dann Manheim II heißt und wohin sie die Leute peu à peu verfrachten. Irgendwann entsteht am alten Standort rund zwei Jahre, bevor tatsächlich abgerissen wird, ein leeres Geisterdorf.

Timo: Früher wurde das teilweise auf die harte Tour gemacht: Jemand hat das Haus aufgekauft, und sobald einige Bewohner ausgezogen waren, wurde es abgerissen. So lebten die Leute in Ruinendörfern, ihnen wurden auch Wasser und Strom abgestellt. Daß sie nicht mit Schlägertrupps reingegangen sind, war das einzige, was noch fehlte. Diesen Prozeß haben sie inzwischen immer weiter verfeinert auf Akzeptanzbeschaffung hin, eine Umsiedlung light. Es wurde viel Geld und Wissen reingesteckt, um das herrschaftskonform und mit möglichst wenigen häßlichen Bildern hinzubekommen. Es gibt Geisterdörfer, in denen fast keine Leute mehr wohnen. Da kommen dann die RWE-Gärtner, die vor den Geisterhäusern noch die Gärten machen, damit es da schön aussieht. Die Fassade wird bis zum Schluß fein aufrechterhalten, bis alle umgesiedelt sind und über Nacht alles plattgemacht werden kann. Die Konzerne wollen möglichst wenig Reibung und haben das weiter perfektioniert. Sie schreiben sich auf die Fahnen, es so sozialverträglich wie möglich durchzuführen. Man könnte vielleicht sagen, daß es für die Menschen ein bißchen weniger belastend verläuft, doch handelt es sich um eine modernisierte Form der Herrschaft. Mag es auch ein wenig reibungsärmer vollzogen werden, so bleibt es doch traumatisch für die Menschen und macht die Sache natürlich in ökologischer Hinsicht keinen Deut besser.

SB: Modifizieren die Energiekonzerne auch dann ihre Strategie, wenn sie auf wachsenden Widerstand treffen?

Rebekka: Das ist ganz spannend, was wir bei der Waldbesetzung erleben. Die sind zu uns gekommen und haben gesagt, sie wollen den Ball flach halten. Deshalb haben sie ihre Sicherheitskräfte angewiesen, uns nicht zu provozieren. Die ignorieren die Waldbesetzung komplett nach dem Motto: Wenn wir die nicht beachten, gibt es sie nicht. Anfangs hatten die lokalen Zeitungen nicht über uns geschrieben, weil sie von der RWE finanziert werden. Als wir das von uns aus in einem Indymedia-Artikel angeprangert hatten, tauchte die Lokalpresse auf, um das Gegenteil zu beweisen. Seither berichten sie über die Waldbesetzung, und das sogar relativ positiv. Da geht die RWE-Strategie nicht so ganz auf, denn inzwischen kriegen schon ziemlich viele Leute mit, was im Hambacher Forst vor sich geht. Deutlich wird auch, daß viele Menschen aus der Umgebung kommen, die bisher nicht organisiert waren und nun einen Anknüpfungspunkt finden, um ihre Wut über RWE rauszulassen.

Timo: Die Medienstrategie von RWE ist schon für sich genommen interessant. Da sind die besten Medienprofis am Werk, die es zu kaufen gibt. Bei unserer ersten Aktion waren wir mit 25 oder 30 Leuten präsent und hatten unser Vorhaben groß angekündigt. RWE wußte also schon im Voraus davon und hat uns dennoch gewähren lassen. Für uns war das eine wertvolle Organisierungserfahrung, die wir dann bei der zwölfstündigen Kohlezugblockade umgesetzt haben. Der Bekohlungsleiter der Grube - ein Ingenieur, nicht so ein Medien-Fuzzy - kam vorbei und sagte ausnahmsweise einmal ehrlich zu uns, ihr tut uns gerade richtig weh. Dennoch wollten sie keine Räumung, weil eine solche Konfrontation das Thema hochkochen könnte. Sie bauen so viele Sauereien, daß sie nichts gewinnen können, wenn das hochgespült wird.

Wir sind nicht da, weil wir kuscheln wollen. Bei der Jahreshauptversammlung der RWE ging es dann auch schon konfrontativer zu. Letztes Jahr konnten wir richtig blockieren, dieses Jahr schon nicht mehr, und es wurden bei der versuchten Blockade elf Leute verhaftet, die wahrscheinlich ein Verfahren angehängt bekommen. Darauf müssen wir uns einstellen und uns so organisieren, daß wir stark genug sind, auch die Repression auszuhalten und die Bewegung trotzdem wachsen zu lassen. Das ist die Herausforderung.

Flo: Wir suchen die Konfrontation nicht, aber wir wollen die Braunkohleverstromung stoppen. Und das geht in den bestehenden Herrschaftsverhältnissen nur mit Konfrontation.

Timo: Im Fokus des BUND standen immer Garzweiler II und der Ort Borschemich. Um dort Aktionen durchzuführen, mußte man in den Tagebau hineingehen, was für größere Gruppen gefährlich ist. Wir konzentrieren uns auf den Tagebau Hambach, weil sich dort die Schienensysteme befinden. Da fährt alle zehn Minuten ein Riesenzug durch, und man muß nicht auf den Castor warten, der einmal im Jahr vorbeikommt. Es sind die Lebensadern des Reviers, an denen wir aktiv werden können. Unterbrechen wir sie, müssen die Blöcke heruntergefahren werden. Bekämen wir nur zehn Prozent der Anti-AKW-Bewegung dorthin, könnten wir mit direkten Aktionen Druck auf diesen Braunkohlekomplex ausüben. Das ist ein Potential, das aus Sicht der Sozialbewegung Musik in den Ohren sein müßte. Gleichzeitig ist dieser wunderschöne Wald, der Hambacher Forst, ein Symbol für das Leben schlechthin. Es lohnt sich dafür zu kämpfen, daß nicht auch noch die letzten 1.000 Hektar plattgemacht werden. Deswegen ist es strategisch so wichtig, den Wald zu besetzen und dies zu unterstützen.

SB: Habt ihr auch Kontakte zur traditionellen Linken?

Timo: Wir kommen eher aus der linksradikalen Bewegung, der interventionistischen Linken oder ökoanarchistischen Zusammenhängen. Die Partei Die Linke in Nordrhein-Westfalen hat sich gegen die Braunkohle positioniert. Die Grünen haben gerade total verschissen, während sich die Linkspartei bis jetzt immer korrekt verhalten hat. Es sitzen auch ein paar honorige Leute im Braunkohleausschuß. Leider ist Die Linke komplett aus dem Landtag rausgeflogen, was ich sehr schade finde, weil sie eine gute Oppositionsarbeit in dem Bereich gemacht hat. Ich bin zwar kein Freund von Parteien, aber die waren schon in Ordnung.

SB: Welche Erfahrungen habt ihr mit der Regionalpresse gemacht?

Flo: Naiv, aber positiv.

Timo: Als wir ins Rheinische Revier gefahren sind, dachten wir, dort sei alles gleichgeschaltet. Dann kam das Klimacamp und mit ihm ein guter Artikel nach dem anderen im Kölner Stadtanzeiger. Da es sich um ein DuMont-Blatt handelt, dachten wir vorher, da kriegen wir nie was rein. Natürlich gab es auch Gegendarstellungen und seitenweise Werbeartikel der RWE. Dennoch hatte ich es mir schlimmer vorgestellt: Macht man gute Pressearbeit, hat man eine Chance, relativ gut reinzukommen.

Flo: Allerdings hat damals die lokale Presse über die Waldbesetzung in Frankfurt zunächst durchgehend positiv berichtet. Als jedoch die Repression von staatlicher Seite verschärft und massiv Druck auf die Besetzer ausgeübt wurde, kippte die Stimmung von heute auf morgen in der FAZ, der Neuen Presse und anderen Zeitungen um. Nun hieß es, daß die angeblichen Retter des Waldes von Öko-Terroristen und anderen Militanten durchsetzt seien, die sich im Wald besaufen und ihn selber zerstören. Im Grunde gehen wir davon aus, daß es hier im Hambacher Forst ähnlich laufen könnte.

SB: Wo ist die Anti-AKW-Generation geblieben? Wenn damals im ersten Anlauf 10.000 Menschen kamen, hat man beim nächsten Mal 20.000 erwartet. Könnt ihr euch vorstellen, daß die Antikohlebewegung gleichermaßen wachsen wird, wenn eine jüngere Generation Streitbarkeit an dieser Front entwickelt?

Timo: Zwangsläufig, die Klimabewegung kommt. Die Frage, welchen Preis wir in Zukunft für die vorherrschende Wirtschaftsweise bezahlen, ist für mich praktischer Antifaschismus. Wenn sich die Biokrise noch weiter zuspitzt, führt das zu einer Barbarisierung. Das wichtigste ist, jetzt die Gemeingüter wie ein stabiles Klima und Wasser zu verteidigen. Das sieht jetzt schon katastrophal aus und wird sich immer weiter zuspitzen. Wenngleich ich kein Freund der Verelendungstheorie bin, wird sich meines Erachtens im Zuge der weiteren Zuspitzung klar abzeichnen, wo man kämpfen muß. Sollen nicht spätere Generationen sagen, wie konntet ihr das nur zulassen, ist es unsere Aufgabe, das verbliebene Zeitfenster zu nutzen und den Kampf zu forcieren, ohne uns zu verlieren. Wir müssen unseren Aktivismus entschieden fortsetzen und dürfen nicht ausbrennen. Da wir noch wenige sind, ruht verdammt viel Verantwortung auf wenigen Schultern. Wir haben jedoch das Potential, eine breite Bewegung zu werden. Vorerst reicht unsere Kraft nicht, mehr als die Waldbesetzung und die Klimacamps zu schaffen. Um die Zahlen zu erreichen, die wir gerne hätten, brauchen wir wohl noch ein weiteres Jahr. Wir befinden uns jetzt in einer kritischen Phase: Achten wir darauf, uns nicht zu verheizen und organisch zu wachsen, können wir die Bewegung auf mehr Schultern verteilen und stabiler aufbauen.

Rebekka: Ich glaube auch, daß die Klimabewegung kommt. Es wird im globalen Norden und auch hier in Deutschland einen Knackpunkt geben, an dem viele erkennen, daß man nicht länger bequem leben kann. Dann müssen die Menschen prüfen, wie nicht nur das Energiesystem, sondern auch das gesamte Wirtschaftssystem und die Lebensweise radikal verändert werden kann, damit wir nicht weiter auf Crashkurs steuern. Ich bin überzeugt, daß die Klimabewegung im globalen Süden auf jeden Fall wachsen und Druck ausüben wird. Das wird dazu beitragen, daß sich auch die Menschen hierzulande entscheiden.

SB: Das erinnert an das Verhältnis der Deutschen zu Griechenland, die sich noch abzugrenzen versuchen und die Griechen bezichtigen, sie hätten selber schuld an der Misere, die einzig und allein ihr Problem sei. Solange es uns nur halbwegs gutgeht, sollen die andern dafür bezahlen. Mit zunehmender Verarmung der Bundesbürger dürfte auch hier die Auffassung bröckeln, das uns das nichts angeht, weil es hier nicht passieren kann.

Timo: Die Anti-Braunkohlebewegung wird wohl nicht so stark werden wie die Anti-AKW-Bewegung, weil man schon Internationalist sein muß, um mit dem Begriff Klimagerechtigkeit etwas anfangen zu können. Ich glaube jedoch, daß sie in eine linke Bewegung mit lokalem Widerstand münden kann, weil die Menschen vor Ort körperlich unter Asthma, Krebs und anderen Krankheiten leiden. Das kann eine schlagkräftige Bewegung werden, die genügend Wirkung entfaltet, um die Braunkohleverstromung zu kippen. Da die Reviere hoch modular aufeinander abgestimmt sind, kann man sie auch mit direkten Aktionen angreifen. Dazu bedarf es wachsenden gesellschaftlichen Drucks, der die Gegenbewegung stärkt. Als heimischer Energieträger ist die Braunkohle nur solange eine vermeintlich kostengünstige autonome Lösung, wie man die Folgen ausblendet: Zerstörte Dörfer, Böden, Wasserhaushalte, Gesundheit und sogar Infrastruktur, da für den Tagebau Hambach für 150 Millionen Euro Steuergelder eine ganze Autobahn verlegt wird.

SB: Ihr seid heute in Hamburg am Ende eurer Infotour angelangt. Wie ist sie gelaufen? Welche Rückmeldung habt ihr bekommen?

Flo: Vom Beehive Collective waren alle begeistert, und nicht wenige Leute sind durch den Bericht über den Widerstand in Deutschland aufmerksam geworden. Gestern in Berlin mußten die Leute sogar im Flur stehen, weil der Raum bei dem Andrang zu klein war. Viele haben gesagt, daß sie zu unseren Camps kommen wollen, und ich hoffe, daß sich einige tatsächlich einbringen werden.

Rebekka: Die Infotour war ziemlich spontan, wir haben das alles in zwei Wochen organisiert und mußten es kurz gestaffelt durchführen. Mit längerer Vorlaufzeit hätten wir sicher noch mehr Leute mobilisiert. Da Braunkohle bislang eher ein Nischenthema war, ist die Tour superhilfreich, da unsere persönlich Präsenz eine große Rolle spielt. Die Menschen wollen sehen, wer hinter den Kampagnen steckt. Ich habe ein gutes Gefühl. An den Orten, die wir besucht haben, waren die Leute, mit denen wir gesprochen haben, durchweg sehr angetan.

Flo: In vielen Städten beginnen sich gerade Kernzellen von Menschen zu bilden, die am Klimacamp teilgenommen haben, auf der Waldbesetzung waren oder uns auf der Tour gesehen haben. Die erzählen das in ihren Städten weiter. Ich habe das Gefühl, daß das schnell explodieren kann.

Rebekka: Wenn wir nächstes Jahr die Tour machen, bringt jeder noch einen weiteren mit, und dann sind wir doppelt so viele.

SB: Das war ein schönes Schlußwort. Rebekka, Flo und Timo, vielen Dank für dieses ergiebige Gespräch.



Fußnoten:

[1] Siehe dazu Schattenblick - INFOPOOL - UMWELT - REPORT BERICHT/020: Bagger fressen Erde auf - Wenn ganze Berge weichen müssen ... (SB) http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0020.html

BERICHT/021: Bagger fressen Erde auf - Basisaktivismus gegen Braunkohletagebau (SB) http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0021.html

[2] http://hambacherforst.blogsport.de/

[3] http://waa.blogsport.de/

[4] http://www.ausgeco2hlt.de/

Diaprojektion zu aktuellen Klimacamps - Foto: 2012 by Schattenblick

Aufklärung und Aktion
Foto: 2012 by Schattenblick

12. Juli 2012