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INTERVIEW/023: Bagger fressen Erde auf - Wendelin Sandkühler über das System Braunkohle (SB)


Ressourcenschonende Lebensweise verdient mehr Aufmerksamkeit

Interview in Köln am am 29. Juni 2012

Der Student Wendelin Sandkühler ist im Netzwerk ausgeCO2hlt aktiv, das eine breite Protestbewegung gegen den Braunkohletagebau und die Kohleverstromung im rheinischen Revier organisiert. Anläßlich der Sitzung des Regionalrats der Bezirksregierung Köln am 29. Juni 2012, in dem die politische Weichenstellung für den Bau des Braunkohlekraftwerks BoAplus in Niederaußem vollzogen wurde [1], beantwortete Wendelin dem Schattenblick einige Fragen zu den Positionen und Ziele dieser Protestbewegung.

Im Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Wendelin Sandkühler
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Wendelin, könntest du bitte erklären, seit wann du dich gegen den Braunkohleabbau engagierst und wie es dazu gekommen ist?

Wendelin Sandkühler: Seit dem letzten Winter, davor habe ich mich mit globaler Gerechtigkeit und Klimawandel beschäftigt. Mich hat dann aber überrascht und zugleich erschrocken, daß ein maßgeblicher Teil dieser Problematik direkt vor meiner Haustür stattfindet, und zwar nicht nur vor meiner, sondern vor der Haustür von Hunderttausenden Studierenden und jungen Leuten, die für das Thema durchaus sensibilisiert sind, ihre Ernährung umstellen und sich verzweifelt überlegen, wie sie Strom sparen oder wohin sie aus ethischen Gründen noch reisen können. Aber Braunkohle sagt den meisten gar nichts, und das Rheinische Braunkohlerevier kennt auch kaum jemand. Deshalb habe ich mir gesagt, daß das im Dezember neu formierte Netzwerk ausgeCO2hlt gerade im Jahr des deutschen Atomausstiegs und der Energiewende großes Potential besitzt und diese junge, globale und vielleicht auch pragmatische Perspektive jede Art von Unterstützung verdient, die sie bekommen kann.

SB: Welche Gruppen oder Organisationen sind in dem Netzwerk vertreten?

WS: Das Netzwerk ist im wesentlichen aus dem Klimacamp hervorgegangen, das schon zweimal am Rand des Tagebaus stattfand. Sie wurden maßgeblich von der BUNDjugend NRW organisiert. Das Netzwerk hat sich dann aber unabhängig von der BUNDjugend formiert; das Klimacamp war nur der Impuls zu seiner Gründung. Je nach Bedarf und Thema gibt es eine gewisse institutionelle Unterstützung durch den BUND oder die BUNDjugend. Außerdem hat es Bürgerinitiativen mit ins Boot geholt, die auch an den Klimacamps beteiligt waren und sich insbesondere in den Dörfern direkt am Tagebau organisiert haben. Das Netzwerk ist seitdem gewachsen und jetzt maßgeblich mit der Vorbereitung des Klimacamps Anfang August beschäftigt.

SB: Befindet sich der Widerstand gegen den Braunkohletagebau derzeit im Aufwind und wird er auch über die Kreise der Aktivisten hinaus wahrgenommen?

WS: Das ist ganz unterschiedlich. Für die Studierenden an meiner Universität, die sich für Nachhaltigkeit interessieren, die neoliberalen Wirtschaftswissenschaften kritisieren und nach Alternativen suchen, ist Braunkohle kein besonderes Thema. In der NRW-Landespolitik sind selbst die Grünen Bündnispartner der Kohlepartei SPD, und sogar die Jusos sind äußerst pragmatisch in dieser Frage. Deshalb ist ein Zusammenschluß zu einem starken Netzwerk wie ausgeCO2hlt, das ein zivilgesellschaftliches Engagement gegen den Klimawandel und für soziale Gerechtigkeit im Fokus hat, ein wichtiger Schritt gewesen. Was auf Landesebene geschieht, hat viel mit der Bundesebene zu tun. Nach der Atomkatastrophe in Fukushima hat die Politik in den Atomausstieg eingewilligt und gesagt, was wollt ihr mehr, liebe Öko-Bewegung, wenn wir jetzt auch noch den Kohleausstieg forcieren, dann ist das unrealistische Träumerei. Man kann nicht beides auf einmal haben, ihr müßt euch also entscheiden.

SB: Deutschland ist Förderweltmeister bei der Braunkohle, dennoch wird Kohle zur Stromgewinnung importiert. Wieso soll das nötig sein?

WS: Steinkohle wird in großen Mengen importiert. Das liegt daran, daß sie einen höheren Energiewert hat. Braunkohle ist wesentlich feuchter und deswegen nicht so energieintensiv, erzeugt aber mindestens genausoviel CO2 pro Gewichtseinheit und hat dadurch eine höhere Klimawirkung als Steinkohle. Daher lohnt es sich nicht, Braunkohle über längere Strecken zu transportieren und deshalb stehen die Kraftwerke von RWE auch direkt neben den Tagebauen für Braunkohle. Anläßlich der Hauptversammlung von RWE Ende April gab es eine Protestaktion in Essen von ausgeCO2hlt und anderen Organisationen wie zum Beispiel urgewald.

Ich habe dort im Handelsblatt eine Aktienanalyse gelesen. Darin nennt der Handelsblatt-Redakteur als wichtigsten Grund, warum Aktionäre RWE-Aktien kaufen, die günstige Braunkohle. Die Ressourcen sind also vorhanden, und die Politik hat die Regeln so gesetzt, daß man sie günstig ausbeuten kann. Die Kraftwerke stehen direkt neben den Kohlegruben, da muß man das Zeug nur noch verbrennen, um einen Riesenprofit zu machen. Daran zeigt sich aus einer anderen Perspektive ganz gut, wie das System Braunkohle funktioniert. Es ist in gewisser Weise ein Nischen-Energieträger. Wenn man sich die chinesische oder indische Entwicklung anschaut, von der man sagt, daß da jede Woche ein neues Steinkohlekraftwerk ans Netz genommen wird, und sich dann vor Augen hält, daß Deutschland Föderweltmeister ist, aber dennoch sehr viel Steinkohle importiert, muß man sich doch die Frage stellen, wo die Steinkohle herkommt. Aus Kolumbien beispielsweise kommt ein kleiner Teil. Die NGO FIAN, die sich eigentlich für das Recht auf Nahrung einsetzt, führt eine Kampagne "Licht an für die Menschenrechte" durch, bei der es um Menschenrechtsfragen beim Steinkohleimport insbesondere in Kolumbien geht.

SB: Ein gängiges Argument für Kohleverstromung lautet, daß wir in einer Wachstumsgesellschaft leben und entsprechende Energieträger brauchen. Wie weit wird im Widerstand gegen Braunkohlekraftwerke die Frage aufgeworfen, ob man vielleicht auch ein anderes Gesellschaftsmodell und eine andere Lebensform entwickeln müßte, um die Forderung nach der Abschaffung von Atom- und Kohlekraftwerken überhaupt realistisch stellen zu können?

WS: Für die Mehrheit der Aktivisten bei ausgeCO2hlt steht die Frage nach dem Lebensstil und den individuellen Möglichkeiten, die mit dem Wirtschaftssystem und möglichen Alternativen zusammenhängen, im Zentrum. Das zeigt sich auch am hohen Anspruch an demokratische Prozesse im Klimacamp, das in diesem Jahr als größte Veranstaltung von ausgeCO2hlt geplant ist. Es soll auch eine Art Experiment werden, wie man ressourcenschonend und basisdemokratisch gemeinschaftlich leben kann, ohne irgendwelche Verzichtswörter oder ähnliches in den Mund nehmen zu müssen, und genau dadurch auch attraktiv sein kann für junge Leute. Das bedeutet auch einen Zugewinn an Lebensqualität und wird auch nach außen so kommuniziert. Natürlich wird auch über wachstumsgetriebenen Kapitalismus gesprochen, um zu zeigen, daß Kapitalismuskritik und die Suche nach Alternativen zum Wirtschaftssystem stark mit Braunkohle und insgesamt dem Energiesektor zu tun haben.

Aufs einfachste heruntergebrochen kann man sagen, daß die große Frage, die AktivistInnen links von der Mitte bewegt, nämlich wie wir unser Wirtschaftssystem sauber und grün kriegen, eine Energiefrage ist. Also letztlich müssen das die Energieexperten lösen. Alle hoffen darauf, daß die Innovationen aus dem Bereich Technik kommen und alles richten werden. Das Netzwerk geht auf jeden Fall einen Schritt weiter. Für mich persönlich ist es unverständlich, wie man als verantwortlicher Politiker oder auch Manager in Kauf nehmen kann, auf eine Innovation zu hoffen, die ähnlich dem Internet die Welt revolutioniert, indem der Großteil der wirtschaftlichen Produktion innerhalb von ein paar Jahrzehnten so umgestaltet wird, daß keine ökologischen Schäden mehr angerichtet werden.

SB: In diesem Zusammenhang gibt es auch eine Diskussion zum Thema Postwachstumsgesellschaft. Wie beurteilst du das Bewußtsein für diese Problematik unter Jugendlichen?

WS: Die Wachstumsfrage treibt viele junge Leute um, vor allem unter Studierenden. Das Schlagwort Postwachstumsökonomie, das Niko Paech geprägt hat, der meiner Wahrnehmung nach extrem inspirierend für Tausende von jungen Leuten ist und schon so eine Art Popstar der Postwachstumsbewegung geworden ist, und das andere Schlagwort Postwachstumsgesellschaft, für das man Angelika Zahrnt vielleicht als Ideengeberin nennen könnte, obwohl sie das Buch zusammen mit Irmi Seidl geschrieben hat, verbreiteten sich schnell in vielen alternativen Kreisen und in den Universitäten. Eine Schwachstelle dabei ist allerdings, daß ein Wort wie Braunkohle nach dem Deutschland der 50er und 60er Jahre klingt und mit Technik und Physik assoziiert und daher von den allermeisten nicht mit der Wachstumsdebatte in Verbindung gebracht wird. Zugespitzt könnte man sagen, den alternativen, vielleicht vegan lebenden und sich für Postwachstum interessierenden Leuten geht Braunkohle am Arsch vorbei. Es dringt nicht durch, daß gerade junge Leute ein massives Problem damit haben, was bei wichtigen Gremien wie hier dem Regionalrat entschieden wird.

Wenn ein Klimagipfel stattfindet, ist das natürlich viel attraktiver für junge Leute. Insbesondere wenn sie Sozialwissenschaften oder ähnliches studieren, ist ihnen das Prozedere näher. Man konnte in Kopenhagen und jetzt auch in Rio oder über Kampagnenwebsiten wie Avaaz oder 350.org ganz gut sehen, wie sich weltweit eine junge Zivilgesellschaft formiert und skandiert: Wir wollen klimaschonend leben, und zwar sofort - system change, not climate change. Aber so ein technisches Thema wie Braunkohle damit in Verbindung zu bringen, ist noch ein blinder Fleck in meiner Generation.

SB: Aber COP 15 und Rio+20 werden hinsichtlich der Ergebnislage negativ bewertet. So müßten Gipfel als Kulminationspunkt von Entscheidungsprozessen bei den Aktivisten viel an Strahlkraft verloren haben, weil man nicht daran vorbeikommt zu erkennen, daß sich darüber nicht viel bewegen läßt?

WS: Ja, richtig. Nachdem sich abgezeichnet hatte, daß man sich in Rio keine großen Illusionen mehr in Hinblick auf Ergebnisse machen muß und dieser schöne Prozeß, der vor 20 Jahren angestoßen wurde, immer mehr im Sande verläuft, war mit dem Jubiläum auch eine Art Beerdigungsstimmung zu spüren. Jetzt wurde gerade bekannt, daß die Stadt Köln dem Nachhaltigkeitsnetzwerk, das ungefähr 70.000 Euro im Jahr kriegt, die Gelder streichen will mit der Begründung, daß sie sich selbst um die Nachhaltigkeit kümmern wollen. Das Netzwerk nennt sich KölnAgenda und ist aus dem Agendaprozeß hervorgegangen. Daran kann man erkennen, wie diese vielen lokalen Prozesse, die damals angestoßen wurden, immer mehr von der Bühne verschwinden. Dennoch ist es wahrscheinlich eine sehr gute Möglichkeit, sich mit den vielleicht erst einmal bieder und kleinräumig erscheinenden Themen vor der Haustür zu beschäftigen und lokale Bündnisse und direkten Austausch zu suchen. Dazu gibt es meiner Meinung nach im wesentlichen zwei Aspekte. Das eine sind eben Aktionen wie die Camps, die es auch schon öfter gab und für viele Leute attraktiv sind. Das andere ist, den Impuls aus dem Camp in die Gesellschaft und möglichst auch in die Politik und Wirtschaft weiterzutragen, indem man beispielsweise vor der RWE-Hauptversammlung mit einem breiten Bündnis Präsenz zeigt.

SB: Diese Aktion RWE Unplugged war doch eine direkte Konfrontation mit der Kapitalmacht. Schließlich hat man es mit einem Konzern und mit Aktionären zu tun, die Kapital investieren, dem es letztlich gleichgültig ist, wie es sich verwertet. Inwieweit regt das Aktivisten an, sich auch mit Fragen der kapitalistischen Ökonomie und Mehrwertproduktion zu beschäftigen?

WS: Wenn man den ganzen RWE Unplugged-Protest nimmt oder alle Gruppen, die vor der Grugahalle in Essen präsent waren, gibt es grob gesagt zwei Herangehensweisen. Der Zugang der AktivistInnen im ausgeCO2hlt-Netzwerk, das eher aus jungen Menschen besteht, verläuft originär über die Beschäftigung mit Kapitalismus und Wachstumsfixierung. Darüber sind viele auf das Klimathema gekommen und haben seine Relevanz erkannt, da viele Dinge vor der Haustür oder in NRW passieren. Der andere Zugang wären etablierte NGOs wie Robin Wood, Greenpeace, urgewald und ein Stück weit auch Parteien wie Die Grünen und Die Linke, die eher aus dem Kontext von Sachfragen in Essen waren. Ich möchte diese beiden Herangehensweisen gar nicht gegeneinander ausspielen, weil es vielleicht auch eine ganz gute Arbeitsteilung ist und jeder seinen Schwerpunkt hat.

Beispielsweise hat sich urgewald auf riskante Kraftwerksprojekte von RWE im Ausland konzentriert und versucht, die großen Aktionäre, die beauftragt werden, um die Interessen von vielen Kleinaktionären zu vertreten, umzustimmen. Das hat wohl zu einem Erfolg geführt. Vor etwa zehn Tagen wurde jedenfalls bekanntgegeben, daß RWE unter dem neuen Vorstandsvorsitzenden keine neuen Atomkraftwerke im Ausland bauen wird. Da gab es zwei Projekte in Osteuropa, die immer wieder heftig kritisiert wurden. Die Grünen und Die Linke denken natürlich landespolitisch. Die Grünen beispielsweise stellen die Forderung auf, wenn neue Kohlekraftwerke gebaut werden sollen, dann nur mit einem noch höheren Wirkungsgrad als bisher geplant und nur auf Flächen, auf denen schon ein alter Industriebetrieb abgerissen wurde, so daß es zu keiner neuen Versiegelung kommt.

Das ist dem ausgeCO2hlt-Netzwerk zu pragmatisch. Die Position des Netzwerks - deswegen ist die heutige Sitzung im Regionalrat auch so wichtig - ist hingegen, daß es durchaus realistisch und machbar wäre, ganz auf einen Neubau zu verzichten. Den gleichen Standpunkt vertritt auch Greenpeace. In vielen Fragen und langfristigen Zielen sind sich Grüne und Greenpeace, gerade was erneuerbare Energien betrifft, einig, aber in der Landespolitik hier im Kohleland NRW zeigen sich die Grünen meiner Einschätzung nach deutlich pragmatischer. Demgegenüber agieren die jungen Leute aus der antikapitalistischen Bewegung und Greenpeace fast schon auf derselben Ebene.

SB: Wie bewertest du die Verheißung der Effizienzsteigerung bei Braunkohlekraftwerken, die ja bis dahin gehen soll, daß überhaupt keine CO2-Emissionen mehr stattfinden?

WS: Das ist meiner Meinung nach eine Schein- bzw. Ablenkungsdebatte im Sinne von Greenwashing. Ich habe mir erst gestern die Studie angesehen, die Greenpeace kürzlich zu der Frage veröffentlicht hat, wie sich denn der Kohleausstieg gestalten ließe. Da geht es ganz stark um das Thema Gas, das eigentlich seit Anbeginn der Erneuerbare-Energien-Forschung im Prinzip von den meisten renommierten Experten als die eigentliche und einzige Brückentechnologie genannt wird, und eben auch um die Feststellung, daß Kohle die Entwicklung und Wirtschaftlichkeit von Gaskraftwerken behindert. Nach meiner persönlichen pragmatischen Einschätzung und dem heutigen Stand der ökologischen Wirtschaftsforschung wie den meisten Umweltschutzorganisationen zufolge lautet die Antwort auf den immer wieder von der Politik erhobenen Vorwurf, es ginge nicht alles auf einmal, da die Versorgungssicherheit gefährdet sei, daß sich mögliche Schwankungen im Leistungsbedarf technisch mit Gaskraftwerken auffangen lassen, weil sie flexibel hochgefahren werden können. Richtig ist allerdings auch, daß sie momentan nicht wirtschaftlich sind. Wenn unvorhergesehen plötzlich viel Strom benötigt wird, dann werden als erstes die Braunkohlekraftwerke hochgefahren, weil sie am billigsten Strom produzieren, dann die Steinkohlekraftwerke und erst später die Gaskraftwerke. Letztere haben eben keine starke Lobby und sind nicht so attraktiv wie Solar und Windkraft, obwohl sie für die Tagespolitik der Grünen ein entscheidender Faktor sind, vielleicht sogar wichtiger als die Netz- oder Speicherdebatte.

SB: Angesichts der Krise des Euro gibt es in der Politik die starke Tendenz, das wirtschaftliche Wachstum und die Sicherung des ökonomischen Bestands zu Lasten aller anderen Politikfelder zu verabsolutieren. Müßten sich Klima-Aktivisten in diesen Bereichen nicht schlau machen und Argumente finden, um den von der Politik ausgehenden Druck zu kontern?

WS: Auf jeden Fall. Man muß sich überlegen, daß eine auf einem achtsamen entschleunigten Lebensstil basierende, ökologisch und ressourcenschonend ausgerichtete Wirtschaftsweise für jedes Individuum auch Stabilität mit sich bringt, weil man unabhängiger von externen, fossilen Ressourcen ist und sich auch ein Stück weit in die Lage versetzt, sich selbst zu helfen und gerade wirtschaftliche Krisen besser wegstecken zu können. Wenn man sagt, daß es auch um den eigenen Lebensstil und die Lebensumstände geht, kommt man nicht umhin, sich mit den Nachbarn zu arrangieren, wie man gewisse Ressourcen auch gemeinschaftlich nutzen kann. Das berührt natürlich auch die Frage nach der Lebensqualität. Was muß ich von den Dingen, die ich für meine Lebensqualität und meine Ziele benötige, kaufen und was kann ich anders organisieren.

SB: Wie weit gehört deiner Ansicht nach ein Bewußtsein für ökonomische Vorgänge zum Klima-Aktivismus dazu?

WS: Der Impuls, der viele Klimaaktivisten dazu bewegt hat, sich zu engagieren, ist ein globaler Gerechtigkeitssinn. Wenn man sich stärker für den Klimawandel interessiert, gehört es natürlich dazu, sich über ökonomische und insbesondere energiewirtschaftliche Fragen schlau zu machen. Das liegt auf der Hand. Aber ich denke, vielen ist durchaus bewußt, daß wirtschaftliche Krisen wie die von den USA ausgehende Finanzkrise auch Ängste heraufbeschwören. Ängste vor Abhängigkeit, vor Knappheit und vor hohen Preisen für Ressourcen, all diese Dinge haben beispielsweise die Transition-Town-Bewegung hervorgebracht. Wenn man eine ökologische Wirtschaftsweise, sozusagen ein immer weiter erneuerbares Energiesystem forciert, wird dieser Druck ein Stück weit herausgenommen.

Ganz simpel gesprochen ist die Eurokrise auch eine der Krisen, die ganz eng mit der Klimakrise und anderen Krisen zusammenhängen. Die Krisen bedingen sich gegenseitig. Das Charmante daran ist aber auch, wenn man in einem Krisenbereich große Fortschritte macht und die Politik und Gesellschaft dazu bringt, weitergehende Maßnahmen wie zum Beispiel im letzten Jahr den Atomausstieg zu beschließen, dann löst man damit zum Teil auch andere Krisen. Ein Beispiel für solche Zusammenhänge ist das No Border Camp, das Mitte bis Ende Juli hier in der Nähe stattfindet und gerade langfristig den in seiner Bedeutung kaum zu unterschätzenden Aspekt der Landrechte und Vertreibung sowie der Flucht durch Klimawandel wieder sehr stark mit Klimagerechtigkeit, dem ausgeCO2hlt-Netzwerk und - da CO2 global und unendlich lange wirkt - auch mit unserem Tagebau und dem regionalem Energieversorger RWE verknüpft. Daher findet das nächste Vorbereitungstreffen für das Klimacamp im Rahmen des No Border Camps statt, in dem es um Antirassismus mit starkem Bezug zu Antiziganismus und mit Aktionen gegen Abschiebung geht. Genauso wird es auf dem Klimacamp einen Teilbereich geben, der sich mit Antirassismus und Flüchtlingsfragen auseinandersetzt.

SB: Das geht doch weiter als in der früheren Umweltbewegung, wo man gewissermaßen Angst um seinen Vorgarten hatte und alles jenseits des eigenen Zauns ohne Relevanz blieb. Auch in der Friedensbewegung fürchtete man die Mittelstreckenraketen vor allem deshalb, wenn sie das eigene Land bedrohten, aber sobald in anderen Ländern Krieg geführt wurde, sank die Zahl der Proteste.

WS: Diesen Wandel im ausgeCO2hlt-Netzwerk als auch teilweise in der Umweltbewegung, der die Gemeinsamkeiten betont, empfinde ich als ganz angenehm. Und es macht Sinn. Denn in der Atom- und Kohlefrage beispielsweise kann man ganz gut sehen, wie die Bewegungen gegeneinander ausgespielt werden, indem man die Kohle für obsolet erklärt und diskreditiert. Der Name ausgeCO2hlt spielt ja auf .ausgestrahlt an. Es gibt keine direkten Zusammenhänge, aber eine gegenseitige Solidarität ist wichtig. So versucht ausgeCO2hlt, die Antiatombewegung miteinzubeziehen und sich gegenseitig zu befruchten. Wie auch Greenpeace in Studien zeigt, in denen der erste Kohlemeiler 2012 abgeschaltet wird, vor allen Dingen jedoch keine neuen hinzukommen und vielleicht in 15 Jahren die Hälfte aller Kohlemeiler stillgelegt sind, ist beides gleichzeitig auch aus einer pragmatischen realpolitischen Sicht möglich.

Ich würde gerne noch ergänzend anfügen, daß die Erforschung von, vereinfacht gesagt, Saubermachtechnologien wie CCS keinen Sinn macht. Jegliche Forschung, bei der es darum geht, den Wirkungsgrad um ein paar Prozent zu verbessern und CO2 abzuscheiden, verzögert eben nur die eigentlich notwendigen Dinge. Das sind gefährliche Ablenkungsmanöver. Der Schwerpunkt sollte darauf liegen, als allererstes politische Rahmenbedingungen zu schaffen, damit es den Leuten leichter fällt, ressourcenarm zu leben. Es gibt ja kaum Angebote dafür. Die Palette für Fragen, wie ich mich gesund ernähren kann, was natürlich aus einer egoistisch motivierten Perspektive kommt, ist dagegen breit. Doch zu einem ressourcenschonenden Umgang gibt es kaum Konzepte oder Fördergelder.

Wenn man schon eine Brückentechnologie braucht, dann sollte der Fokus auf Gas liegen. Nicht, daß ich mißverstanden werde, an Gaskraftwerken ist nichts Positives. Sie sind ein notwendiges Übel, das man in der politischen Debatte noch braucht. Das ausgeCO2hlt-Netzwerk ist schon so ambitioniert, daß die Leute, die dort aktiv sind, den festen Willen und auch sicherlich genug Kreativität, Mut und Lebensfreude haben, um auch ohne Gaskraftwerke glücklich leben zu können. Das wäre dann der nächste Schritt.

SB: Wendelin, vielen Dank für das Gespräch.

Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0019.html