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INTERVIEW/083: Atommüll ohne Ende - Verbrannte Zukunft, Henning Garbers im Gespräch (SB)


Atommüll ohne Ende - Auf der Suche nach einem besseren Umgang

Eine Tagung von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen unter der Federführung des Deutschen Naturschutzrings (DNR) am 28./29. März 2014 in Berlin

Interview mit Henning Garbers vom Asse-II-Koordinationskreis



Der Zustand von über 125.000 Fässern mit schwach- und mittelradioaktivem Abfall im ehemaligen Salzbergwerk Asse II in Niedersachsen ist nur partiell bekannt. Die Sicherheitslage unter Tage könnte man als undurchsichtig bezeichnen. Manche Metallfässer waren schon beim Verbringen in den Kammern in mehreren hundert Metern Tiefe beschädigt worden, andere sind längst durchgerostet und geben ihren strahlenden Inhalt in die Umgebung ab. An einigen Stellen dringt Wasser in die komplexe Schachtanlage. Noch handelt es sich um keine großen Mengen, da aber der Atommüll besonders langlebige Isotope enthält, unter anderem des Plutoniums, nimmt die potentielle Gefährdung von Umwelt und Gesundheit stetig zu. Es ist offensichtlich: Das Salz der Asse bildet keine sichere Barriere gegen das Eindringen von Grundwasser und es verhindert nicht den Ausfluß von verstrahltem Wasser.

Die Angaben zu Art und Menge des radioaktiven Abfalls, der hier versenkt wurde, mußten im Laufe der letzten Jahre, in denen das schon ältere Problem allmählich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erreicht hat, nachgebessert werden. Viele Menschen in der Region haben ihr Vertrauen sowohl in die Verantwortlichen, so sie denn überhaupt namentlich kenntlich zu machen sind, als auch in die Politik allgemein verloren.

Ein wichtiges Datum in der jüngeren Geschichte der Asse bildet der 1. Januar 2009. Damals wurde dem Helmholtz-Zentrum die Zuständigkeit entzogen und dem Bundesamt für Strahlenschutz übertragen. Damit einher ging die Anerkennung, daß die Asse nicht mehr nach dem Bergrecht, sondern nach dem Atomrecht behandelt werden mußte.

Ein weiterer Eckpunkt in der Geschichte der Schachtanlage Asse ist der 28. Februar 2013, als der Deutsche Bundestag das "Gesetz zur Beschleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der Schachtanlage Asse II" beschloß.

Das Heraufholen der Fässer ist technisch kaum zu bewerkstelligen und seinerseits mit erhöhten Gesundheitsgefahren für die daran Beteiligten verbunden. Auf die Bergung zu verzichten hieße jedoch, ein unkalkulierbares Risiko einzugehen. Würde man die Fässer unter Tage lassen, wäre es vermutlich nur noch eine Frage der Zeit, daß die verstrahlte Lauge die Restbarrieren vollends durchbricht und wasserführende Schichten in der gesamten Region kontaminiert. Zudem würde die Gefahr wachsen, daß sich irgendwann explosive Gase bilden und es zu einem Blow-out kommt ... dabei liegt die Krebsrate in der Samtgemeinde Asse bereits heute um ein Mehrfaches über dem zu erwartenden Wert.

Die Kosten der Rückholung werden auf vier bis sechs Milliarden Euro geschätzt und sollen vom Bund getragen werden. Es hätte dieses Beweises, daß Atomenergie nicht nur umwelt- und gesundheitsschädlich, sondern auch exorbitant teuer ist, nicht bedurft, doch zeigt die Asse-Problematik, wie gesellschaftliche Partikularinteressen der Allgemeinheit aufgelastet werden.

Porträt - Foto: © 2014 by Schattenblick

Henning Garbers
Foto: © 2014 by Schattenblick

Einer, der sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat und weiterhin auseinandersetzt, ist Henning Garbers vom Asse II-Koordinationskreis [1], einem Zusammenschluß kritischer Gruppen. Wenngleich die Asse seinen thematischen Schwerpunkt bildet, arbeitet er auch mit Initiativen zu anderen Standorten in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, wie zum Beispiel Morsleben, Gorleben und Schacht Konrad, zusammen. Am zweiten Tag der Konferenz "Atommüll ohne Ende - Auf der Suche nach einem besseren Umgang" von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen am 28./29. März 2014 in Berlin beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen:

Schattenblick (SB): Könnte es zu Krankheitsfällen kommen ähnlich denen in der Elbmarsch oder in den Gebieten in der Nähe von Atomanlagen, falls das Bergwerk Asse "ausläuft" und das Grundwasser kontaminiert wird? Wie schätzt du die Gesundheitsgefahr ein, die von der Asse ausgeht?

Henning Garbers (HG): Es ist natürlich unheimlich schwer, zu prognostizieren, was passieren kann und welche Regionen davon betroffen sein werden. Es kann sein, daß sich die radioaktiven Stoffe unterirdisch ausbreiten, wobei die Wasserwegsamkeiten überhaupt nicht bekannt sind. Möglicherweise kommt das in Lüneburg raus oder wandert in die Aller. Man kann gar nicht sagen, daß allein die Leute, die direkt über dem Asse-Schacht wohnen, ein Problem haben. Sondern die Probleme können an ganz anderen Stellen in - das muß man natürlich zugestehen - vielen Jahren erst auftreten und zwar schleichend. Uns ist es natürlich wichtig, darauf hinzuweisen, daß so etwas nicht ausgeschlossen werden kann.

SB: In der Arbeitsgruppe zu den Medien [2] wurde gesagt, daß die Berichterstattung zur Asse von der Presse manchmal übertrieben ausfällt. Schätzt du das auch so ein?

HG: Ich würde die Verhältnisse in der Asse nicht mit Atomreaktorkatastrophen vergleichen. Aber ich finde dieses Stichwort wichtig, denn es besagt, daß es Gebiete gibt, die kontaminiert sind und in denen vielleicht bestimmte Auflagen gelten, beispielsweise daß man kein Gemüse anbauen oder verzehren darf. Daß es zu so dramatischen Vorgängen kommt, gilt es für die Asse unter allen Umständen zu verhindern.

SB: Wenn Radioaktivität aus der Asse austritt, ist das dann unaufhaltsam? Kann dann niemand etwas dagegen machen?

HG: Richtig, richtig. Darum haben die Entscheidungen, die heute getroffen werden, unter Umständen unheimlich schwerwiegende Auswirkungen. Das alles muß wirklich gut überlegt und durchdacht werden, um einfach alle Eventualitäten, soweit sie sich überhaupt abschätzen lassen, ausschließen zu können. Alle Gefährdungen sollte man einmal durchdenken und sich gegebenenfalls noch mehr Zeit nehmen, um bessere Lösungen zu finden.

SB: Du bist auf jeden Fall für die Rückholung des Atommülls?

HG: Auf jeden Fall. Wenn der Müll in der Asse verbleibt, ist er sich selbst überlassen und nicht mehr beherrschbar. Wenn er beherrschbar sein soll, dann muß man ihn nach oben holen.

SB: Besteht nicht das nächste Problem darin, daß Schacht Konrad als möglicherweise alternatives Lager für Atommüll im Gespräch ist, aber daß dieses sogenannte Endlager auch nicht hält, was es verspricht?

HG: Richtig, wir können nur einen weniger schlechten Zustand erzeugen. Natürlich steht der Müll dann in einem Zwischenlager über Tage und dafür müssen dann genauso wie für den ganzen anderen Atommüll in Deutschland Lösungsansätze diskutiert und gefunden werden. Wir wollen nur ein Risiko weniger haben.

SB: Du hast dir heute die Arbeitsgruppe zur Rolle der Medien und ihrer Verantwortung beim Atomkonflikt ausgesucht. Mit welcher Erwartung bist du dort hineingegangen?

HG: Ich war natürlich gespannt zu sehen, welche Medienvertreter kommen, was sie aus ihrem "Geschäft" berichten und ihre Innenansichten hören. Auf welche Themen wird reagiert? Wie wird der Atomkonflikt aufgearbeitet? Umgekehrt stellt sich aus unserer Sicht der Initiativen die Frage: Wie können wir Themen anbieten, die auch aufgegriffen werden? Wir wollen natürlich mit unserem Anliegen an die Öffentlichkeit kommen. Insbesondere beim Atommüll geht es uns auch darum, eine gesellschaftliche Debatte zu befördern. Da spielen die Medien natürlich eine ganz entscheidende Rolle.

SB: Haben sich deine Erwartungen an die Arbeitsgruppe erfüllt?

HG: Ja und nein. Einerseits gab es schon ganz interessante Innenansichten zu hören, beispielsweise über die Schwerpunkte, auf die es den Medien ankommt, und die Unterschiede zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Medien und Boulevard-Journalismus. Andererseits wurde in der Diskussion oft hin und her gesprungen, und es wurden viele Statements abgegeben. Aus meiner Sicht war das dann nicht so spannend, denn viele Sachen kannte ich schon.

SB: Wie stehst du zu der Grundfrage der hiesigen Tagung: Soll man sich an einer von der Regierung eingesetzten Kommission für die Endlagersuche beteiligen oder nicht?

HG: Ich bin der Meinung, daß für die Initiativen eine Beteiligung unter den aktuellen Voraussetzungen nicht sinnvoll ist, weil einfach die Grundlagen nicht stimmen. Es geht nicht darum, welches Image man eventuell hat, sondern es geht um einige Grundsatzpositionen. Diese gilt es nach außen zu tragen und zu vermitteln. Ich fand den letzten Beitrag des taz-Journalisten [2] sehr interessant, der die Reaktion einiger Medien auf eine mögliche Absage der Umweltverbände an die Kommission wiedergab und sagte: "Jetzt tun die Verbände so, als wären sie beleidigt und machen nicht mit." Eine Absage würde bei seinen Kollegen gar nicht gut ankommen.

Das finde ich natürlich bedenklich. Das wollen wir auf gar keinen Fall so vermitteln. Wir wollen klar machen, daß wir gute Gründe haben, in der jetzigen Form nicht in die Kommission einzusteigen.

SB: Herzlichen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://www.asse2.de/

[2] AG 5: Rolle der Medien und ihre Verantwortung beim Atomkonflikt
Mit Mit Axel Schröder (Deutschlandradio), Malte Kreutzfeldt (taz), Manfred Ladwig (Report Mainz), Klaus Brunsmeier (BUND) und Peter Dickel (Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad)

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4. April 2014