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INTERVIEW/095: Treffen der Wege - Pilze, Pflanzen, Landwirtschaft ... Prof. Andres Wiemken im Gespräch (SB)


Die Farbe der Forschung II
Das Innovationspotenzial von Beziehungen

Symposium am 7./8. März 2014 in Berlin

Professor emeritus Andres Wiemken über das WWW, das Wood Wide Web, in dem Pilze und Pflanzen in Symbiose leben



Wer einmal etwas anderes als Beton, Asphalt oder Sand unter seinen Füßen spüren will und querfeldein über eine Wiese oder durch einen Wald wandert, ahnt vermutlich nicht, daß er über ganze Welten schreitet, die von Myriaden Lebewesen bewohnt sind. In der größtenteils lichtlosen Sphäre des Boden existieren Gesellschaften, deren Mitglieder aus Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen bestehen, die ständig miteinander kommunizieren, wechselseitig Stoffe austauschen, Partnerschaften fürs Leben eingehen und auch Gefahren gemeinsam durchstehen. Selbst die - nach menschlichen Bewertungskriterien - "nutzlosen" Zeitgenossen, die immer nur nehmen, werden geduldet, sind Bestandteil des "Netzes", wie es der Schweizer Mykorrhiza-Experte Prof. em. Andres Wiemken von der Universität Basel nennt.

Beim Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

Prof. Dr. Andres Wiemken
Foto: © 2014 by Schattenblick

Mykorrhiza, ein Wort, mit dem sich Auge und Mund anfangs ein wenig schwer tun, vor allem, wenn ihm noch das Adjektiv "arbuskulär" vorangestellt wird. Mit der arbuskulären Mykorrhiza ist jenes unterirdische Netzwerk aus feinsten Pilzfäden, die Nährstoffe aus dem Boden aufnehmen und über bestimmte Schnittstellen an die Pflanzenwurzeln abgeben, gemeint. Umgekehrt werden die Pilze mit Photosyntheseprodukten der Pflanzen, also letztlich mit Energie versorgt. Und "arbuskulär" bedeutet, daß die zarten Pilzfäden in Bäumchenform innerhalb bestimmter Wurzelzellen den Nährstoffwechsel betreiben. Rund 80 Prozent der Pflanzenarten haben arbuskuläre Mykorrhiza.

Die "Autobahnen" dieses Geflechts aus Pilzfäden (Hyphen) kann man gerade noch mit bloßem Auge erkennen, die "Kreisstraßen" schon nicht mehr, und davon gibt es viele. In einem einzigen Kubikzentimeter gut durchwachsenen Wiesenbodens befinden sich gut und gerne über 100 Meter Pilzfäden. Über diese faszinierende Welt sprach Prof. Wiemken am 7. März auf dem Symposium "Die Farbe der Forschung II - Das Innovationspotenzial von Beziehungen". Am Rande der Tagung faßte der Schattenblick mit einigen Fragen an den Schweizer Forscher nach.


Schattenblick (SB): Sie haben in Ihrem Vortrag über Pflanzen-Mykorrhiza-Netze gesagt, Knollenblätterpilze ißt man nur einmal. Ist die Giftigkeit dieses Pilzes eine Abwehrmaßnahme oder worauf wird sie zurückgeführt?

Prof. Andres Wiemken (AW): Das ist eine spannende Frage, denn man weiß nicht, was es mit diesen mysteriösen Pilzstoffen auf sich hat. Einige Pilze sind sehr giftig. Es gibt aber auch Tiere, die fressen den Knollenblätterpilz ohne fatale Folgen, für andere ist er hingegen so tödlich wie für uns Menschen.

SB: Es gibt somit keine erkennbare Funktion für die Giftigkeit der Pilze?

AW: Nein, in vielen Fällen ist das ein Rätsel.

SB: Bei den Pilzen scheint die Giftigkeit verbreiteter zu sein als bei den Pflanzen. Wie kommt es, daß ausgerechnet sie es sind, die vermehrt solche Giftstoffe produzieren?

AW: Nun, man kann viele Pilze essen, nur wenige (<5% der darauf getesteten Pilze) wurden als giftig befunden. Selten sind sie tödlich, hingegen wirken sich einige bekanntlich auf die Psyche aus. Aber warum sie das machen, das weiß man nicht. Fruchtkörper von Pilzen werden oft sogar dazu produziert, um von Tieren gefressen zu werden, damit die darin gebildeten Sporen über den Kot verbreitet werden.

Einzelner Grüner Knollenblätterpilz - Foto: George Chernilevsky, freigegeben als gemeinfrei via Wikimedia Commons

Knollenblätterpilz - Amanita phalloides (Vaill. ex Fr.) Link, 1833. Ukraine, 25. August 2011
Foto: George Chernilevsky, freigegeben als gemeinfrei via Wikimedia Commons

SB: Sie haben heute viel über Kooperation bei Pilzen gesprochen. Gibt es in der Welt der Pilze auch Konkurrenzkämpfe wie zwischen anderen Bodenbewohnern, beispielsweise um Nährstoffe und Wasser, möglicherweise auch um Besiedlungsplätze auf den Pflanzen?

AW: Ja, auch unter Pilzen gibt es Konkurrenz, aber mir ging es vor allem darum, die Frage zu stellen, ob die Vielfalt der Pflanzen an einem Standort durch Pilze beeinflußt wird. Da findet eine Zusammenarbeit statt. Beispielsweise leben viele Pilze saprophytisch, d.h. von totem Pflanzenmaterial - sie "kompostieren" und fördern damit die Bodenfruchtbarkeit. Andere wiederum werden direkt von den lebenden Pflanzen mit Photsyntheseprodukten ernährt. Diese Pilze können sich dann die Mineralstoffe im Boden, die von den saprohytischen Organismen freigesetzt werden, schnappen und zu Wurzeln lebender Pflanzen leiten, wo sie gegen Photosyntheseprodukte eingetauscht werden können. Diese Pilze heißen Mykorrhizapilze. Es hängt da im Boden alles irgendwie zusammen.

SB: Die Pilze haben auf jeden Fall auch einen Vorteil von diesem symbiotischen Verhältnis?

AW: Ja, ja, die einen sind davon völlig abhängig, die können sich nur über eine enge Symbiose mit lebenden Pflanzen ernähren. Insbesondere die arbuskulären Mykorrhizapilze sind völlig darauf angewiesen. Sie können die Wurzeln von praktisch allen Pflanzen auf dem Lande befallen. Man hat lange versucht, diese für die Nährstoffversorgung der Pflanzen sehr hilfreichen Pilze auf künstlichen Medien zu züchten - erfolglos, trotz Zugabe aller Nährstoffe und Vitamine, von denen man denkt, daß diese Pilze sie sich von der Pflanze holen! Niemand konnte diese Pilze je in vitro in Abwesenheit einer lebenden Pflanze züchten.

SB: Wie kommt es, daß Pilze, die zu einem anderen biologischen Reich gehören als Pflanzen, so eine Form der Zusammenarbeit eingegangen sind, daß ihr Überleben davon abhängt? Und daß umgekehrt Kräuter in Abwesenheit der Pilze verkümmern, also vom Leben abgehalten werden, und erst mit den Pilzen gedeihen? Gibt es da von der Evolutionstheorie her Ideen zu solchen Entwicklungen?

AW: Ja, aus Untersuchungen an Fossilien von den ersten Landpflanzen hat man geschlossen, daß die Pflanzen ohne die arbuskuläre Mykorrhiza-Symbiose gar nie vom Meer auf das Land hätten kommen können. Der Grund dafür ist der, daß einige Nährstoffe, vor allem Phosphor und auch mehrere Mikronährstoffe, in so geringer Konzentration in gelöster Form und pflanzenverfügbar im Boden vorkommen, daß sie nur sehr schwer aufzutreiben sind. Das hätten die Pflanzen mit ihren Wurzeln alleine nicht schaffen können. Die Pilze dagegen bilden ein feines Netzwerk von Hyphen, das sich überallhin im Boden ausbreitet und Nährstoffe sammeln kann. Andererseits betreiben Pilze keine Photosynthese. Sie brauchen Partner, die das können und ihnen die Energie und die Bausteine liefern, die sie für das Wachstum und die Arbeit des Nährstoff-Sammelns brauchen. So ergab sich eine ideale, für die beiden Partner mit ihren besonderen, sich ergänzenden Fähigkeiten vorteilhafte, also mutualistische Symbiose.

Etwas ähnliches ist von den Flechten her bekannt, einer mutualistischen Symbiose zwischen Pilzen und einer oder zwei Arten von Mikroorganismen. Der Pilz schafft ein für die Symbiose vorteilhaftes Milieu und übernimmt die Mineralstoffversorgung sowie den Wasserhaushalt. Er organisiert auch die Beziehung zwischen den Symbiosepartnern. Essentielle Funktionen in dieser Symbiose erfüllen die Mikrosymbionten, das können Grünalgen sein oder auch Blaualgen, also Cyanobakterien. Beide Organismen sind zur Photosynthese befähigt, sie können also aus Wasser und Luft (Kohlendioxid), unter Nutzung der Lichtenergie von der Sonne, Kohlehydrate synthetisieren. Blaualgen können zudem Stickstoff aus der Luft fixieren. All das bieten die Blaualgen an und geben es an den Pilz-Partner ab. Der Pilz stellt sozusagen die "Behausung" mit günstigem Milieu für seine Mikrosymbionten-Partner her, so daß sich die Lebensgemeinschaft, die Flechte, an Felswänden oder Bäumen verankern sowie Trockenheit und Hitze ertragen kann. Er bildet beispielsweise Schleim zur Aufnahme und Speicherung von Wasser aus feuchter Luft und Regen.

SB: Der Pilz wird somit zum Vermittler zwischen Grünalgen und Blaualgen in der Flechte?

AW: Ja, doch es wird noch erstaunlicher, nämlich wenn drei Partner in einer Flechte vergesellschaftet sind, eine Grünalge, eine Blaualge und ein Pilz. Dann kann der Pilz das so organisieren, daß sich die beteiligten Mikrosymbionten spezialisieren. Die Blaualge wird so gehalten, daß sie kein Licht bekommt. Von ihrer Natur her könnte sie Photosynthese betreiben, macht aber dann nur Stickstoff-Fixation. Die Grünalge, die sowieso nicht Stickstoff fixieren kann, übernimmt die Aufgabe der Photosynthese. Sie braucht aber auch Stickstoff und den erhält sie von der Blaualge, vermittelt über den Pilz. Nun benötigt die Blaualge für die Stickstoff-Fixierung sehr viel Energie und die erhält sie von der Grünalge in Form von Photosyntheseprodukten, wiederum vermittelt duch den Pilz. Würde die Blaualge beides machen, also Stickstoff-Fixierung und Photosynthese, dann wäre das viel weniger effizient. Beides geht nicht gut zusammen, da bei der Photosynthese Sauerstoff freigesetzt wird, der Gift ist für das Enzym, das für die Stickstoff-Fixierung gebraucht wird. Der Pilz organisiert also den Haushalt mit dem Stoffaustausch zwischen den Symbiose-Partnern, so dass sich dieses gänzlich autarke, sozusagen "perfekte" Mischlebewesen, die Flechte, entwickeln kann.

Bei den Pflanzen ist das ähnlich aufgrund ihrer Abhängigkeit von Nährstoffen aus der Erde. Die Wurzeln vieler Pflanzen können sich unglaublich fein verzweigen und Mineralstoffe, die sich in Ackerböden im Verhältnis zu früheren Zeiten durch Düngung angereichert haben, mehr oder weniger selbständig aufnehmen. Für die Hirse in dem Experiment, das ich beschrieben habe, war der Pilz für die Nährstoffversorgung offenbar nicht so wichtig, zumindest in der untersuchten Entwicklungsphase der Hirse. Möglicherweise hätte die Hirse in einer späteren Entwicklungsphase doch noch das von ihr gesponserte Netzwerk der Mykorrhizapilze auch selbst noch zur Nährstoffaufnahme genutzt.

Benachbarte Pflanzen sind über gemeinsame Netzwerke von Mykorrhiza-Pilzen miteinander verbunden. Da kann man sich vorstellen, daß eine Pflanze, je nach Lebensphase, gerade sehr viel Phosphor oder andere Nährstoffe aus dem Boden benötigt und eine benachbarte andere gleichzeitig nur ganz wenig; sie könnten sich dann im Gebrauch des gemeinsam unterhaltenen Mykorrhiza-Netzwerkes beiderseitig vorteilhaft arrangieren. Das wäre wie ein dynamischer Marktplatz.

Freigelegte, feine Hyphen und andere Bodenbestandteile - Foto: Mike Guether, freigegeben als CC-BY-3.0 Unported via Wikimedia Commons

Hyphen, die Verkehrswege des dynamischen Marktplatzes. Lotus corniculatus var. japonicus kolonisiert durch Gigaspora margarita, 8. März 2006
Foto: Mike Guether, freigegeben als CC-BY-3.0 Unported via Wikimedia Commons

SB: Wie kann man sich so ein Netz vorstellen, das von einer anderen Lebensform gebildet wird, aber dann eine Kommunikation zwischen zwei und möglicherweise auch noch verschiedenartigen Pflanzen ermöglicht?

AW: Eben! Ja, das ist eine hoch interessante Frage. Wie kann das reguliert werden, wie können die alle das miteinander jonglieren? Läuft das auf die berühmte "Tragedy of the Commons", die Tragik der Allmende hinaus? Das ist ein Problem, das unter Ökonomen hitzig debattiert wird. Bei dieser Vorstellung wird behauptet, daß so etwas langfristig nicht funktionieren kann, ein Gemeingut werde übernutzt. Es werde betrogen, so daß das System über kurz oder lang zusammenbricht. Nicht so bei der Mykorrhiza-Symbiose, die schon seit der Landnahme der Pflanzen vor ca. 500 Millionen Jahren existiert. Dies, obwohl einige Pflanzen bekannt sind, die aus dem gemeinsamen Mykorrhiza-Netzwerk, das von anderen Pflanzen mit Photosyntheseprodukten versorgt wird, nur Nährstoffe beziehen und anscheinend nichts beitragen - also "betrügen". Aber es funktioniert.

SB: Auch Pflanzen, die nur nehmen, gehören also dazu?

AW: Ja, sie werden geduldet.

SB: Was würde passieren, wenn man diejenigen Pflanzen, die nur nehmen, aus dem Verbund rauszöge, würde dann das ganze System des Zusammenlebens kollabieren? Oder erfüllen Pflanzen, die nur nehmen, dennoch eine bestimmte Funktion?

AW: Es könnte sein, daß man solche Funktionen einfach noch nicht erkannt hat. Man hat bis jetzt vor allem die Nährstoffaufnahme gemessen, vielleicht gibt es andere Funktionen, die diese Pflanzen zum Vorteil aller erfüllen.

SB: Laienhaft spekuliert, vielleicht könnten das dann eine Art Müllentsorger sein, die dafür sorgen, daß sich bestimmte Stoffe im Boden nicht anreichern.

AW: Daß sie den Boden verbessern? Boden ist ein unglaublich kompliziertes System. Ein Kubikzentimeter Boden - also ein Kaffeelöffel - enthält Milliarden Individuen von Lebewesen und über eine Million von verschiedenen Arten. Diese Vielfalt kann man sich gar nicht vorstellen! Und die müssen alle miteinander auskommen, kommunizieren. Da ist ja auch verblüffend, dass die Pflanzen mit den Wurzeln erkennen müssen: Dieser Pilz hilft mir, den kann ich in die Wurzeln einwachsen lassen - aber jener macht mich krank, den muß ich abhalten. Da kennt die Wissenschaft schon einige der "Diskussionen", die da vorangehen zwischen Pflanzen und Pilzen; der Pilz muß sich als Helfer mit spezifischen Stoffen ausweisen, nur dann kann er in die Wurzel hineinwachsen, sonst wird er abgewehrt.

SB: Ich möchte noch einmal auf Ihren Vortrag Bezug nehmen. Sie zeigten ein Foto von einem degradierten, verwüsteten Boden in der Ganges-Ebene in Indien. Wie kam es zu dieser Wüstenbildung?

AW: Im Rahmen der grünen Revolution wurde die Landwirtschaft unter Anwendung externer Ressourcen gewaltig intensiviert, vor allem durch Mechanisierung, Düngung und Ausdehnung der mit Grundwasser bewässerten Flächen. Dadurch kam es zur Anreicherung von Salzen im Oberboden und zur Bildung verkrusteter, undurchlässiger Schichten. Der Boden verliert seine Struktur, erodiert und schließlich kann keine Pflanzen mehr wachsen.

SB: Galt das auch für die Pilze im Boden?

AW: Ja, da sie von den Pflanzen abhängig sind. Das Land versteppt, es kommt mancherorts sogar bereits zur Wüstenbildung. Das ist verrückt, die riesige, einst äußerst fruchtbare Ganges-Ebene, von der die Ernährung von Millionen von Menschen abhängt, ist bedroht. Die Flüsse, die aus dem Himalaja kommen, werden übernutzt und das Land kaputtgemacht. Vielerorts wurde bei fallenden Erträgen immer mehr Dünger appliziert und bei Wassermangel auch salziges Wasser auf die Felder gepumpt, immer drauf und drauf und am Schluß, als in der Folge immer weniger wuchs und es sich einfach nicht mehr lohnte, sind die Leute weggegangen.

SB: An welche Einflüsse, die die Zerstörung bewirkt haben, denken Sie als erstes, wenn Sie so eine verödete Fläche sehen? Kommt das von unten her?

AW: Die Versalzung spielt eine wichtige Rolle. Salze werden im Unterboden gelöst und reichern sich bei mangelndem Wasser für die Bewässerung im Oberboden an, weil das Wasser an der Oberfläche verdunstet. Das führt zur Zerstörung der Bodenstruktur und Hemmung des Pflanzenwachstums.

SB: Könnte es sein, daß dieser Effekt durch die Klimaveränderung verstärkt wird?

AW: Ja, vor Klimaveränderungen, die Wassermangel bewirken, hat man in Indien große Angst Eigentlich müßte man mehr Wasser zum Bewässern zur Verfügung haben, damit das durch unsachgemäße, mangelnde Bewässerung bereits angereicherte Salz in den Böden wieder ausgeschwemmt werden kann. Im Bundesstaat Rajasthan, der sehr trocken ist, muß immer tiefer nach Wasser gebohrt werden. Der Grundwasserspiegel sinkt jährlich, so daß immer tiefer gebohrt werden muß, an vielen Orten bis ein Meter tiefer pro Jahr. Dann braucht es auch zunehmend teurere Energie, um das Wasser raufzupumpen. Mancherorts besteht auch das Problem, daß das Grundwasser zunehmend versalzt, weil Meerwasser eindringt. Weltweit in ariden Gebieten wird oft hemmungslos gebohrt, das Grundwasser angezapft und am Schluß kommt nur noch Salzwasser, mit dem bewässert wird, bis das Land unfruchtbar ist und die Landbewohner in die Slums der Megastädte abwandern müssen.

Agri-Kultur wurde in Indien, zum Beispiel in der Ganges-Ebene, über Jahrtausende nachhaltig betrieben und man konnte vielerorts bis dreimal im Jahr ernten. In den trockeneren Gebieten Indiens war das natürlich schwierig, es gab hoch raffinierte Wassersammelanlagen, "Water harvesting systems", die während der Regenzeit gefült werden konnten. Die Regenzeit war jedoch auch früher schon erratisch, weil der Monsun nicht zuverlässig eintraf.

SB: Wie entwickelt sich ein so komplexes System wie der Boden, wenn man eine verödete Fläche wiederbeleben will?

AW: Es hat sich bewährt, ganze Erdschollen mitsamt Pflanzen von benachbarten natürlichen Standorten zu verpflanzen. Das wird manchmal in der Schweiz gemacht, wenn die Eingriffe durch Anlagen von Skipisten renaturiert werden sollen. Es genügt nicht, einfach nur rasch wachsendes Gras zu säen und zu düngen. Damit kann man zwar eine Fläche rasch ergrünen lassen - im ersten Jahr mag das wunderbar aussehen, aber in den folgenden Jahren wird dort bald nichts mehr wachsen und der Boden erodiert sein.

SB: Man würde da demnach ein angepaßtes, komplex funktionierendes System, eine Art Organismus reinverpflanzen, damit er sich ausbreitet?

AW: Ja, das hofft man. Man verpflanzt Inseln mit allen Teilnehmern, die zum System gehören.

SB: Wie kann sich der Mensch in das System, diesen "funktionierenden Organismus" einfügen? Gibt es eine Möglichkeit, daß er versteht oder vielleicht besser versteht, daß er mit seinem Nutzinteresse ein Störfaktor in dem ganzen symbiotischen Geschehen ist?

AW: Er muß sich wieder mehr - wie das heute mehrmals gesagt wurde - als ein Teil dieser Symbiose sehen: Da ist sein Baum, auf dem er sitzt und der ihn ernährt, zu dem er Sorge tragen muß, wenn ihm das Leben lieb ist. Er muß schauen, wie sich die Natur natürlicherweise in Kreisläufen organisiert - die Natur als Lehrmeister anerkennen - und dann muß er es möglichst ähnlich machen, so daß die Natur nicht mehr nur "Umwelt" sondern wieder Teil von ihm selbst wird.

Mich haben die Tribals in Indien beeindruckt. Die haben es verstanden, dort über Jahrtausende in Gesellschaft von Elefanten, Büffeln, Tigern u. a. zu leben. Man sieht sie kaum in den Wäldern, da ihre Siedlungen aus einfache Hütten bestehen, die nur mit Ästen, Lehm und Blättern gefertigt sind. Im Wald roden sie nur wenige Büsche und Bäume, um mannigfaltige Pflanzen kultivieren zu können. Haustiere, meist Kühe, werden mit Ästen aus dem umliegenden Wald gefüttert. Das Sammeln von Ästen und Blättern für das Vieh, das Schneiteln, war auch in unseren Regionen früher allgemein üblich. Im Umkreis der Siedlungen kommt es dadurch zum Eintrag von etwas Nährstoffen über den anfallenden Mist und damit werden von den Tribals ertragreiche Gärten mit vielfältigen Mischkulturen und Agro-Forst-Systemen unterhalten. Die Siedlungen sind unauffällig in die Landschaft eingebettet unter weitgehender Erhaltung der natürlichen Vegetationsstruktur, quasi ein Teil der Natur. Große Bäume werden meist stehengelassen, nur etwas Samen und Stauden hier und da verteilt auf leicht entbuschten Plätzen - es ergeben sich hochgradig biodiverse, sich weitgehend selbst regulierende, nachhaltige und produktive Ökosysteme. Das ist eigentlich ideal, aber man kann das nicht so leicht nachmachen. Von den Tribals könnte man jedenfalls mehr darüber lernen als an Universitäten.

SB: Herzlichen Dank, Herr Prof. Wiemken, daß Sie sich die Zeit für uns genommen haben.

Baumreihen nebeneinander auf Wüstenboden - Foto: LRBurdak, freigegeben als CC-BY-3.0 Unported via Wikimedia Commons

Jojoba-Plantagen (Simmondsia chinensis) im Kampf gegen die Dersertifikation der Thar-Wüste, Indien
Foto: LRBurdak, freigegeben als CC-BY-3.0 Unported via Wikimedia Commons

Weitere Berichte und Interviews zum Berliner Symposium "Die Farbe der Forschung II" vom 7. und 8. März 2014 finden Sie unter dem kategorischen Titel "Treffen der Wege":
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml
und
http:/www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

BERICHT/067: Treffen der Wege - Ökosynaptische Knoten (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0067.html

BERICHT/068: Treffen der Wege - Urknallverständigung (SB)
Gedanken zum Vortrag von Saira Mian "Am Schnittpunkt von Kommunikationstheorie, Kryptographie und Agrarökologie"
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0068.html

BERICHT/070: Treffen der Wege - Von Auflösungen auf Lösungen (SB)
Über den Vortrag von Ina Praetorius "Beziehungen leben und denken. Eine philosophische Spurensuche"
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0070.html

INTERVIEW/077: Treffen der Wege - Reform alter Werte, Ina Praetorius im Gespräch (SB)
Ina Praetorius über Beziehungen, den Wandel wörtlicher Werte und das Postpatriarchiale Durcheinander
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0077.html

INTERVIEW/078: Treffen der Wege - Das Flüstern im Walde, Florianne Koechlin im Gespräch (SB)
Florianne Koechlin über das Bewußtsein und die Würde von Pflanzen sowie über Grenzen, die der Mensch verletzt
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0078.html

INTERVIEW/088: Treffen der Wege - Ökoideologische Träume..., Biobauer Sepp Braun im Gespräch (SB)
Josef Braun über die Vernetzung von Wald, Wiese und Acker
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0088.html

INTERVIEW/089: Treffen der Wege - Kahlfraß und Kulturen, Prof. Dr. K. Jürgen Friedel im Gespräch (SB)
Professor Dr. K. Jürgen Friedel über Pflanzennährstoffmobilisierung, Nährstoffwirkung, Nährstoffmangel, Forschungsmethoden und Rudolf Steiner
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0089.html

INTERVIEW/094: Treffen der Wege - Grüne Netze aus der Hand ... Dr. Christa Müller im Gespräch (SB)
Dr. Christa Müller über die Auflösung der Grenze zwischen Kultur und Natur am Beispiel der Stadtentwicklung
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0094.html

16. April 2014