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INTERVIEW/118: Kohle, Gifte, Emissionen - Zerrüttet, kränker und allein, Thomas Landmann im Gespräch (SB)


Wenn Atmen zum Krankheitsrisiko wird ...

Interview in Bergheim-Rheidt am 24. Mai 2014



Dr. med. Thomas Landmann ist als niedergelassener Arzt für Innere Medizin im Rhein-Erft-Kreis in Pulheim, Ortsteil Dansweiler, tätig. Am Rande des Netzwerktreffens diverser Initiativen und Organisationen aus dem Braunkohlewiderstand beantwortete der Mediziner und Aktivist dem Schattenblick einige Fragen zu den gesundheitlichen Folgen der Braunkohleförderung und -verstromung.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Thomas Landmann
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Thomas, was hat dich veranlaßt, das Netzwerktreffen zu besuchen?

Thomas Landmann: Das ist das dritte Netzwerktreffen, an dem ich teilnehme. Ich bin letztlich über die Wald- und Wiesenbesetzung dazugekommen, auch weil ich angeboten habe, Leute ohne Krankenversicherung zu behandeln. Ich bin an vielen Dingen interessiert, auch im Sport stark verwurzelt und habe viel mit den Menschen hier zu tun. Ich habe mich immer engagiert, wenn es irgendwie machbar war oder um wichtige Dinge ging, die die eigene Heimat betrafen. Die Heimatverbundenheit der Menschen wird oft unterschätzt, sie ist aber hier stark ausgeprägt. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben viele Menschen, die im Osten ihre Heimat verloren hatten, hier eine Bleibe gefunden. In diese Region kamen auch viele Migranten, weil Braunkohle und Kraftwerke damals ein Faktor bei der Arbeitsplatzvergabe waren.

SB: Hast du als hier praktizierender Arzt konkrete Erfahrungen mit den Auswirkungen des Braunkohletagebaus gemacht?

TL: Bei meinem Beruf als Arzt geht es nicht um Politik, ich behandle jeden, egal, ob er RWE-Vorstandschef, Asylant oder Waldbesetzer ist. Über diese Schiene bin ich mit dem Braunkohlewiderstand in Berührung gekommen. Später wurde ich von Bürgerinitiativen gebeten, Stellung dazu zu nehmen. Wir haben in der Folge auch ein paar Aktionen durchgeführt wie den Qualitätszirkel zum Gesundheitszustand der hiesigen Bevölkerung.

Wir können gesundheitliche Auswirkungen nur subjektiv wahrnehmen. Aus Gesprächen bei Fortbildungskursen mit Kollegen und aus Zeitschriften kann ich jedoch entnehmen, daß wir hier vermehrt Atemwegserkrankungen haben. Dies betrifft vor allem das hyperreagible Bronchialsystem im Sinne einer Überempfindlichkeit des Atemwegssystems, die sich durch einen Husten, der nach Infekten einfach nicht weggeht, äußert. Daß dies hier in der Gegend häufiger auftritt, weiß ich, weil ich mit Kollegen aus anderen Teilen Deutschlands spreche, wo es definitiv weniger vorkommt. Die Ursachen sind letztendlich unklar. Wir führen es auf die Kölner Bucht zurück, in der zum einen wegen des schlechten Klimas häufig Migräne, psychische und Atemwegserkrankungen diagnostiziert werden. Zum anderen haben wir im Kölner Raum eine hohe Belastung durch die Chemiewirtschaft. Hinzu kommen der immense Flug- und Autoverkehr und schließlich noch die Braunkohle vor der Tür.

Die Braunkohleverbrennung hat stark zugenommen, vor allem nach dem halbwegs abgeschlossenen Atomausstieg. Wir registrieren zudem eine auffällige Häufung mancher Tumorarten, obwohl die Krebsregister in meinen Augen sehr schlampig geführt werden. Das ist kein Geheimnis. Gemeinsam mit der AOK versuchen wir jetzt, das Krebsregister stärker zu vernetzen bzw. für einen besseren Austausch der Informationen zu sorgen. Mir ist auch eine Zunahme gewisser neurologischer Erkrankungen aufgefallen, die mit Bewegungseinschränkungen bis hin zu kompletten Lähmungen einhergehen, wie zum Beispiel Multiple Sklerose und vor allem Amyotrophe Lateralsklerose, bei der es eine Inzidenz bzw. Prävalenz von 1 zu 100.000 gibt, aber alleine in meiner Praxis sechs Patienten betroffen sind.

Weil das in meinen Augen sehr viel war, habe ich mich an eine Kapazität in Ulm gewandt, die mir vom Krankenhaus empfohlen wurde. Er sagte mir, das wäre Zufall. Jetzt haben wir eine Quecksilberstudie auf dem Tisch. Im Augenblick versuche ich mit Greenpeace und anderen Experten herauszufinden, ob sich da eventuell ein Zusammenhang herstellen läßt. Allerdings ist die Ursache dieser Erkrankung unbekannt. Man vermutet lediglich eine erhöhte Quecksilber-Exposition. In dieser Sache arbeite ich mit einem Kinderarzt aus Köln, der mit mir zusammen auch den nächsten Qualitätszirkel machen wird, zusammen. Er hat ein Projekt laufen, bei dem er die Hirnentwicklung unter Chemikalieneinfluß bei Kindern erforscht.

SB: Bestände angesichts der vermehrten Krankheitsfälle nicht Anlaß genug, die schädlichen Auswirkungen von Feinstäuben, Quecksilber und Uran auf den menschlichen Körper in den Mittelpunkt ätiologischer Untersuchungen zu stellen?

TL: Durchaus, und deswegen haben wir auch Kontakt zu Krankenkassen im Raum Aachen aufgenommen. Der Krankheitszusammenhang ist allerdings sehr schwierig nachzuweisen. Man kann zwar heute anhand der Größe der Partikel bzw. Feinstaubkörner feststellen, daß sie nicht von Autoabgasen stammen, da der Straßenverkehr ein Hauptfeinstoff-Faktor ist, was vor allem Dieselfahrzeuge betrifft, aber ein epidemiologischer Nachweis ist schwer zu führen. Denn die Türme der Braunkohlekraftwerke sind sehr hoch und verteilen die Feinstaubpartikel über viele Kilometer. Wir wissen auch, daß die Tagebaue eine große Rolle dabei spielen, aber wir wissen nicht, ob das, was hier herauskommt, auch eine Auswirkung auf die Krankheitsentwicklung vor Ort hat. Von einem Kollegen aus dem Oberbergischen weiß ich zum Beispiel, daß es dort eine teilweise höhere Krebsrate als hier gibt.

SB: Es läßt sich demnach keine kausale wissenschaftliche Verbindung zwischen der Feinstaubbelastung und der Zunahme bestimmter Krankheiten herstellen?

TL: Um das genauer zu erforschen, fehlt mir die Zeit, weil ich hausärztlich tätig bin und letztlich nur subjektive Beobachtungen machen kann. Ich arbeite mit den Menschen, nehme mich ihrer auch empathisch an und lasse mich auf jeden einzelnen ein, auch wenn es manchmal schwierig ist. Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß wir eine extreme Häufung von psychischen Erkrankungen haben. Davon betroffen sind auch Mitarbeiter von RWE und den zuliefernden Firmen hier vor Ort. Wir kriegen natürlich mit, daß sie unter einem starken Druck stehen. Das wird oft übersehen. Ich höre zuweilen, daß sie im Prinzip gegen die Braunkohleförderung und -verstromung sind, aber halt ihre Arbeit bräuchten.

Ich kann das durchaus verstehen. Ein Lokführer im mittleren Alter in der Hambach-Bahn von Rheinbraun wird woanders nichts finden. Solche Menschen haben Angst um ihren Arbeitsplatz und machen Überstunden, auch wenn das nicht offiziell ist, und bekommen diese kaum abgegolten. Das bereitet den Menschen Sorge.

Es gibt dabei noch einen anderen Punkt zu berücksichtigen, der auch mich angeht. Wenn man hier lebt, will man nicht nur arbeiten, sondern möchte auch Lebensqualität haben. Aber die Menschen sehen, obwohl sie selber daran mitwirken, daß ihre Lebensqualität verlorengeht. Die Landschaftszersiedlung nimmt hier immer mehr zu. Wir haben einmal im Rahmen einer Initiative die Landesregierung daraufhin angeschrieben, aber sie behauptete, daß der Flächenfraß sogar abgenommen hätte. Man muß nur die Augen aufmachen, um sich vom Gegenteil zu überzeugen. So schön der Erft-Kreis auch sein mag, er ist eine der Regionen in Deutschland mit den wenigsten Bäumen, mit dem wenigsten Wasser und dem schlechtesten Klima. Rheinbraun führt dagegen seine rekultivierten Gebiete ins Gefecht, aber ein rekultiviertes Gebiet ersetzt niemals einen jahrtausendealten Wald wie den Hambacher Forst. Das macht den Menschen Sorge und belastet sie auch psychisch.

Die Menschen hier waren sehr ansprechbar auf das Reaktorunglück in Fukushima. Die Wochen darauf waren für uns geradezu traumatisch. Viele Leute kamen mit allen möglichen psychosomatischen Beschwerden in meine Praxis. Anders als früher haben die Menschen heutzutage einen viel besseren Zugang zu den Medien. Sie sitzen stundenlang vor dem Fernseher und schauen sich Berichte über Fukushima an. Das schürte bei vielen die wahnsinnige Angst, von der Radioaktivität ebenfalls betroffen zu sein, obwohl das irreal anmutet, aber indirekt vielleicht stimmen mag. Genauso ist es mit der Braunkohle, weil die Riesenwolken, die aus dem Kraftwerkstürmen aufsteigen, weite Landschaften verschatten.

Foto: © 2014 by Schattenblick

Nimmt auch die psychosozialen Folgen der Kohleindustrie ernst
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Insgesamt wird ein starkes Anwachsen psychischer Erkrankungen - Stichwort Burnout-Syndrom - im Rahmen des Arbeitsprozesses festgestellt. Dagegen vertritt die IG BCE das Interesse, den Arbeitskräfteerhalt über Braunkohle zu sichern. Gibt es aus deiner Sicht als Arzt seitens der Gewerkschaft das Interesse, die psychischen und gesundheitlichen Belastungen der Arbeiter und Angestellten in der Braunkohleindustrie zum Thema zu machen?

TL: Ich denke, zu diesem Thema wird sehr wenig gemacht. Die Braunkohlebetreiber haben ihre eigenen Sporteinrichtungen und Betriebsmediziner, die Blut abnehmen und EKGs machen. Die psychische Belastung an sich wird in den Betrieben nicht erfaßt. Wenn Leute Probleme haben, müßten sie eigentlich zum Betriebsrat gehen. Mir sagen sie aber, daß sie nicht dahingehen könnten aus Furcht, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Gerade jetzt, wo die Diskussion um Garzweiler die Gemüter erregt, wüßten sie nicht, ob sie ihren Arbeitsplatz überhaupt noch behalten werden. Die Gewerkschafter tun sich meistens nur hervor, wenn sie gegen die Gegner des Braunkohleabbaus polemisieren und alle Probleme auf sie schieben. Alte Mitarbeiter sagen, daß ein Kraftwerk früher den dreifachen Personalstand hatte. Heute ist nur noch ein Drittel beschäftigt. Das gilt auch für den Tagebau, denn den Rest erledigen die Maschinen.

SB: Wie bewertest du das Interesse ärztlicher Standesorganisationen oder anderer medizinischer Fachrichtungen an dieser speziellen Problematik? Gehen von diesen irgendwelche Initiativen aus?

TL: Leider sehr wenig, weil hier eine starke regionale Verwurzelung der Ärzteinitiativen vorherrscht. Das gilt auch für die Hausärzte vor Ort. Ich habe einige von ihnen angesprochen, und sie haben mir gesagt, nein, da kann ich nichts machen, sonst verliere ich die Patienten, die bei RWE arbeiten. Das ist Unsinn, denn wenn sie Vertrauen zu mir haben, kommen sie trotzdem weiter. Im Saarland gab es eine Initiative gegen den Neubau eines Steinkohlekraftwerks in Ensdorf bei Saarlouis. Neben zehntausend Einwohnern haben auch 500 Ärzte aller Fachrichtungen die Petition unterschrieben, und das Kraftwerk ist tatsächlich nicht gebaut worden.

Hier gibt nichts Vergleichbares. Die erste Aktion, die wir hier organisiert haben, war der von mir initiierte Qualitätszirkel für Haus- und Kinderärzte im September letzten Jahres, wo die HEAL-Studie von Julia Huscher vorgestellt wurde und Tim Petzoldt von Greenpeace referiert hatte. Wichtig war meines Erachtens vor allem der Vortrag von Wolfgang Schaefer vom Netzwerk Bergbaugeschädigter, in dem er auf die Gefahren der durch den Tagebau freigesetzten Radioaktivität und die Belastung durch Feinstäube aufmerksam machte.

Die Veranstaltung lief im Rahmen eines lungenfachärztlichen Qualitätszirkels. Hinterher haben mich viele gefragt, ob wir das noch einmal veranstalten könnten, weil sie sich über viele interessante Implikationen noch nie Gedanken gemacht hatten, woraufhin wir schon einen neuen Termin im September diesen Jahres ins Auge gefaßt haben.

Auf diesem Gebiet herrscht ein großes Wissensdefizit, weil man auf tausend andere Faktoren stößt. Denn wir können nicht nur vom Feinstaub oder der Radioaktivität aus dem Tagebau reden, sondern müssen auch den Autoverkehr ins Auge fassen. Es gibt hier unzählige Baustellen, etliche Chemieunternehmen, einen zunehmenden Flugverkehr und eine steigende Lärmbelästigung. Der Lärmstreß ist für viele Menschen krankheitserregend. Wenn man hier lebt, ist es immer laut, egal, ob durch Baustellen oder den LKW-Verkehr zu den Kraftwerken. Diese Region ist ungemein verkehrsintensiv.

SB: Findest du, daß das Thema Gesundheit im Verhältnis zu anderen Fragen, die hier heute von Braunkohlegegnern diskutiert wurden, genügend repräsentiert ist?

TL: Gesundheit ist in meinen Augen das höchste Gut. Wenn wir nicht gesund sind, können wir nichts schaffen. Deswegen ist Gesundheit in meinen Augen ein sehr wichtiges Thema. Ich finde allerdings nicht, daß es unterrepräsentiert ist, aber es könnte durchaus mehr Raum einnehmen. Zum Teil liegt es auch an uns selber, da wir nicht immer soviel Zeit einbringen können, um uns in dem Maße zu engagieren. Ich bin jemand, der lieber praktisch arbeitet und denen hilft, die vor Ort Widerstand leisten. Das geht nicht immer, ist mir aber lieber, als stundenlang auf Veranstaltungen herumzusitzen.

Natürlich kriegt man, wenn man jeden Tag an der Front steht, viel mehr mit, sieht die Sorgen der Leute und erfährt, daß manche Krankheiten gehäuft auftreten. Die Frage ist nur: Liegt das an der verbesserten Diagnostik oder an der besseren Wahrnehmung einzelner Ärzte? Dadurch bleibt es immer subjektiv. Insgesamt gibt es nicht viele Studien auf diesem Gebiet. Daß Feinstaub krank macht, wissen wir schon lange. Dazu existieren genügend Studien, vor allem in den USA. In großen amerikanischen Kardiologen-Zeitschriften findet man ganze Serien darüber. Aber sie helfen uns hier nicht, weil sie Feinstäube im allgemeinen betrachten. Speziell auf die Braunkohle bezogen liegt kaum Material vor.

SB: Thomas, vielen Dank für das Gespräch.

Liegestühle und Sonnenschirme aus Metall am Tagebau Hambach - Foto: © 2014 by Schattenblick

Freizeitinstallation als Surrogat verlorener Lebensqualität
Foto: © 2014 by Schattenblick


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20. Juni 2014