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INTERVIEW/125: Kohle, Gifte, Emissionen - Wes Brot ich eß ..., Karl Heinz Ochs im Gespräch (SB)


Krankheitsursache bekannt, Therapie verweigert

Interview in Bergheim-Rheidt am 24. Mai 2014



Karl Heinz Ochs ist 1. Vorsitzender der Initiative Bergbaugeschädigter 50189 [1] aus Elsdorf. Am Rande des Netzwerktreffens diverser Gruppen und Organisationen des Braunkohlewiderstands auf dem Millianshof inmitten des Rheinischen Reviers beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Karl Heinz Ochs
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Herr Ochs, wie wird man zum Bergbaugeschädigten?

KHO: Der Begriff des Bergbaugeschädigten ist sehr weit gefaßt. Im klassischen Fall meint Bergschaden Risse am Haus oder ein Absacken des Bodens. Im erweiterten Sinne kommt bei Bergschäden noch die Umweltbelastung hinzu, sprich: der Dreck, der Feinstaub und die Radioaktivität aus dem Tagebau. Unter die Gesamtbelastungen fallen auch die Kraftwerke mit dem, was aus den Schornsteinen herauskommt. Weitgehend unberücksichtigt bleibt dabei die Frage, was mit der schädlichen Kraftwerkschlacke passiert. Gibt es gesetzliche Regelungen dazu oder wird sie einfach irgendwo verkippt? Uns als Initiative interessiert in diesem Zusammenhang: Was fordert die EU und was wird durch Deutschland blockiert?

SB: Gibt es denn bei der Betroffenheit von Einzelpersonen durch großindustrielle Projekte wie zum Beispiel der Energieerzeugung einen Widerspruch zwischen dem deutschen Staat und der EU-Gesetzgebung?

KHO: Die EU-Gesetzgebung würde an und für sich wesentlich strengere Richtwerte schaffen, die aber durch Deutschland blockiert werden. Der größte Blockierer, den wir bis jetzt hatten, war Philipp Rösler gewesen. Es gibt Aufnahmen von ihm, in denen er ganz vehement dagegen wettert. Normalerweise müßten die Feinstaubwerte viel stärker heruntergesetzt werden. Aktuell sind die neuen Werte für Quecksilber herausgegeben worden. Die Amerikaner sind auf dem Gebiet dieser Untersuchungen führend. Wir haben eine Genehmigung für das Vierfache der Quecksilberbelastung, die in den USA zulässig ist, was aber meistens abgestritten wird. Die wenigsten wissen, daß es ein sogenanntes Schadstofffreisetzungs- und Verbringungsregister, kurz PRTR-Register, gibt, in das sich alle Firmen eintragen müssen, die etwas in die Luft oder ins Wasser emittieren. Wer dort nachschaut, wird finden, daß die Kraftwerke von RWE im Jahr 497 Kilogramm Quecksilber in die Luft abgeben.

SB: Als profitorientierter Konzern ist RWE natürlich nicht daran interessiert, daß bei der Energieerzeugung Kosten durch eine verordnete Schadstoffminimierung entstehen. Gilt demnach auch im Rheinischen Braunkohlerevier, daß Gewinne privatisiert, Kosten aber sozialisiert werden?

KHO: Ja, aus diesem einfachen Grund. RWE nimmt keine Rücksicht auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen, die hier leben. Wenn RWE in den Kraftwerken neue Filtertechniken einsetzen müßte, würde das Geld kosten, das dann den Aktionären verlorenginge. Man könnte im Tagebau selbst viele Dinge einhausen, um die Feinstoffbelastung zu reduzieren. Und genau das ist der Punkt: Alles, was Geld kostet, wird nicht gemacht. Im Hintergrund steht natürlich die Politik, die das deckelt. Wenn die Politik die Auflage einfordern würde, dann müßte sie umgesetzt werden. Aber alle Politiker und Stadträte, die wir hier haben, sagen: Das geht nicht. Dabei müßte man nur wollen, wie die Bundesregierung gezeigt hat, als sie zur Atomkraft von heute auf morgen gesagt hat: Feierabend.

SB: Sind die Menschen in ihrem Wohnort Elsdorf-Berrendorf grundsätzlich gegen diese Art der Energieerzeugung eingestellt oder überwiegen, etwa bedingt durch Arbeitsverhältnisse bei RWE, andere Positionen?

KHO: Ich sage immer, wo wir wohnen, ist das Mutterland von RWE. Hier haben viele eine Beschäftigung bei RWE, aber es gibt auch viele, die bei RWE gearbeitet haben und mittlerweile im Ruhestand sind. Zahlreiche Rentner aus den einzelnen Orten begrüßen unsere Initiative und wollen gerne Mitglied bei uns werden, bekommen dann aber durch eigene Betriebsratsvorsitzende soviel Druck, daß sie davon absehen, weil ihnen gesagt wird: Hör mal zu, wenn du in der Initiative Mitglied wirst, dann sorge ich dafür, daß deine Betriebsrente gestrichen wird. Hier wird ein unwahrscheinlich großer Druck sogar auf Rentner ausgeübt. RWE-Mitarbeiter sprechen wir gar nicht mehr an.

Hinter der Hand geben sie uns dennoch mit unserer Initiative Recht. Die beste Information bekommt man, wenn man mit den Frauen der Rentner spricht, weil sie dann nämlich zu ihren Männern sagen: Halt du mal den Mund, ich kehre den ganzen Tag den Dreck, über den du einfach hinwegsiehst. Unsere Straßen brauchen wir nicht zu fegen, das ist sinnlos geworden. Als wir in dieser Woche einen Sturm hatten, war alles auf den Straßen schwarz; nicht die gelbliche Farbe des Sahara-Staubs. Der Staub ist schwarz, weil er aus der Grube kommt.

SB: Welche Parteien unterstützen den Anti-Braunkohlekampf auf kommunaler Ebene hier in der Region ganz konkret?

KHO: Bei uns im Ort stehen wir mit sämtlichen Parteien in Verbindung und sagen denen, was wir fordern. In Elsdorf waren die Grünen die ersten gewesen, die uns zugesichert haben, voll hinter unseren Forderungen zu stehen und sie in ihr eigenes Wahlprogramm mit aufzunehmen. Weil wir an den fünf Samstagen vor den Wahlen Werbung für die Grünen machen und ihre Flyer verteilen, durften wir einen Tisch neben sie stellen und für unsere Initiative werben. Wir konnten sogar unsere eigenen Flyer bei denen mit hineintun. Das haben wir dann auch gemacht. Das heißt, die Grünen unterstützen uns hier vor Ort nach Kräften. Dasselbe gilt im Erft-Kreis, wo auch die Linke auf unserer Seite steht und unseren Widerstand gegen den Tagebau fördert. Bei der SPD und CDU sieht das ganz anders aus. Was von diesen Parteien rüberkommt, ist eine Katastrophe. Ein Beispiel dazu: Wir haben alle Rats- und Kreistagsmitglieder angeschrieben und eine Stellungnahme angefordert. Von 78 Briefen, die wir rausgeschickt haben, erhielten wir nur sieben Antworten. Das ist erbärmlich.

SB: NRW hat eine rot-grüne Regierung. Sind Sie damit zufrieden, wie die Grünen Ihre Interessen auf Landesebene repräsentieren?

KHO: Man muß jetzt mit Blick auf die Landespolitik ein wenig realistisch sein. Einerseits könnten die Grünen wesentlich mehr machen und auch fordern, aber auf der anderen Seite sind ihre Möglichkeiten als kleiner Koalitionspartner natürlich eingeschränkt. Wenn die Grünen zu aufmüpfig werden mit ihren Forderungen, dann sagt die SPD: "Schluß damit!" und geht mit der CDU eine Koalition ein. Das wäre noch katastrophaler für uns. Im Moment haben wir ein Mindestmaß an politischer Unterstützung und versuchen daher, auf kleiner Flamme zu kochen. Das ist zumindest besser, als gar nicht in der Regierungsverantwortung zu sitzen und nichts machen zu können. Das ist meine persönliche Meinung, während andere aus der Initiative darüber klagen, daß mehr geschehen müßte.

SB: Im Hambacher Forst wird der Wald besetzt. Früher hätte man von einer außerparlamentarischen Opposition gesprochen, heute spricht man eher von radikalökologischem Aktivismus. Wie stehen Sie persönlich zu dieser Form des Widerstands und wie wird die Waldbesetzung von der Bevölkerung hier aufgenommen?

KHO: Ich sehe die Arbeit dieser jungen Leute, inklusive auch des Klimacamps, als sehr positiv an. Sie haben es nämlich geschafft, das Thema Kohle und deren Schädlichkeit weit in die Öffentlichkeit zu tragen, jedenfalls weiter, als wir es in der Zeit hätten tun können. Auch die Bevölkerung hier steht sehr hinter dem, was die Leute machen. Das einzige Problem, das wir im Moment haben, betrifft die Sachen, die in der Presse immer hervorgehoben werden, sprich die Kriminalisierung. Das wird natürlich von der einen Seite immer ein bißchen gefördert. Daher wünschen wir uns von den Waldbesetzern und den Klimacampern etwas mehr Initiative nach außen, um sich davon zu distanzieren. Sie müssen klipp und klar sagen: Wir kämpfen für den Erhalt des Waldes, aber mit dem, was kriminell ist, haben wir nichts zu tun. Es gibt immer wieder so kleine Schattenseiten, auch bei jeder Demo. Damit können wir leben, aber bitte in Maßen.

SB: Auch wenn man Gewalt nicht mit Gegengewalt beantworten will, stellt sich in Anbetracht der langen Geschichte der Zerstörung von Mensch und Natur durch den Energiekonzern die Frage, wie gegen dessen strukturelle Gewalt Widerstand geleistet werden kann. Wie sollte man das gewichten?

KHO: Ich habe vor einiger Zeit einen schönen Bericht über Umweltbelastungen gelesen, den Prof. Edmund Lengfelder 2007 auf Bitten der Landtagsverwaltung von Niedersachsen verfaßt hatte. Diesem Gutachten gab der Strahlenbiologe den Untertitel: "Beispiele der Mechanismen von Verschleierung und Verdunklung in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Staatsverwaltung". Darin beschrieb er, wie Industrie und Politik zusammenarbeiten, um bestimmte Sichtweisen zu forcieren.

Die Waldbesetzer und Klimacamper sind RWE ein Dorn im Auge. Sie sollen weg, egal wie. Deshalb wird Druck auf die Gemeinden und Kommunen ausgeübt, die dann Hundertschaften der Polizei auf Kosten der Allgemeinheit einsetzen müssen. Das muß nicht sein. Der Hambacher Forst wird frühestens in ein paar Jahren abgebaggert. Daher sollte man gelassen sein. Laßt sie doch. Warum muß ich diesen Aufwand machen? Denn wenn RWE etwas nicht will, spielt die Politik mit, und schon wird ein Großaufgebot an Polizeikräften mobilisiert. In einem Rechtsstaat sollte man daher gelassener und auch ruhiger sein. Es werden unnütze Kosten erwirkt, wenn Hundertschaften der Polizei die Waldbesetzer herausholen. RWE sagt: Wir pflegen die Umwelt. Aber sie müssen erst alles kaputtmachen, um an die Baumhäuser ranzukommen. Hier wird erst die Natur zerstört, um die Waldbesetzer wegzuholen.

SB: Aber im Endeffekt wird die Natur dann ganz zerstört.

KHO: Richtig. Auf der anderen Seite müssen wir auch in die Geschichte zurückblicken. Es hat Jahre gegeben, da hat hier wirklich alles von der Braunkohle und den Kraftwerken gelebt. Das ist Fakt. Daran können wir nichts ändern. Nur hat man zur damaligen Zeit noch nicht die umweltschädlichen und gesundheitlichen Auswirkungen gekannt. Von der Medizin wird gefordert, die Ursachen von Krankheiten zu ergründen und etwas dagegen zu tun. Hier kennt man die Ursache, aber ignoriert das Problem. Das heißt doch, daß die Gesundheit der Bevölkerung den Politikern schnurzegal ist.

SB: Sie haben Ihr ganzes Leben hier verbracht und kennen noch die frühere Ausdehnung des Hambacher Forstes. Welche Bedeutung hat der Wald aus Ihrer persönlichen Sicht für die Menschen hier in der Umgebung gehabt?

KHO: Der Hambacher Forst war das größte zusammenhängende Eichenwaldgebiet Europas. Da standen tausendjährige Eichen drin, die mutwillig zerstört und gefällt wurden. Man muß dabei bedenken, daß für einen tausendjährigen Baum mindestens 10.000 kleine Bäume gepflanzt werden müssen, um den gleichen Effekt der Luftreinigung zu haben. So gesehen wurde hier etwas kaputtgemacht, was für die gesamte Bevölkerung und für das Rheinische Revier eine Katastrophe ist.

SB: Herr Ochs, vielen Dank für das Gespräch.

Freistehender Holzofen mit Eisenklappe, auf der Zwerge einen Speer gemeinsam bewegen - Fotos: © 2014 by Schattenblick Freistehender Holzofen mit Eisenklappe, auf der Zwerge einen Speer gemeinsam bewegen - Fotos: © 2014 by Schattenblick

Bangemachen gilt nicht - Motiv der Sieben Schwaben auf dem Brotofen des Millianshofes
Fotos: © 2014 by Schattenblick

Fußnote:

[1] http://www.ib50189.de/index.html


Aktuelle Beiträge zu den Tagebauen im Rheinischen Braunkohlerevier und den dagegen gerichteten Widerstand im Schattenblick unter
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4. Juli 2014