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INTERVIEW/137: Kohle, Gifte, Emissionen - Die Erde, die Wurzeln, der Mensch, Aktivist Gyp im Gespräch (SB)


Gemeinschaftliches Handeln zum Schutz der Natur

Interview in Bergheim-Rheidt am 24. Mai 2014



Gyp ist bei der Waldbesetzung im Hambacher Forst aktiv, die sich gegen die Abholzung des verbliebenen Restes dieses urtümlichen Waldes richtet. Bei der ersten Räumung im November 2012 entzog er sich dem Zugriff der Polizei in einem von den Besetzerinnen und Besetzern errichteten Tunnelsystem, so daß es vier Tage dauerte, bevor der Wald zu seiner Vernichtung "befreit" werden konnte. Am Rande des Netzwerktreffens diverser Gruppen und Organisationen des Braunkohlewiderstands beantwortete Gyp dem Schattenblick einige Fragen zu den Umständen der damaligen Räumung und des dagegen gerichteten Widerstands.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Gyp
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Gyp, seit wann bist du bei der Verteidigung des Hambacher Forstes gegen den Energiekonzern RWE aktiv?

Gyp: Ich bin seit Anfang der Waldbesetzung im Hambacher Forst mit dabei, und in dieser Zeit ist mir das Thema immer näher gekommen, auch weil ich miterlebt habe, wie groß die Macht von RWE und ähnlichen Konzernen ist.

SB: Auf Bildern von der ersten Waldbesetzung kann man erkennen, daß ihr euch richtig gut eingerichtet hattet. So hattet ihr zum Beispiel ein Haus mit Fenstern gebaut. Habt ihr seinerzeit ständig mit einer Räumung gerechnet und dennoch weitergebaut, obwohl möglicherweise alles wieder zunichte gemacht wird?

Gyp: Eine Räumung ist immer ein Niederschlag, aber wir waren dennoch gut vorbereitet, zumal ein reger Wechsel an Leuten herrschte und so die Möglichkeit bestand, daß man als Neuling von den erfahrenen Aktivisten lernen konnte. Durch diesen Austausch von Erfahrungen konnte sich jeder auf seine Weise auf die Situation einer Räumung einstellen.

SB: Bei der Räumung der Feldbesetzung in Wietze [2] war ein Wohnwagen komplett in die Erde versenkt worden, so daß die Polizei einen ganzen Tag gebraucht hat, um den darin verharrenden Besetzer herauszuholen. Habt ihr euch von diesem Beispiel inspirieren lassen und daher eine unterirdische Aktionsform gewählt?

Gyp: Die Inspiration für eine Tunnelaktion kam eigentlich aus England und Schottland, auch wenn diese Aktionsform dort inzwischen nicht mehr in dem Maße durchgeführt wird. Ihre Blütezeit erlebte sie bei Straßenprotesten in den 90er Jahren, weil sich herausgestellt hatte, daß sie eine sehr effektive Art darstellte, etwas zu blockieren. Das hat sich auch hier bestätigt.

SB: Wie lange hat es gedauert, einen so weiten Tunnel zu graben?

Gyp: Tunnelaktionen erfordern eine lange Vorbereitung, was ein großer Nachteil dieser Aktionsform ist, aber wenn sie glückt, kann man einen Ort über für lange Zeit blockieren. Es ist schwer zu sagen, wieviel Zeit die Erdarbeiten konkret in Anspruch genommen haben. Die Grubenwehr aus Herne, die als Rettungsteam bei der Räumung aufgetreten war, hat geschätzt, daß die Arbeiten am Tunnel etwa vier Monate gedauert haben. Über dem Tunnel war ein zehn Meter hohes Küchengebäude errichtet worden. Die Baustelle hatte im Mai begonnen und bis zur Räumung im November vergingen also sechs Monate. Allerdings gab es beim Graben immer wieder Pausen, weil entweder nicht genügend Leute oder Material vorhanden waren. Außerdem mußten auf der Besetzung noch andere Arbeiten erledigt werden wie Vernetzungsarbeit, Pressearbeit oder die Erhaltung der Infrastruktur.

Mehrstöckiges Bauwerk aus Holzpfählen - Foto: © 2012 by Schattenblick

Küchengebäude im Rohbau - Juni 2012
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Ungeachtet des persönlichen Engagements ist Graben schwere körperliche Arbeit. Haben sich dafür immer genügend Leute gefunden?

Gyp: Ja, es war immer ein gegenseitiges Helfen. Weil immer Leute bei der Besetzung waren, die sich auskannten, mußte man keine besonderen Fähigkeiten mitbringen; alles, was es auf der Besetzung zu tun gab, konnte man von anderen durch den Austausch von Erfahrungen lernen.

SB: Die solidarische Zusammenarbeit ist eine Voraussetzung dafür, sich in die Lage zu versetzen, selbstorganisiert komplexe Aufgaben zu bewältigen. Läßt sich das Zustandekommen dieser Zusammenarbeit als positiver Begleitumstand verbuchen?

Gyp: Darin steckt auch der Gedanke, Wissens- oder überhaupt Hierarchien abzubauen und Leute dazu zu ermutigen, Dinge zu machen, die sie sonst in ihrem Alltag nicht tun.

SB: Damit du überhaupt längere Zeit unter der Erde bleiben konntest, mußte die Luftversorgung wahrscheinlich genau durchkalkuliert sein. Habt ihr genügend große Schächte gebaut, damit immer wieder Luft nachströmen konnte?

Gyp: Wir haben dazu ein Luftsystem aus einem Wasserschlauch konstruiert, an dessen Ende eine elektrische Luftpumpe angebracht war. Für den Notfall hatte ich noch eine Taucherflasche dabei. Bei der Räumung hat die Polizei mit einem Kompressor Luft durch den Schlauch gepumpt.

SB: Man hat dir den Vorwurf gemacht, die Polizei bewußt in Gefahr gebracht zu haben, indem du einen Stützbalken weggetreten und damit eine bestimmte Grenze des aktiven Widerstands überschritten hättest. Wie ist es zu dieser Bezichtigung gekommen?

Gyp: Die Polizei hat während der Räumung viele Fehler gemacht und Grabungsarbeiten begonnen, ohne zu wissen, wo ich mich befinde. Um nicht selber schlecht dazustehen, hat sie dann Falschmeldungen in der Öffentlichkeit verbreitet. Die Sache mit dem Stützpfeiler gehörte dazu. Dennoch ist vieles von dem, wie die Polizei wirklich gearbeitet hat, im nachhinein herausgekommen. So hatte die Polizei die Räumung anfangs noch als Rettungsaktion verkauft, was aber nicht stimmt. Vielmehr hat sie einen Schacht zu dem Raum gegraben, wo ich mich befand, aber in einem geeigneten Moment bin ich dann entwischt. So konnte die Polizei die Räumung nicht mehr als Rettung vermarkten, abgesehen davon, daß ich weder gerettet noch geräumt werden wollte. Also mußte sie sich logischerweise etwas Neues ausdenken. Der Polizeisprecher hat dann später erklärt, daß ich, da ich mich nicht retten lassen wollte, eben verrückt wäre.

SB: Man hat ernsthaft versucht, dir einen psychischen Defekt anzuhängen?

Gyp: Das war zumindest die Erklärung der Polizei.

SB: Aber wie konntest du aus dem unterirdischen Raum entkommen? Gab es einen zusätzlichen Tunnel, in den du fliehen konntest und von dem die Polizei nichts wußte?

Gyp: Nein, der Tunnel war insgesamt sechs Meter tief und fünfzehneinhalb Meter lang. Am Ende des Tunnels befand sich ein Raum, zu dem die Polizei einen Schacht gegraben hat. Als die Polizei kam, bin ich einfach in den Tunnel zurückgegangen.

SB: Wurde Anzeige gegen dich erhoben und ein Prozeß vor Gericht angestrengt oder blieb es bei den Ermittlungen?

Gyp: Kurioserweise wußte die Polizei gar nicht, was sie mir vorwerfen könnte. Sie hatten es mit Nötigung und Hausfriedensbruch versucht. Aber wen sollte ich genötigt haben, da ich doch von allen weit genug entfernt war, und beim Vorwurf des Hausfriedensbruchs hätte das fragliche Gelände umfriedet sein müssen. Das Gelände war aber ein öffentlicher Wald, und in Deutschland hat jeder das Recht, Wälder zu betreten. Sie müssen sogar öffentlich zugänglich sein. Nur RWE hat eine Unterlassungsklage zivilrechtlich eingelegt, und seitdem darf ich auf gewissen Grundstücken keine Rodungen mehr stören und keine Bauten mehr errichten.

SB: Weil eine Zuwiderhandlung eine Strafe nach sich ziehen würde?

Gyp: Ja, eine Geld- oder Haftstrafe.

SB: Was hast du persönlich aus dem Widerstand gegen RWE und der polizeilichen Räumung gelernt?

Gyp: Die Räumung hat jedenfalls gezeigt, daß alle folgenden Aktionen in einem stärkerem Maße von Repression belastet sein werden, schon allein deshalb, weil die Polizei nicht nochmal dumm dastehen will. Für mich gilt trotzdem weiterzumachen, weil es einfach erschreckend ist, daß ein Konzern nur wegen des Profits über die Gesundheit von Tausenden von Menschen hinweggeht.

Gyp im Schneidersitz im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Kollektive Praxis für eine andere Gesellschaft
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Hast du als junger Mensch, der etwas Außerwöhnliches macht, den Eindruck, daß sich deine Generation dadurch inspirieren lassen könnte, um sich zerstörerischen Entwicklungen in der Gesellschaft entgegenzustellen? Oder erlebst du deine Altersgruppe als indifferent, wenn nicht gar resignativ bis ignorant?

Gyp: Die Gesellschaft hierzulande ist sehr obrigkeitshörig und auf das Individuelle fixiert. Jeder macht etwas für sich. Ich finde, daß wir wieder lernen müssen zusammenzuarbeiten, weil man auf diese Weise mehr erreichen kann. Ich hoffe natürlich, daß ich mit meinen Aktionen Leute inspiriere, auch etwas zu tun, und dennoch muß ich sagen, daß die Aktion ohne die Hilfe und Unterstützung von vielen anderen gar nicht hätte bewerkstelligt werden können. Es macht mich traurig, daß eine große Aktion nötig ist, nur um ein wenig Aufmerksamkeit zu bekommen.

SB: Könntest du dir vorstellen, daß die Erfahrungen im Widerstand gegen die Braunkohle und in der Verteidigung des Waldes den Keim zu einer anderen Gemeinschaftsform in sich tragen?

Gyp: Ja, eine Besetzung ist immer auch ein kleines Übungsfeld für eine andere Gesellschaft, in der sich die Leute untereinander darüber austauschen können, was ihnen gefällt und was nicht. Es bietet den Raum, eine Alternative auszuleben.

SB: Gyp, vielen Dank für das Gespräch.

Hambacher Tagebau von der Rodungszone des Hambacher Forstes aus - Foto: © 2014 by Schattenblick

Was es zu verhindern ...
Foto: © 2014 by Schattenblick

Waldesgrün - Foto: © 2014 by Schattenblick

... und was es zu bewahren gilt
Foto: © 2014 by Schattenblick

[1] Beiträge zur Räumung der Waldbesetzung im Hambacher Forst im November 2012 im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → UMWELT → TICKER → WALD:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_ticker_wald.shtml

[2] BERICHT/002: Den größten Geflügelschlachthof Europas verhindern ... BI Wietze und Feldbesetzer (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trbe0002.html


Aktuelle Beiträge zu den Tagebauen im Rheinischen Braunkohlerevier und den dagegen gerichteten Widerstand im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → UMWELT → REPORT:

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22. Juli 2014