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INTERVIEW/149: Klimarunde, Fragestunde - Hört den Wind ...    Pene Lefale im Gespräch (SB)


Climate Engineering Conference 2014: Critical Global Discussions

Scandic Hotel, Berlin, 18. - 21. August 2014

Pene Lefale über die samoanische Art, den Wind zu hören und heraufziehende Gefahren wie Geoengineering frühzeitig zu erspüren, um ihnen zu begegnen



Seit dem Höhepunkt der letzten Eiszeit ist der Meeresspiegel um rund 125 Meter gestiegen. Dieser Prozeß hält bis heute an und wird durch menschliche Aktivitäten, insbesondere durch die globalen Emissionen von Treibhausgasen, noch beschleunigt. Im Jahr 2100 könnte eine Weltkarte sehr viel anders aussehen als heute, sollte sich die Erde bis dahin um durchschnittlich vier Grad Celsius erwärmen und der Meeresspiegel dann, je nach dem zugrundegelegten Klimamodell, um rund einen oder gar mehrere Meter steigen. Ganze Küstenstreifen würden verschwinden, und ein pazifischer Inselstaat wie Tuvalu erschiene womöglich nur noch auf einer Unterwasserkarte als Hinweis, daß an der Stelle einst eine bewohnte Insel gelegen hat.

Luftbildaufnahme der sich hoch aus dem Meer erhebenden Insel Moorea - Foto: dany13, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr

Moorea, Französisch-Polynesien, 1. Oktober 2012. Bei einem Meeresspiegelanstieg würden vorgelagerte Inseln und die besiedelten Küstenbereiche vom Meer überschwemmt und die Menschen müßten sich auf die steilen Hänge zurückziehen.
Foto: dany13, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr

Auch die Landfläche anderer sogenannter kleiner Inselstaaten würde teils massiv schrumpfen, falls einige ihrer zahllosen, heute nur knapp über dem Meeresspiegel liegenden, meist unbewohnten Atolle untergehen. Ob die betroffenen Länder damit auch ihre territorialen Hoheitsrechte über die Seegebiete verlieren oder nicht, und wo die Menschen, die als Folge des Klimawandels ihre Heimat verlassen müssen, unterkommen, sind nur einige von vielen ungeklärten rechtlichen, politischen und sozialen Fragen, die eines Tages zu Konflikten beitragen könnten.

Angesichts dieser existentiellen Bedrohung durch den Klimawandel werden einige Inselstaaten womöglich versucht sein, Maßnahmen der Klimabeeinflussung gutzuheißen, die einen relativ schnellen und wirksamen Erfolg verheißen, aber deren Nebenwirkungen gar nicht absehbar sind, beispielsweise das Solar Radiation Management (SRM) in Form des künstlichen Ausbringens von Schwefelpartikeln in der Atmosphäre. Theoretisch würde dadurch die Einstrahlung der Sonnenenergie verringert.

Über diese und weitere Fragen wurde am 20. August auf der Climate Engineering Conference 2014 (CEC'14) in der Session "Perspectives on Climate Engineering - From People on the Front Lines of Climate Change" (Perspektiven des Climate Engineering - von Leuten am Frontverlauf des Klimawandels) diskutiert. Zu den geladenen Referenten, die hierzu einen kurzen Input-Vortrag gehalten haben, gehörte auch Pene Lefale (vollständiger Name: Penehuro Fatu Lefale) vom neuseeländischen Unternehmen Bodeker Scientific. Das erstellt Studien auf dem Gebiet der Klima- und Atmosphärenforschung und ist spezialisiert auf Fragen des stratosphärischen Ozonabbaus, der Stratosphärenzusammensetzung und des Klimawandels.

Der gebürtige Samoaner hat in Neuseeland, Fidschi und China studiert und Abschlüsse in Physik und Mathematik sowie in Umweltrecht erzielt. Seit 2011 hat er bei der Amerikanischen Meteorologischen Gesellschaft (American Meteorological Society, AMS) den Vorsitz über das Scientific and Technological Activities Committee (STAC) on Meteorology and Oceanography in the Southern Hemisphere (AMS STAC MOSH) inne. Als Meteorologe vertritt er seit vielen Jahren Neuseeland bei zahlreichen Kongressen und Institutionen, unter anderem bei der WMO (World Meteorological Organization). Zudem war er von Oktober 2012 bis März 2014 der Pazifik-Manager des Nationalen Wetterdienstes in Wellington, Neuseeland. Von 1990 bis 1995 engagierte er sich als Klimawandelexperte bei Greenpeace International in Amsterdam und Greenpeace New Zealand in Auckland. [1]

Pene Lefales Forschungsschwerpunkte sind Climate Engineering (Geoengineering) und seine wahrscheinlichen Folgen auf Gesellschaft und Ökosysteme, das traditionelle Wissen der Pazifikbewohner über Klimagefahren und die Erforschung der Anpassungsfähigkeit pazifischer Gemeinschaften an den Klimawandel sowie internationale Klimaschutzpolitik und ihre Auswirkungen auf Entwicklungsländer, hier insbesondere die kleinen Inselstaaten.

Im Anschluß an die Session auf der CEC'14 war der Referent bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu beantworten.

Beim Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

Pene Lafele
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie erwähnten in Ihrem Vortrag die Redewendung "Saili Malo", was Sie mit "den Wind hören" übersetzt haben. Welche ursprüngliche Bedeutung hatte dieser Begriff?

Penehuro Fatu Lefale (PL): Es handelt sich um eine samoanische Redewendung. "Saili" bedeutet "suchen" oder "hören" und hat damit zu tun, daß wir traditionell ein Volk von Seefahrern sind, das den riesigen Pazifischen Ozean bereist. Früher, zur Zeit des ersten Kontakts mit den Europäern, wurden wir deswegen auch "Navigator Islands" genannt.

Saili Malo ist eine Art Metapher dafür, wie man unserer Vorstellung nach eine Herausforderung des Lebens meistert. Denn wir glauben, daß das Land, das Meer, der Mensch und alles andere auch nicht getrennt voneinander, sondern Teil eines größeren Zusammenhangs sind. Die Metapher besagt also, daß es eine echte Herausforderung für jeden ist, der für eine große Aufgabe eine Lösung finden muß, ob das mit der eigenen Familie oder dem eigenen Land zu tun hat. Zieht eine Gefahr herauf, so sollte derjenige das wissen.

Ich habe versucht, die gleiche Analogie auf die gegenwärtige Diskussion um Climate Engineering anzuwenden, und ich glaube, daß sie sehr gut paßt. Es sind zwei Szenarien möglich: Erstens eine Welt des Chaos, in der wir dann leben müßten und in der Verzweiflung, Furcht und eine Gefahr für alle vorherrscht. Oder zweitens, falls uns genügend Zeit bleibt, daß wir uns auf den Prozeß besser vorbereiten könnten. Es geht wirklich bis auf den Grund dessen, über das wir in der Session diskutiert haben: Wir müssen Lösungen für eine Aufgabe finden, von der wir noch nicht wissen, was am Ende dabei herauskommt.

SB: Habe ich Sie richtig verstanden, daß Saili Malo kein passiver Standpunkt ist, bei dem man abwartet und dem Wind lauscht, sondern daß es eine aktive, offensive Tätigkeit ist?

PL: Ja, man bleibt dabei, zu hören, und wenn sich etwas ändert, dann hört man die Veränderung, den Wind des Wandels. Nur so überleben Sie in den Weiten des offenen Meeres.

SB: Das geht vermutlich auf das Heraufziehen von Stürmen zurück?

PL: Ja, natürlich! Sowohl wenn Sie auf dem offenen Meer sind, als auch wenn Sie Ihr Zuhause auf Stürme vorbereiten. Ich habe das einmal in einem Artikel über das traditionelle Wissen der Samoaner zu Wetter- und Klimavorhersagen näher ausgeführt. [2] Darin werden ganz genau die unterschiedlichen Arten der Antwort der Samoaner auf Wetter und Klima beschrieben. Tatsächlich handelt es sich bei Saili Malo aber um eine Antwort auf jede Gefahr, die auf einen zukommt. Letztendlich geht es um den Schutz der Familie.

SB: Könnte "den Wind hören" im Verständnis der Samoaner bedeuten, daß Geoengineering eine Bedrohung ist, auf die man sich vorzubereiten habe?

PL: Ganz genau darum geht es, davon habe ich gesprochen. Die Metapher bedeutet, daß eine neue Bedrohung heraufzieht, die man bis jetzt noch nicht kennt. Unsere Art, ihr zu begegnen, bedeutet, daß wir all unsere Anstrengungen darauf ausrichten, um zu begreifen, wie wir mit der Bedrohung umgehen.

Ausgeprägte Wolkenbildung über flacher, von Vegetation bedeckter Insel und kräftige Wellenbildung - Foto: Dr. Jean Kenyon, NOAA/NMFS/PIFSC, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Über dem Kopf die Wolken, unter den Füßen das Land und rundherum das Meer - Saili Malo bedeutet den Wind zu hören und Gefahren rechtzeitig zu erkennen.
Rose Island, ein Atoll vor der Küste American Samoas, März 2006.
Foto: Dr. Jean Kenyon, NOAA/NMFS/PIFSC, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

SB: In Ihrem Vortrag haben sie von der Rolle der Privatunternehmen in diesem Kontext gesprochen. Haben Sie die Vorstellung, daß Privatunternehmen die Welt unter Einsatz des Geoengineerings retten müssen?

PL: Nein, nein. Wie ich vorhin in der Diskussion sagte, können wir uns nicht allein auf die Regierungen stützen, um die Probleme zu beheben. In unserem Teil der Welt sind jedoch Public Private Partnerships und die Zivilgesellschaft die treibenden Kräfte. Deshalb kann man den Privatsektor nicht abtrennen oder übergehen. Ich hatte gemeint, daß der Privatsektor dabei eine Rolle zu spielen hat, ob wir mit Geoengineering weitermachen oder nicht.

Ich wollte sagen, daß wir vielleicht, wenn der Privatsektor dabei eingebunden wird, eine Art System installieren könnten, bei dem von jeder Million Dollar, die in Technologien des Solar Radiation Managements investiert wird, fünf Prozent an einen Treuhandfonds für humanitäre Programme abgezweigt werden. Denn man wird auf jeden Fall mit extremen Klimawandelereignissen rechnen müssen.

SB: Geoengineering wäre eine Technologie, die es bisher noch nicht gibt. Haben Sie ein positives Beispiel für Public Private Partnership auf einem dem Geoengineering verwandten Gebiet wie dem Klimaschutz?

PL: Ich würde sagen, der gesamte Prozeß bei den Vereinten Nationen, der vom Generalsekretär hinsichtlich der grünen Ökonomie in Gang gesetzt wurde, ist dafür ein Beispiel. Das dreht sich auch um Public Private Partnerships. Ich halte das für eine gute Idee. Ich selbst bin beispielsweise an dem System des "carbon footprint" beteiligt und versuche, kohlenstoffneutral zu leben. Wohin auch immer ich gehe - beispielsweise wenn ich nach Deutschland fliege -, muß ich meinen CO2-Fußabdruck in Tonnen ausrechnen und dann für das Pflanzen von Bäumen andernorts bezahlen. An dem System sind Individuen, aber auch Privatunternehmen, die Geld damit machen, beteiligt. Davon profitieren wiederum die Länder, in denen beispielsweise Aufforstungsprojekte betrieben werden. Das ist also eine Win-win-win-Situation.

Das ist ein sehr einfaches Beispiel, bei dem alles in allem jeder der Gewinner ist, und man hilft dabei eben auch dem Klimasystem. Es gibt viele Beispiele für solche Konzepte. Beispielsweise ist einer meiner Kollegen im Vereinigten Königreich Vorsitzender des Unternehmens Solarcentury in London. Wir waren während des gesamten UNFCCC-Verhandlungsprozesses [3], zu dem wir 1997 nach Kyoto reisten, ziemlich frustriert. Uns war klar geworden, wie ungeheuer schwer es ist, irgend etwas in Bewegung zu setzen. Also kamen wir beide zu dem Schluß, daß wir in dieser Hinsicht unser Möglichstes getan hatten, und sind ausgestiegen. Mein Kollege hat Solarcentury gegründet, was heute das größte Unternehmen im Vereinigten Königreich auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien ist. Und ich hatte damals gemerkt, daß es jetzt um das Problem der Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel geht, und mir gesagt: Wenn ich durch eine sehr akkurate Wettervorhersage eines aufziehenden Sturms auch nur ein einziges Leben retten kann, wäre ich glücklich. Zumindest denke ich, daß das etwas sehr Praktisches ist.

SB: Wir haben in der Session darüber gesprochen, daß humanitäre Hilfe unvermeidlich sein wird, wenn Geoengineering betrieben wird. Nun sind die kleinen Inselstaaten bereits die Verlierer des Klimawandels. Auf welcher Grundlage können sie hoffen, daß sie nicht erneut die Verlierer diesmal von Geoengineering-Maßnahmen werden?

PL: Auf genau diese Frage habe ich zum Schluß meines jüngsten Artikels eine Antwort gegeben. [4] Ich habe argumentiert, ob diesmal die Stimmen der kleinen Inselstaaten gehört werden oder nicht. Nachdem wir oder zumindest meine Urgroßeltern in der Vergangenheit die Kolonialisierung, Kernwaffenversuche in unserem Teil der Welt und vieles mehr erleben mußten, ist das Entscheidende: Wir leben noch, wir sind noch da.

SB: Sehen Sie als Wissenschaftler es als ihre Aufgabe an, dafür zu sorgen, daß die Stimmen der Bewohner des pazifischen Ozeans von der übrigen Welt gehört werden?

PL: Ja, und der Grund dafür ist sehr wichtig für die kleinen Inselstaaten. Uns gehören die meisten der größten Ausschließlichen Wirtschaftszonen im Pazifischen Ozean, der wiederum der größte unter den Ozeanen ist. Wir haben uns um ein Gebiet zu kümmern, das größer ist als die AWZ der USA. Das ist einfach ein riesiges Gebiet, und wenn man dort beispielsweise Ozeandüngung machen würde, wäre das ein Problem.

Darüber hinaus sind Asien und der Pazifik inzwischen in strategischer Hinsicht die nächste bedeutsame Region, vor allem angesichts des fortgesetzten Aufstiegs Chinas als Wirtschaftsmacht. Plötzlich richtet alle Welt ihren Fokus erneut auf unsere Region aus, die zwar sehr weit entfernt liegt, aber strategisch könnten dort die nächsten größeren Ereignisse geschehen, von denen das Klimasystem beeinflußt wird.

Wenn man die Länder des Pazifischen Raums insgesamt anschaut, so werden dort fast 80 bis 90 Prozent der zukünftigen Treibhausgasemissionen produziert. Dazu gehören Länder wie die USA und China. Es sind unruhige Zeiten. Was auch immer Sie hier in Europa machen, wenn so etwas nicht in den nächsten 20 Jahren im asiatisch-pazifischen Raum gemacht wird, könnten wir alle untergehen. Oder wir könnten gerettet werden. Auf jeden Fall wäre der Pazifische Ozean der Schlüssel dafür, sollte eines Tages Eisendüngung durchgeführt werden. Deshalb habe ich meinem Vortrag jene Überschrift gegeben: Climate Engineering könnte das Wundermittel sein, auf das wir hoffen, oder eine völlige Katastrophe. Und ich habe den Satz mit einem Fragezeichen versehen, denn ich weiß es nicht.

SB: Herr Lefale, herzlichen Dank für das Gespräch.

Karte mit den Inselstaaten Ozeaniens - Grafik: TUBS, erstellt am 22. Oktober 2012, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de) via Wikimedia Commons

Karte der politischen Gliederung von Ozeanien.
Die Ausschließlichen Wirtschaftszonen der von ihrer Landfläche her kleinen Inselstaaten umfassen riesige Meeresgebiete.
(Hinweis: Die Cookinseln und Niue sind eigenständige Staaten, die mit Neuseeland assoziiert sind.)
Grafik: TUBS, erstellt am 22. Oktober 2012, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de) via Wikimedia Commons


Fußnoten:


[1] http://www.bodekerscientific.com/people/pene-lefale

[2] http://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs10584-009-9722-z.pdf

[3] UNFCCC - United Nations Framework Convention on Climate Change (Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen)

[4] Lefale, P.F. and Cheryl Anderson., 2014 Climate Engineering and Small Islands: Panacea or Catastrophe?
http://geoengineeringourclimate.files.wordpress.com/2014/05/lefale-and-anderson-2014-climate-engineering-and-small-island-states-click-for-download1.pdf

29. August 2014