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INTERVIEW/185: Endspiel - Vernunft wär' schon der Schritt voran ...    Graeme Maxton im Gespräch (SB)


"Endspiel - Wie wir das Schicksal der tropischen Regenwälder noch wenden können"

Internationale Buchpremiere am 21. Mai 2015 im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin

Graeme Maxton über die Kritik der Wachstumsideologie, Entwürfe einer anderen Ökonomie und die Aufgaben des Club of Rome

Mit dem wegweisenden Bericht "Die Grenzen des Wachstums" warnte der Club of Rome 1972 vor einer existentiellen Krise, die der Welt in absehbarer Zeit drohe. Eine ungezügelte ökonomische Entwicklung und eine zu schnell wachsende Menschheit würden dem Planeten schweren Schaden zufügen. Heute erleben wir die verhängnisvollen Folgen des Wachstumskurses: Die Finanzkrise 2008, die globale Erwärmung und nicht zuletzt das Schicksal des Regenwaldes. Mit diesen Worten eröffnete Graeme Maxton, der Generalsekretär des Club of Rome, die Pressekonferenz anläßlich der Buchpremiere des 34. Berichts an den Club of Rome, dessen deutscher Titel "Endspiel - Wie wir das Schicksal der tropischen Regenwälder noch wenden können" lautet.

Wie Maxton ausführte, werden Berichte an den Club of Rome von dessen Mitgliedern umfassend geprüft, um sicherzustellen, daß sie höchsten wissenschaftlichen Standards genügen. Sie leisten einen innovativen Beitrag zu einem globalen Themenbereich von zentraler Bedeutung für die Zukunft der Menschheit und des Planeten. Der Autor der Studie, Claude Martin [1], weise nach, daß die tropischen Regenwälder an einem Wendepunkt stehen. Die Entscheidungsträger und die Weltgemeinschaft spielten buchstäblich mit dem Feuer. Bisherige Errungenschaften und Schutzgesetze drohten aufgrund reiner Profit- und Wachstumsgier auf Kosten der tropischen Regenwälder revidiert zu werden. "Wir können es uns nicht leisten, die Warnungen und Ratschläge Claude Martins zu ignorieren. Wir müssen die verbliebenen tropischen Regenwälder wieder dorthin rücken, wohin sie gehören - ins Zentrum der globalen Klima- und Umweltdebatte", so der Generalsekretär des Club of Rome.

Nach den einleitenden Worten Graeme Maxtons stellte Claude Martin das Buch und seine Kernbotschaften vor. Danach kommentierte Jörg Andreas Krüger [2], Leiter des Fachbereichs Biodiversität beim WWF Deutschland, den Bericht aus Sicht seiner Organisation und nahm eine globale politische Einschätzung vor. Im Anschluß an die Pressekonferenz beantwortete Graeme Maxton dem Schattenblick eine Reihe von Fragen.


Bei der Eröffnung der Pressekonferenz - Foto: © 2015 by Schattenblick

Graeme Maxton
Foto: © 2015 by Schattenblick


Schattenblick (SB): In Ihrem Buch "The End of Progress" und anderen Publikationen kritisieren Sie die Vorstellung eines unbegrenzten ökonomischen Wachstums. Ist Wachstum Ihrer Auffassung nach in erster Linie die Konsequenz eines fehlgeleiteten ökonomischen Denkens oder liegen ihm strukturelle Mechanismen des vorherrschenden Wirtschaftssystems zugrunde, die noch schwerer anzugreifen sind?

Graeme Maxton (GM): Die Vorstellung, daß Wachstum wichtig sei, ist zweifellos eine relativ moderne Idee. Sie kam Ende der 1950er Jahre auf und wurde vor allem von den rechtsgerichteten Think Tanks und der Art und Weise, wie Wirtschaftswissenschaften insbesondere in den USA gelehrt wurden, befördert. Angestrebt wurde eine neoliberale Welt mit weniger Regierung, einer größeren Bedeutung des Individuums und Wirtschaftswachstum als das Ziel unserer Gesellschaft. Für geraume Zeit war das durchaus positiv, weil es Wohlstand, Prosperität und eine Verringerung der weltweiten Armut mit sich brachte. Wir haben jedoch längst einen Kippunkt erreicht, da wir zu viele Ressourcen verbrauchen, die Welt überbevölkern und einen destruktiven Kurs steuern. Geht man in der Geschichte weiter als diese 50 Jahre zurück, stellt man fest, daß wir jahrhundertelang ohne Wachstum existiert haben. Wachstum ist also nicht wichtig für uns, wir können ohne Wachstum leben. Es ist ein modernes Phänomen.

SB: Sie mahnen ein Ende des Wachstums an. Welche Konsequenzen halten Sie für geboten? Könnte ein grünes Wachstum die Alternative sein, ist eine Art Stillstand auf dem erreichten Niveau möglich oder müßte es sich sogar um Degrowth handeln?

GM: Es muß Degrowth sein. Wenn wir uns die Welt vor Augen führen, leben wir heute so, als hätten wir eineinhalb Planeten. Deshalb müssen wir logischerweise den Umfang unserer ökonomischen Aktivitäten um etwa ein Drittel reduzieren. Wenn wir den Entwicklungsländern Wachstum zugestehen, bedeutet das für die Industriestaaten, daß diese ihr Wachstum in noch stärkerem Maße, nämlich um mehr als die Hälfte, reduzieren müssen. Dann ist Wachstum in Indien, China, Afrika und allen anderen Regionen der Welt möglich, so daß die Menschen dort einen annehmbaren Lebensstandard erreichen. Es mag schrecklich klingen, daß wir im Westen unser Wachstum um über die Hälfte oder gar zwei Drittel reduzieren müssen, aber das bringt uns lediglich zu einem Lebensstandard zurück, wie wir ihn in den 1980er Jahren hatten. Das ist absolut möglich. Wir können Produkte wie Autos, Kühlschränke oder Mobiltelefone entwerfen, die 30 oder 40 Jahre halten, weil sie sich reparieren lassen. Wir müssen jedoch das Wirtschaftssystem ändern, das auf Kurzfristigkeit, Profit und der Macht der großen Konzerne gründet. Wir müssen unser Wirtschaftssystem wieder in die Balance bringen, damit es im Interesse der Gesellschaft und nicht der Großkonzerne funktioniert.

SB: Was raten Sie dem globalen Süden und insbesondere den sogenannten Schwellenländern, wenn sie dieselbe Entwicklung nachholen wollen, die der Norden mit den bekannten katastrophalen Folgen genommen hat?

GM: Das ist eine schwierige Frage. Wenn ich mit Menschen in China spreche, verstehen sie meines Erachtens das Gesamtszenario. Sie sind sich im klaren darüber, daß sie nicht denselben Lebensstandard wie in den Ländern des Westens erreichen können. Spricht man mit Menschen in Deutschland, verstehen auch hier die meisten, daß wir über unsere Verhältnisse leben und unseren Lebensstandard senken müssen. Zu Problemen kommt es wohl eher in anderen Industriestaaten und insbesondere den USA, wo man schlichtweg nicht zu akzeptieren bereit ist, daß wir eine Kurskorrektur herbeiführen müssen. Es ist meine größte Sorge, daß es zwar möglich ist, das System zu ändern, aber wir erst eine tiefgreifende Krise brauchen, bis wir uns dazu durchringen.

SB: Welche Erfahrungen haben Sie in China gemacht, das ja mit gravierenden Umweltproblemen zu kämpfen hat?

GM: China hat in der Tat gewaltige Umweltprobleme zu bewältigen. Von den 20 Städten mit der weltweit höchsten Luftverschmutzung liegen 16 in China, mehr als die Hälfte aller Flüsse ist verseucht, die Krebsraten haben in den letzten zehn Jahren explosionsartig zugenommen. Den Chinesen macht das Wachstum nicht nur wegen dessen Folgen für den Planeten Sorgen, sondern insbesondere auch mit Blick auf die soziale Stabilität der Gesellschaft. Ihnen ist klar, daß sie eine Balance herstellen müssen, um Stabilität zu gewährleisten. Zudem haben sie eine längere Perspektive. Wenn man die letzten 50 Jahre als eine zunehmende Lockerung der Restriktionen auffaßt, die nach 1949 und während der Kulturrevolution herrschten, sieht man diese gewaltige Explosion der Ambitionen. Die Chinesen wissen aber auch, daß sie das Gleichgewicht wiederherstellen müssen, auch wenn das ein oder zwei Jahrzehnte dauert. Sie verstehen besser als die Menschen in den meisten anderen Ländern, daß sie eine Wende herbeiführen müssen.

SB: Die Gesamtmenge des weltweit zirkulierenden Geldes übersteigt das Bruttosozialprodukt aller Volkswirtschaften bei weitem. Bedeutet das, daß eine unabsehbar lange oder gar finale ökonomische Krise nicht abzuwenden ist?

GM: Die notwendige Kurskorrektur herbeizuführen, ist zweifellos noch schwieriger, wenn wir ein Finanzsystem haben, das außer Kontrolle geraten ist und den Bedürfnissen der Gesellschaft nicht dient. Das heutige Finanzsystem ist ein gigantisches Casino. Sobald man die Wachstumsrate stoppt, bricht das Finanzsystem sehr schnell zusammen, weil es auf Schulden, Wachstum und Zinszahlungen beruht, die alle reduziert werden müssen. Es trifft zu, daß die aufgehäuften Schulden niemals zurückgezahlt werden können. Wir haben also ein fundamental instabiles System. Bricht es zusammen, ist das mit Sicherheit eine Katastrophe für den größten Teil der Welt, die uns dennoch nicht umbringen wird. Wenn wir hingegen so weitermachen wie bisher und die globale Durchschnittstemperatur um mehr als zwei Grad zunimmt, wird uns das umbringen. Wir können eine Finanzkrise überleben, aber nicht den Klimawandel.

SB: Die Arbeitslosigkeit nimmt zu, die Ungleichheit wächst, die Löhne fallen, die Kluft zwischen Arm und Reich ist tiefer denn je. Welche Politik und ökonomische Wende halten Sie für unabdingbar, um diese Talfahrt der sozialen Verhältnisse zu bremsen?

GM: Das existierende neoliberale System ist dazu entworfen, die Ungleichheit zu verschärfen. Es ist im Kern dieses Systems verankert, daß der Besitzstand der Reichen schneller wächst als jener der Armen und dadurch die Ungleichheit zunimmt. Es ist auch dazu entworfen, Langzeitarbeitslosigkeit anwachsen zu lassen, weil es sich auf Produktivität fokussiert, deren Zunahme auf einer Lohnsenkung und dem Ersetzen menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen aller Art beruht. Das neoliberale System ist folglich für das Gegenteil dessen entworfen, was wir brauchen. Dieses System droht uns in eine Art mittelalterliche Welt zu führen, in der wir einen geringen Prozentsatz sehr reicher und einen hohen sehr armer Menschen haben. Das ist eine mögliche Zukunft.

Wir können aber Arbeitslosigkeit auch direkt bekämpfen, indem wir die vorhandene Arbeit gleichmäßiger verteilen. In der OECD erlaubt es die Gesamtmenge der ökonomischen Aktivitäten bereits, daß jeder ein bestimmtes Einkommensniveau bekommen könnte. Wir könnten alle mit den ökonomischen Aktivitäten, wie sie heute herrschen, komfortabel leben. Das Problem ist die falsche Verteilung zugunsten sehr weniger Reicher und zu Lasten sehr vieler weniger Wohlhabender oder Armer. Würden wir die Arbeit und den Reichtum besser verteilen, hätten wir eine leichte Lösung in den reichen Ländern. Das zu erreichen wäre gar nicht besonders schwer, denn man müßte beispielsweise nur die Zahl der Urlaubstage über eine Periode von zehn Jahren erhöhen und statt sechs Wochen vier oder fünf Monate Ferien machen. Auf diese Weise ließe sich die Zahl der Arbeitsplätze um ein Drittel erhöhen. Man könnte auch gezielt Arbeitsplätze schaffen.

An meinem früheren Wohnsitz in Schottland hatte ich Ausblick auf einen Park, in dem eine einzige Person in Teilzeitarbeit nach dem Rechten sah. In Wien, wo ich eine Wohnung habe, kümmern sich sechs Leute um eine Fläche von derselben Größe. Dort hat die Regierung entschieden, daß es besser sei, mehrere Leute für einige hundert Euro zu beschäftigen und ihnen eine sinnvolle Tätigkeit zu verschaffen, statt Arbeitslosenunterstützung an sie zu zahlen. Wir als Gesellschaft haben durchaus eine Wahl, wie zu verfahren sei.

SB: Der Primat des sogenannten freien Marktes führt zu einem Verlust demokratischer Rahmenbedingungen und Einflußmöglichkeiten für die Mehrzahl der Menschen. Auf welche Weise könnte man Ihres Erachtens die gesellschaftliche Kontrolle wiedergewinnen?

GM: Der freie Markt ist definitiv zu weit gegangen. Dennoch gibt es vor allem in der englischsprachigen Welt noch immer sehr viele Menschen, die das für ein großartiges System halten. Es ist gar nicht so schwer, die wesentlichen Merkmale eines neuen Wirtschaftssystems zu definieren. Die Lücke zwischen Arm und Reich muß verringert werden, Arbeit und Reichtum müssen geteilt werden, wir müssen in Harmonie mit dem Planeten leben. Die Schwierigkeit besteht nicht darin zu definieren, was wir brauchen, sondern zu verstehen, wie wir uns von dem heute vorherrschenden System in die gewünschte Richtung bewegen können, ohne daß es zum Zusammenbruch kommt. Mit dieser Frage beschäftigt sich derzeit der Club of Rome. Es ist möglich, ein System herbeizuführen, in dem wir in Harmonie mit dem Planeten und miteinander leben. Wie wir dahin kommen, ist die wirklich schwierige Frage.

SB: Der Standard der Menschenrechte in den westlichen Ländern sinkt in verschiedener Hinsicht - Repression durch die Polizei, massenhafte Inhaftierung, untergrabene Pressefreiheit, um nur einige Aspekte anzuführen. Offensichtlich sind einflußreiche Interessen bestrebt, das herrschende politische und ökonomische System in seinem Bestand zu sichern und fortzuschreiben. Wie könnte man diese Interessen identifizieren und ihnen die Stirn bieten, um eine Gesellschaft zu verhindern, in der wir mehr oder minder unter totaler Überwachung und Kontrolle stehen?

GM: Das ist meine große Sorge. Wir leben - nicht unbedingt in Europa, aber definitiv in den USA - in einer Art Polizeistaat, einem militarisierten Staat, in dem die Persönlichkeitsrechte pulverisiert werden, obgleich dort das Wort "Freiheit" in aller Munde ist. Hinter dem System des freien Marktes stehen mächtige Interessen, die eine demokratischere Gesellschaft verhindern: Die großen Konzerne, die mächtiger als das Rechtswesen in diesen Ländern sind, ein gewaltiger Militärapparat und ein politisches System, dem die meisten Gründe für seine Existenz abhandengekommen sind. Wir dürfen dieses System nicht direkt angreifen, weil wir bei einem solchen Frontalangriff nur unterliegen können. Wir müssen klüger vorgehen und eine Politik implementieren, die in zunehmendem Maße Veränderung schafft. Gefragt ist eine intelligente Politik, die den Armen hilft, ihre Lebensverhältnisse zu verbessern, und Reichtum immer besser verteilt, ohne daß unsere Absicht, eine umfassendere Wende herbeizuführen, offensichtlich wird.

SB: Der Preis, den wir für Ressourcen zahlen, ist viel zu niedrig, da die Arbeitskräfte in den Herkunftsländern schlecht bezahlt und die Umweltschäden nicht in Rechnung gestellt werden. Wie könnte man mit dieser Situation umgehen, da doch eine Erhöhung der Konsumentenpreise zuallererst die ärmeren Menschen träfe?

GM: Für die Industriestaaten ist das keine allzu schwierige Frage. Bei uns wird vor allem Arbeit und nicht so sehr die Ressource besteuert. Man könnte daher im Steuersystem eine Verschiebung von einem zum andern vornehmen. Für die Entwicklungsländer ist das sehr viel komplizierter. In Ländern wie Indien, Indonesien und anderswo ist die Subventionierung des Ölpreises substantiell, da die Armen andernfalls keine Entwicklungschance hätten. Ich glaube, daß wir dennoch Lösungen dieser Problematik finden können. Man könnte beispielsweise jedem Menschen weltweit das Recht zugestehen, eine bestimmte Menge an Kohlenstoff zu emittieren. Da die Armen sehr viel weniger Kohlenstoff emittieren, könnten sie ihren Anspruch an reiche Länder verkaufen, wodurch Reichtum in Richtung der armen Länder verschoben würde. Es gibt durchaus Wege, den Output zu reduzieren und die Balance zu verbessern. Im Endeffekt ist die Rechtsprechung gefragt: Wenn wir Produkte haben wollen, die so lange wie möglich halten, weil sie entworfen sind, um in Stand gehalten und repariert zu werden, bedarf es einer entsprechenden Steuerpolitik.

SB: Die Schaffung enormer Datenbestände in Händen der Geheimdienste wird durch Unternehmen wie Google, Facebook und andere massiv befeuert. Welche Empfehlung können Sie hinsichtlich des alltäglichen Gebrauchs solcher Anwendungen geben und halten Sie einen tendenziellen Verzicht auf diese moderne Technologie für praktikabel?

GM: Ich hege große Hoffnungen, daß die Europäische Union eine Gesetzgebung auf den Weg bringt, die uns besser vor solchen Entwicklungen schützt, die völlig außer Kontrolle geraten sind. Wir werden von einer wachsenden Zahl solcher Systeme beobachtet, gefilmt und ausspioniert. Ich persönlich verwende Linux, surfe im Internet ohne Cookies, benutze kein Smartphone, versuche meine Kommunikation zu begrenzen und meide alle Anwendungen, die mich physisch lokalisieren, wie es Google macht. Ich kaufe natürlich keinen Fernseher, der mithört und filmt, was ich zu Hause mache. Aber dies durchzuhalten wird immer schwieriger. Der einzige Weg, etwas dagegen zu unternehmen, wenn wir nicht gerade auf die Straße gehen wollen, führt über die Gesetzgebung.

SB: Die größte Bedrohung unserer Existenz ist nicht der Terrorismus oder ausbleibendes Wachstum, wie man uns weiszumachen versucht. Wie ist es möglich, eine derart irreführende Sicht der wesentlichsten Probleme unserer Zeit zu implementieren?

GM: Diese Sichtweise wurde gezielt geschaffen und verbreitet. In den 1950er Jahren existierte eine Gruppe von Ökonomen namens "Mont Pelerin Society", die die Grundzüge des Neoliberalismus ausformulierte, wie wir ihn heute kennen. Sie wurden von rechtsgerichteten NGOs in den USA, großen Unternehmen und reichen Republikanern unterstützt, die diese Botschaft in aller Welt verbreiteten. Diese Sichtweise wird durch Furcht genährt. Was den Terrorismus betrifft, macht die Zahl der Opfer terroristischer Anschläge im Westen seit 9/11 nur einen geringen Bruchteil der Todeszahlen bei Geburten aus. Terrorismus ist keine Bedrohung für uns. Dennoch hat man uns dazu angehalten, das Gegenteil zu glauben, damit wir unseren Regierungen vertrauen und uns paralysiert fühlen. Es ist ein riesiges Propagandamanöver. Wir müssen zunächst aufwachen und dann überlegen, wie wir das ändern.

SB: Der Club of Rome als ein informeller Zusammenschluß unabhängiger Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft hat eine lange Geschichte als Katalysator von Veränderungen. In welchem Maße ist es ihm gelungen, über die Jahre seiner Stimme Gehör zu verschaffen und im Sinne seiner Erkenntnisse und Warnungen Einfluß auf die Gesellschaft zu nehmen?

GM: Wir haben viel von unserem früheren Einfluß verloren, so daß es an der Zeit ist, wieder Gehör zu finden. Als wir 1972 "The Limits to Growth" veröffentlichten, waren wir der Welt in mancherlei Hinsicht drei Jahrzehnte voraus. Die Reaktion war zunächst sehr positiv, worauf dann natürlich die neoliberalen Ökonomen samt Ronald Reagan verkündeten, sie könnten so viel Wachstum hervorbringen, wie sie wollten. Das fügte unserer Reputation schweren Schaden zu, weil man uns für Schwarzmaler und falsche Propheten hielt. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß unsere Vorhersagen samt und sonders zutrafen. Die Finanzkrise, der Klimawandel, die Abholzung des Regenwalds - alles ist eingetreten. Das Problem ist nun, daß wir diese Entwicklung nicht aufhalten können. Wir können nichts anderes tun, als die Folgen der Probleme zu begrenzen, die wir in die Welt gesetzt haben. Für den Club of Rome könnte der Zeitpunkt nicht besser sein, sich dessen wieder zu vergewissern, daß seine Prognosen zutrafen, und wieder stärkeren Einfluß geltend zu machen. Für mich ist es eine offene Frage, an wen ich mich dabei wende. Als Club of Rome haben wir traditionell mit Politikern und Menschen, die Einfluß auf die Politik ausüben, gesprochen. Das politische System ist jedoch korrupt und nicht in der Lage, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Deshalb frage ich mich, ob wir uns nicht besser an eine breitere Öffentlichkeit wenden und auf diese Weise ein Bewußtsein von der unabdingbaren Wende schaffen sollten.

SB: Einfluß zu erlangen, indem man mit maßgeblichen Personen und Institutionen in Kontakt steht, könnte dazu führen, daß der Club of Rome seinerseits von diesen Interessen beeinflußt wird. Wie schätzen Sie diese Gefahr im Kontext der von Ihnen geäußerten Zweifel an dem politischen System ein und wie könnte man ihr begegnen?

GM: Wenn man mit Politikern und hochrangigen Vertretern aus Kreisen der Wirtschaft spricht, zeichnet sich ab, daß sie die Situation nicht angemessen verstehen. Sie erkennen den Ernst der Lage nicht und glauben an grenzenloses Wachstum in alle Ewigkeit. Insofern macht es nach wie vor Sinn, mit solchen Menschen zu sprechen und ihnen nahezubringen, daß es anderer als der gängigen Maßnahmen bedarf, um die anstehenden Probleme zu bewältigen. Zugleich sollten wir meines Erachtens stärker die Öffentlichkeit suchen, beispielsweise die Occupy-Bewegung, die Piratenpartei, die Grünen, die politische Linke einbeziehen, die verstehen, daß wir eine besser ausbalancierte Gesellschaft brauchen. Der Club of Rome befaßt sich nicht nur deswegen mit Ungleichheit und Arbeitslosigkeit, weil er eine moralische Verpflichtung dazu empfindet. Er ist vielmehr der Auffassung, daß die Lösung dieser Probleme dazu führen würde, daß man die Umweltprobleme sehr viel leichter angehen und bewältigen könnte, die uns tatsächlich umbringen, wenn wir nichts dagegen unternehmen.

SB: Herr Maxton, vielen Dank für dieses Gespräch.


Plakat der Buchpremiere 'Endspiel' - Foto: © 2015 by Schattenblick

Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] Ein aktuelles SB-Interview mit Claude Martin unter:
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0183.html

[2] Ein aktuelles SB-Interview mit Jörg Andreas Krüger unter:
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0184.html

29. Mai 2015


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