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INTERVIEW/188: Waldvorräte, Kolonien - die letzten Wächter ...    Thomas Fatheuer im Gespräch (SB)


Wird der Wald für den Klimaschutz verheizt? Die Ressource Wald im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen und die Vorschläge indigener Völker

Tagung des Vereins INFOE - Institut für Ökologie und Aktions-Ethnologie und des Klima-Bündnisses am 12. Juni 2015 im LVR LandesMuseum Bonn

Thomas Fatheuer über indigene Rechte, die zu "Co-Benefits" des Kohlenstoffhandels verkommen, das Erbe einer tierzentrierten Vorstellung von Wildparks und die Verlockungen reichhaltiger Bodenschätze im Amazonasbecken


Wollte man dem Handel mit Kohlenstoffzertifikaten überhaupt irgendeinen Nutzen bescheinigen, dann den, daß ausgerechnet die energieintensiven Industrien noch dafür belohnt werden, daß sie Treibhausgase emittieren. Das ist nicht die einzige Perversion vorgeblicher Absichten, die der internationale Klimaschutz hervorgebracht hat. Eines der Instrumente, das vor einigen Jahren ins Gespräch gebracht wurde und seitdem weiterentwickelt wird, nennt sich REDD+ und bedeutet "Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation and the role of conservation, sustainable management of forests and enhancement of forest carbon stocks in developing countries" (z. dt.: Verringerung von Emissionen aus Entwaldung und Waldschädigung sowie die Rolle der Bewahrung und nachhaltigen Bewirtschaftung von Wald und dessen Ausbau als Kohlenstoffspeicher in Entwicklungsländern).

Dahinter verbirgt sich die Idee, daß Staaten oder Unternehmen nicht die von ihnen erzeugten Kohlenstoffdioxemissionen senken müssen - was sie angeblich "unverhältnismäßig" teuer zu stehen käme -, wenn sie statt dessen für die Bewahrung von Wäldern, in denen mutmaßlich die gleiche Menge an Kohlenstoff gebunden bleibt, Geld auf den Tisch legen - was jedoch andere teuer zu stehen käme, nämlich die Bewohner jener reduktionistisch "Kohlenstoffsenken" genannten Wälder.

Indigene und andere Waldbewohner werden zum Vorteil der Klimapolitik der reichen Länder in ihren Nutzungsmöglichkeiten unmittelbar eingeschränkt, ihnen wird die Verfügungsgewalt entwunden. Des weiteren eröffnen sich mit REDD+ dem grün ummäntelten Kapitalismus durch die fortgesetzte Monetarisierung der Natur, die durch die Auszählung und Bilanzierung bis in die letzte Kohlenstoffverbindung eines Baumes vorangetrieben wird, neue Investitionsmöglichkeiten angehäuften Finanzkapitals.


Beim Interview - Foto: © 2015 by Schattenblick

Thomas Fatheuer
Foto: © 2015 by Schattenblick

Am 12. Juni 2015 veranstalteten der Verein INFOE - Institut für Ökologie und Aktions-Ethnologie und das Klima-Bündnis eine gemeinsame Fachtagung mit dem Titel "Wird der Wald für den Klimaschutz verheizt? Die Ressource Wald im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen und die Vorschläge indigener Völker" im LVR LandesMuseum Bonn. [1]

An zwei Podiumsdiskussionen zu diesem Thema nahm Thomas Fatheuer teil. Der 1953 geborene Sozialwissenschaftler, Berater und Autor hat von 1992 bis 2010 in Brasilien gelebt und in den letzten sieben Jahren dieser Zeit das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio de Janeiro geleitet. Am Rande der Bonner Tagung stellte er sich dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.

Schattenblick (SB): Herr Fatheuer, Sie sind Mitglied der Organisationen Kobra-Netzwerk und FDCL Berlin. Könnten Sie diese kurz vorstellen und sagen, was dort gemacht wird?

Thomas Fatheuer (TF): Das Kobra ist ein Netzwerk von Brasiliengruppen in Deutschland, angefangen von kleineren örtlichen Gruppen bis zu den großen kirchlichen Hilfsorganisationen wie Misereor und Brot für die Welt. Unter anderem machen wir Kampagnen zu Brasilien, und einmal im Jahr findet der "runde Tisch Brasilien" statt. Das ist eine große Veranstaltung, zu der sich immer Gäste aus Brasilien und die, die zu Brasilien arbeiten, treffen.

FDCL ist eine kleine Organisation in Berlin, die Abkürzung steht für Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika. In dessen Umkreis wird die Zeitschrift Lateinamerika-Nachrichten herausgegeben, die eher innerliche Arbeitsthemen veröffentlicht, also Themen, die einen Lateinamerika-Bezug haben. In letzter Zeit wird viel zu Handelsfragen gearbeitet, aber in diesem Jahr auch vermehrt zu Fragen der Bio-Ökonomie und den Herausforderungen, die sich daraus ergeben. Und das alles integrieren wir in die Arbeit des FDCL.

SB: Herr Schölmerich [2] sagte vorhin in seinem Vortrag, man müsse, bezogen auf den deutschen Wald, Kompromisse schließen. Läßt sich dieser Ansatz überhaupt auf den tropischen Regenwald übertragen? Geht nicht gerade der Kompromiß ganz oft zu Lasten der Indigenen?

TF: Man muß einen ganz großen Unterschied machen zwischen dem deutschen Wald und dem Wald beispielsweise in Amazonien. Im allgemeinen sind die tropischen Wälder ganz klar auch Lebensraum indigener Völker und anderer, die in traditioneller Gemeinschaft leben. Es sind also nicht nur die Indigenen, sondern auch Sammelgesellschaften - beispielsweise Kautschukzapfer und Flußrandbewohner, die eine Mischform betreiben aus Fischerei, Waldnutzung und Kleinflächenackerbau. Es besteht ein ganzes Netz von Nutzern des Regenwaldes, die aber nicht die großen Firmen sind, sondern kleine lokale Gemeinschaften.

Das ist ein fundamentaler Unterschied zu Mitteleuropa. Der Wald in Amazonien ist für diese Menschen ein Wirtschaftsraum. Bei jeglicher Entwicklung des Waldes muß man deshalb dafür Sorge tragen, daß die Rechte sowohl der Indigenen als auch der traditionellen Gemeinschaften, die auch in der Vergangenheit den Wald sehr kleinflächig genutzt, ihn aber nicht zerstört haben, gewahrt werden und daß dies der Ausgangspunkt - und nicht ein Nebeneffekt - aller Waldmaßnahmen in tropischen Regionen ist.

Hierzulande geht es dagegen um die rationale Bewirtschaftung von Wäldern. Darüber, was das genau heißt, kann man sich natürlich auch wieder streiten.

SB: Täuscht der Eindruck, oder ist das Konzept "REDD+ aus der Sicht der Indigenen" [3] ein Thema, was von den europäischen und amerikanischen NGOs kaum aufgegriffen wird?

TF: Ich glaube, die Zeiten sind etwas vorbei, in denen der WWF und andere Organisationen Naturschutzgebiete geplant oder ihre Einrichtung vorgeschlagen haben, ohne die Menschen zu berücksichtigen. Das war ja ein großer Konflikt vor allem in Afrika. Wir erleben jetzt gerade, wie im Fernsehen das Erbe von Grzimek [4], der vor allem in Westdeutschland als großer Naturschützer galt, ins Gedächtnis gerufen wird. Durch Filme wie "Serengeti darf nicht sterben" ist in unseren Köpfen ein sehr tierzentriertes Bild entstanden: Diese großen Nationalparks mit diesen schönen großen Tieren - der Mensch taucht da eher als Störfaktor auf.

Heute haben sich die Vorstellungen gewandelt, wobei der Wandel nicht überall stattfand. Keiner würde heute sagen, offiziell und schwarz auf weiß gedruckt: "Wir brauchen Naturschutzgebiete ohne Menschen." Jeder würde erklärten, daß wir diese Gebiete mit den Menschen brauchen. Dennoch kommen diese oft erst an zweiter Stelle, sie sind nicht der Ausgangspunkt des Ganzen. Da gehen NGOs, die eher an Naturschutz orientiert sind, und NGOs oder Gruppen, die eher mit Indigenen oder überhaupt zu sozialer Entwicklung arbeiten, noch unterschiedliche Wege.

Man hat es hier gerade bei den Klimaschutzverhandlungen in Bonn [5] erlebt. Ich halte es für sehr bedenklich, daß im Rahmen dieser REDD-Verhandlungen - und das REDD-Paket wird jetzt zugeschnürt -, neue Begriffe aus dem typischen UN-Slang, den kein Mensch außerhalb des UN-Rahmens verstehen kann, auftauchen. Da heißt es dann "Carbon Co-Benefits". Das heißt, die wollen jetzt die Wälder nicht nur wegen der CO2-Reduktion erhalten, sondern es müssen auch Co-Benefits, also andere Vorzüge daraus hergeleitet werden. Einer wäre die Wahrung indigener Rechte. Ich meine, das kann doch nicht sein, daß die indigenen Rechte sozusagen ein Abfallprodukt der CO2-Speicherung oder -Einsparung werden! Die Indigenen zu Trittbrettfahrern der CO2-Reduktion zu machen halte ich für eine intellektuelle Verwirrung und Perversion, die man erkennen und auch bekämpfen müßte.

SB: Der Autor Claude Martin hat vor wenigen Wochen bei der Vorstellung des neuen Berichts an den Club of Rome mit dem Titel "Endspiel - Wie wir das Schicksal der tropischen Regenwälder noch wenden können" [6] gesagt, daß in Brasilien gegenwärtig über ein neues Bergbaugesetz verhandelt wird und über 20.000 Anträge für Bergbauaktivitäten in indigenen Gebieten gestellt, wenngleich noch nicht genehmigt sind. Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Entwicklung Brasiliens?

TF: Das müßte man in einem größeren Zusammenhang betrachten. Nach wie vor ist in Brasilien relativ viel Regenwald erhalten. Das Amazonas-Becken macht mehr als die Hälfte der Fläche Brasiliens aus, und wir erleben gerade - nach einer kleinen wirtschaftlichen Delle - weltweit einen neuen Rohstoffboom. Das Wachstum der Wirtschaft, vor allem in China, hat die Nachfrage zum Beispiel nach Stahl unglaublich erhöht. Ein anderes Beispiel ist Lithium in Bolivien für unsere Elektroindustrie. Es gibt also einen neuen Rohstoffboom, der Lateinamerika erfaßt hat. Die Exporte von Rohstoffen sind in allen lateinamerikanischen Staaten in den letzten Jahren explodiert, was ganz verschiedene Auswirkungen hat.

Ob Erdöl, Erdgas, Lithium, Bauxit oder Eisenerz, langsam schwant immer mehr Menschen, daß das Amazonasgebiet reich an verschiedenen Bodenschätzen ist und viele Lagerstätten in indigenen oder anderen Schutzgebieten liegen. 25 Prozent von Amazonien sind indigene Gebiete, das ist eine riesige Fläche. Deshalb wird seit längerem über ein neues Bergbaugesetz diskutiert, das noch nicht verabschiedet ist. Aber die Diskussion geht genau um die Frage, wie Brasilien es schafft, sich als aufstrebende Wirtschaftsmacht nicht gegenüber den Partikularinteressen der indigenen Völker zu beugen und den Zugang zu seinen natürlichen Ressourcen zu erleichtern.

Das ist eine große Konfliktlinie, die einen weiteren, sehr wichtigen Aspekt mit sich bringt: Viele dieser schon jetzt abzubauenden Rohstoffe sind mit energieintensiven Industrien verbunden, beispielsweise bei der Umwandlung von Bauxit, das in verschiedenen Regionen Amazoniens abgebaut wird, in Aluminium. Auch deshalb besteht der Drang, im Amazonasgebiet neue Staudämme zu bauen. Zum Beispiel Belo Monte, den drittgrößten Staudamm der Welt. Am nächsten Nebenfluß, dem Tapajos, sollen fünf bis sieben Staudämme gebaut werden, um unglaubliche Mengen von Energie unter anderem für den Bergbau zu erzeugen. Dieser ganze Komplex bildet für Amazonien somit ein großes Bedrohungsszenario.

SB: Kann die Entwaldung dauerhaft ausgebremst werden?

TF: Man kann nicht sicher sagen, ob die relativ positive Entwicklung einer Reduzierung der Entwaldungsrate in den letzten Jahren in die Zukunft verlängerbar sein wird. Es besteht allerdings die Hoffnung, daß sich immer mehr Leute dagegen wehren. So hat sich das indigene Volk der Mundurukú bislang sehr entschieden gegen die Staudammbauten am Tapajos geäußert und energischen Widerspruch eingelegt, so daß die Regierung erklärt hat, daß sie es dieses Jahr nicht mehr schaffen wird, das Projekt voranzubringen und auszuschreiben, sondern erst im nächsten, da zunächst die indigenen Probleme gelöst werden müßten.

An diesem Beispiel kann man schön ablesen, wie die brasilianische Regierung vorgeht: Sie sagt, daß Umweltfragen und die indigenen Rechte Probleme sind, die gelöst werden müssen, um das Projekt zu viabilisieren. Sie sagt, wenn die Probleme nicht lösbar sind, daß sie dann den Staudamm nicht bauen kann. Gleichzeitig fragt sie aber auch, wie das Hindernis beseitigt werden kann und geht so vor, wie überall auf der Welt vorgegangen wird. Es werden Teile der Indigenen abgespalten, indem Leute gekauft werden. Einige erhalten große Entschädigungen, andere werden marginalisiert. So kriegt man die Großprojekte teilweise durch, aber eben nicht mit dem Rechtsstaat.

SB: Herzlichen Dank für das Gespräch.


In zum Publikum offener Sitzrunde auf dem Podium - Foto: © 2015 by Schattenblick

Podiumsdiskussion mit (von links) René Ngongo, Thomas Fatheuer, Thomas Brose, Josien Aloema Tokoe und Julia Kill.
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Zu der Fachtagung sind bisher unter
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
mit dem kategorischen Titel "Waldvorräte, Kolonien" erschienen:

BERICHT/102: Waldvorräte, Kolonien - Beutespiel mit Lebensraum ... SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0102.html

INTERVIEW/187: Waldvorräte, Kolonien - geben und nehmen ... Josien Aloema Tokoe im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

[2] Uwe Schölmerich, Leiter des Regionalforstamts Rhein-Sieg-Erft. Er referierte auf der Tagung über "Waldschutz in Zeiten des Klimawandels im urbanen Umfeld".

[3] http://www.bicusa.org/wp-content/uploads/2014/02/COICA-Indigenous-REDD+-Alternative.pdf

[4] Bernhard Grzimek (24. April 1909 - 13. März 1987): Dokumentarfilmer, Autor und Moderator von Tiersendungen für den Hessischen Rundfunk sowie Tierarzt und langjähriger Direktor des Frankfurter Zoos.

[5] Fatheuser hebt auf die Vorverhandlungen für die große UN-Klimaschutzkonferenz im Dezember in Paris ab, die vom 1. bis 11. Juni in Bonn stattfanden.

[6] Näheres dazu unter
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
INTERVIEW/183: Endspiel - die grüne Lunge erstickt ... Claude Martin im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0183.html

5. Juli 2015


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