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INTERVIEW/194: Hambacher Forst - Bagger buddeln nicht im Wald ...    Aktivist Lutz im Gespräch (SB)


Alle Räder stehen still ...

Interview im Hambacher Forst am 14. Juni 2015


Am 9. Juli haben sieben Aktivistinnen und Aktivisten einen Schaufelradbagger im Tagebau Hambach besetzt, und nur wenige Tage zuvor war es zu einer ähnlichen Aktion gekommen. Auch während des G7-Gipfels Anfang Juni, auf dem die in Schloß Elmau versammelten Staats- und Regierungschefs großartige Ankündigungen zur Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft machten, war es zur Besetzung eines Baggers im Tagebau Inden gekommen. Am Rande des Waldspaziergangs mit Michael Zobel ergab sich für den Schattenblick im Camp der Besetzerinnen und Besetzer des Hambacher Forstes, wo diese Aktion mit einer kleinen Fotoaustellung gewürdigt wurde, die Gelegenheit, einige Fragen zur damals jüngsten Baggerbesetzung zu stellen.


Bild eines Baggers mit Transparent - Foto: 2015 by Schattenblick

Foto: 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Lutz, wie seid ihr auf die Idee gekommen, einen Bagger im Tagebau Inden zu besetzen?

Lutz: Der Gedanke lag relativ nahe, weil es ohnehin unsere übliche Aktionsform ist, Räume oder Produktionsmittel zu besetzen und auf diese Weise unsere Körper der Zerstörung entgegenzustellen. Wir hatten diese Widerstandsform zum ersten Mal im Zuge des Klimacamps 2014 praktiziert, als mit einer mittelgroßen Gruppe ein Bagger besetzt wurde. Und im März dieses Jahres gab es nochmal eine Baggerbesetzung in Inden mit einer kleinen Gruppe, ohne daß dies jedoch in einem direkten Zusammenhang mit einem Camp stand.

SB: Was wolltet ihr mit dieser Aktionsform erreichen?

Lutz: Die Motivation der einzelnen Leute ist unterschiedlich, aber mir persönlich ging es darum, aufzuzeigen, wieviel man mit wenig Leuten auf eine relativ deeskalative Weise schaffen kann. Ich würde es als eine recht ruhige Aktion bezeichnen, auch wenn es mit sehr viel Adrenalin verbunden ist. Letztendlich stellen wir uns RWE in den Weg. Um kein Menschenleben zu gefährden, müssen sie erst räumen lassen, und das wird RWE in einer passiven Form möglichst schwer gemacht. Eine solche Aktion mit geringen finanziellen Mitteln und Humanressourcen durchzuführen, kann vielleicht eine Idee davon geben, was eine entschlossene Menge von Menschen erreichen könnte, die sich nicht an die Regeln der Passivität hält. Unter diesem Gesichtspunkt scheint es dann doch nicht so unmöglich zu sein, ein Riesenprojekt wie dieses zu stoppen.

SB: Für August ist eine Massenblockade unter dem Namen Ende Gelände mit Protesten an der Abbruchkante und der Besetzung von Kohlebaggern im Tagebau geplant. Ist es nicht unsinnig, eine solche Aktionsform vorher öffentlich anzukündigen und damit entsprechende Abwehrmaßnahmen geradezu zu provozieren?

Lutz: Natürlich gab es unter uns eine Diskussion darüber, wie sinnvoll es ist, eine Baggerblockade öffentlich anzukündigen. Ich denke, daß es durchaus Sinn macht, weil es Leute mit Protestpotential über eine niedrige Schwelle an den Widerstand heranführt. Es ist wie eine angekündigte Demonstration und daher mit der Hoffnung verbunden, daß wir mehr oder weniger auch so behandelt werden. Dennoch stellt es einen Akt zivilen Ungehorsams dar, nur daß er für RWE und die Polizei planbar ist. Außerdem kann RWE die Schichten so einteilen, daß keine Baggerbelegschaft losgeschickt wird, wenn der Bagger still steht.

Sicherlich wird sich der Energiekonzern in seiner PR-Arbeit gut darauf vorbereiten und versuchen, unsere Aktion politisch möglichst zu entschärfen. Ich könnte mir gut vorstellen, daß RWE für den Tag eine öffentlichkeitswirksame Demonstration mit den Arbeitern organisiert, um aus der Sorge um Arbeitsplätze Kapital zu schlagen. Im Gegensatz dazu war die jetzige Baggerbesetzung unberechenbar für RWE, da sie geheim geplant wurde. Insofern wird sie auf jeden Fall Kosten verursacht haben. Vier von uns waren auf dem Bagger, der über 60 Stunden lahmgelegt war. Die Besetzung selbst hat 55 Stunden gedauert.


Abfotografierte Bilder von der Baggerbesetzung - Fotos: 2015 by Schattenblick   Abfotografierte Bilder von der Baggerbesetzung - Fotos: 2015 by Schattenblick

Fotos: 2015 by Schattenblick

SB: Steht die unangekündigte Baggerbesetzung in irgendeiner Beziehung zu den Aktionstagen im August?

Lutz: Sie stellt jedenfalls keine Absage an die Aktion Ende Gelände dar. Vielmehr ist es cool, daß es auch andere Aktionsformen gibt, die Leute ansprechen, die bisher unentschlossen waren. Wenn sie im August dabei sind, werden sie im Hinterkopf haben, daß es auch direktere Formen des Protestes gibt. Das könnte für sie der nächste Schritt sein. Vielleicht lernt man Leute kennen, mit denen man zusammen eine Baggerblockade macht.

SB: Ihr seid nachts hochgeklettert. Wie schätzst du persönlich das Risiko ein, im Dunkeln einen 70 Meter hohen Bagger zu besteigen?

Lutz: Weil Wartungswege über den ganzen Bagger führen und die Treppen und Laufstege mit Geländern versehen sind, ist das Risiko beim Hochklettern relativ gering. Riskanter ist eher die Räumung, die aus solcher Höhe natürlich eine Herausforderung für die Einsatzkräfte darstellt. Dabei können Fehler gemacht werden. Hinzu kommt, daß die Polizisten nicht so regelmäßig wie wir klettern und daher nicht so geübt sind. Man muß ihnen stets auf die Finger schauen, aber dafür haben sie wenigstens brauchbares Material. Insofern ist das Risiko überschaubar. Bei der letzten Baggerbesetzung haben die Aktivisten die Kletterpolizisten immer wieder auf Sicherheitsstandards hingewiesen und darauf bestanden, Karabinerhaken anzubringen, damit sie sicher abgeseilt werden können. Unsere Sicherheitsstandards sind nicht perfekt, aber immer noch besser als ihre.

SB: Könntest du einmal schildern, wie die Beendigung der Blockade durch die Kletterpolizei abgelaufen ist, gab es Momente, in denen es für euch oder die Polizei zu einer unkalkulierbaren Gefährdungssituation kam?

Lutz: Die Räumung ist recht entspannt verlaufen. Zunächst waren vier Personen oben, aber zwei von ihnen sind, als ihre Reserven zu Ende gingen, wieder heruntergeklettert und relativ problemlos weggekommen, ohne von der Polizei aufgegriffen zu werden.

SB: War das mit RWE abgesprochen oder doch eher eine spontane Entscheidung?

Lutz: Es geschah in Absprache mit den Arbeitern vor Ort, die den Besetzern freies Geleit angeboten hatten, in der Hoffnung, daß alle vier herunterkommen. Zwei sind aber oben geblieben, woraufhin die Polizei nach den beiden, die runtergeklettert sind, eine Suche im Dorf eingeleitet hat, die aber erfolglos blieb.

SB: Erfolgte die Räumung der beiden anderen dann in beiderseitigem Einvernehmen, um Eskalationen zu vermeiden?

Lutz: Die Polizei hat gar nicht geräumt und war überhaupt nur minimal an den Aktionen beteiligt. Zwei Stunden nach Beginn der Besetzung kam ein Streifenwagen vorbei. Nach einem kurzen Rufkontakt mit den Besetzern sind die Polizisten dann wieder abgezogen. Später fuhren ein paar Streifenwagen in der Gegend herum. Die beiden, die oben geblieben sind, kamen schließlich von selbst runter. Am Montagmorgen begannen dann Wartungsarbeiten am Bagger.


Mehrere Schaufelradbagger bei der Arbeit - Foto: © 2015 by Schattenblick

Industriepanorama Tagebau Garzweiler
Foto: © 2015 by Schattenblick

Daß der Kohlebagger am Wochenende besetzt wurde, war kein Zufall, denn an diesen beiden Tagen fand in Schloß Elmau der G-7-Gipfel statt. Die Aktion hier hat sich den G7-Gipfel zunutze gemacht. So stand zu vermuten, daß die meisten Polizeikräfte und insbesondere die Spezialteams nach Bayern abkommandiert sind und es daher nicht so leicht werden würde, den Bagger zu räumen wie beim letzten Mal. Die Einschätzung hat sich bewahrheitet, denn die Polizei hat nicht geräumt. Der Presse gegenüber hat die Polizei erklärt, daß RWE sie nicht angefordert hätte, was ich aber nicht glaube, weil sie immer alles miteinander absprechen und eine gemeinsame PR-Strategie fahren. Was wirklich passiert ist, kann ich nicht sagen.

Es scheint jedenfalls so gewesen zu sein, daß sie ihren Plan umgestellt und sich dazu entschieden haben, nichts zu machen. Weil der Bagger während der Besetzung ohnehin nicht fahren konnte, wurden Wartungsarbeiten angeordnet, die wahrscheinlich irgendwann sowieso gemacht werden müßten. Die beiden Aktivisten haben sich dann entschlossen, weil der Kohlebagger ohnehin viel länger als erwartet stillstand und sie die Wartung nicht groß stören konnten, herunterzusteigen. Sie haben bis zur Abbruchkante freies Geleit bekommen, wurden dort aber von der Polizei aufgegriffen. Sie haben sich aber geweigert, bei der Identitätsfeststellung zu kooperieren.

SB: Drohen den beiden Besetzern eventuell Strafverfahren?

Lutz: Nein, denn die Polizei konnte ihre Identitäten nicht feststellen.

SB: Hat sie nicht versucht, sie gewaltsam zu erzwingen?

Lutz: In der Vergangenheit hat die Polizei verschiedene Erfahrungen damit gemacht, wenn sie Fingerabdrücke gewaltsam nehmen wollte. Einige Male konnte es sogar ganz verhindert werden. Gerade bei Massenfestnahmen mit zehn oder mehr Leuten mußten die Polizisten Armhebel und Schmerzgriffe ansetzen oder die Finger verdrehen. So ein Vorgehen kommt in der Öffentlichkeit nicht gut an, so daß sie ihren Versuch irgendwann aufgegeben und die restlichen Leute gefragt haben, ob sie ihre Fingerabdrücke freiwillig geben. Ich vermute, daß die Polizei bei den beiden an der Abbruchkante sofort gemerkt hat, daß sie entschlossen sind, ihre Identitäten nicht preiszugeben und es daher nicht weiter versucht haben.


Mobi-Plakat für Ende Gelände - Foto: 2015 by Schattenblick

Foto: 2015 by Schattenblick

SB: Am Ende des G-7-Gipfels hat die Bundeskanzlerin die Ankündigung gemacht, aus der fossilen Energieerzeugung bis 2100 vollständig auszusteigen. Das wurde von einem Greenpeace-Vertreter mit den Worten "Elmau hat geliefert" ausdrücklich begrüßt. Wie stehst du dazu, daß eine Organisation, die sich für die gleichen Ziele einsetzt wie die Braunkohlegegner, derart mit einer lebenszerstörenden Politik kooperiert?

Lutz: Ein Ausstieg bis 2100 ist einfach nur lächerlich. Dann wird sowieso nichts mehr aus der Erde herauszuholen sein, und überhaupt wird vieles bis dahin dank der Zerstörung anders sein. Daß Greenpeace dafür lobende Töne hatte, finde ich nicht wirklich überraschend, weil ich von Greenpeace gewohnt bin, daß sie bei kleinen, eigentlich nichtssagenden Angeboten aus Politik und Wirtschaft in bezug auf ökologische Ziele sehr entgegenkommend sind. Das ist ein weiterer Beweis für die eigentliche Arbeit von Greenpeace, nämlich einen gesellschaftlichen Konsens für die herrschaftlichen Entscheidungs- und Machtstrukturen zu schaffen.

Wenn man 85 Jahre zurückblickt und sich anschaut, mit welcher Geschwindigkeit sich die Gesellschaft verändert hat, ist die Vorstellung von einer Zukunft im Jahr 2100 einfach beängstigend. Wann sollte man Merkel dafür zur Rechenschaft ziehen? Auf dem Sterbebett etwa? Aber dann wird erst ein kleiner Teil dieser Zeit verstrichen sein. Sie könnte dann sagen: Wir sind noch mittendrin im Prozeß. Ihre Ankündigung auf Schloß Elmau ist demnach völlig unverbindlich, was nicht weiter verwunderlich ist.

Was ist aus dem Rio-Prozeß, wo viel ehrgeizigere Ziele in bezug auf den Zeitrahmen gesetzt wurden, herausgekommen? Nichts, nur daß der CO2-Ausstoß in allen beteiligten Ländern noch angestiegen ist. So lange der G7-Gipfel keine eindeutigen Maßnahmen mit klaren Verantwortlichkeiten auf den Tisch legt, ist alles nur Gewäsch. Das Bravo von Greenpeace hat jedoch eine viel schlimmere Konsequenz, denn ab jetzt wird es jede Kritik noch schwieriger haben, gehört zu werden. Greenpeace hat nicht nur das System bestätigt, sondern dem Widerstand das gesellschaftliche Wutpotential, das zu strukturellen Veränderungen hätte führen können, genommen.

SB: Lutz, vielen Dank für das Gespräch.


Wiesencamp mit Tripod - Foto: © 2015 by Schattenblick

Melancholia revisited
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT
sind bisher zum Besuch im Hambacher Forst am 14. Juni 2015 erschienen:

BERICHT/103: Hambacher Forst - Kehrwald voran ... (1) (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0103.html

BERICHT/104: Hambacher Forst - Kehrwald voran ... (2) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0104.html

INTERVIEW/191: Hambacher Forst - Vita meines Widerstands ... Aktivistin Wanda im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0191.html

INTERVIEW/193: Hambacher Forst - Kenntnis, Nähe und Gebrauch ... Michael Zobel im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0193.html

21. Juli 2015


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