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INTERVIEW/199: Aus berufenem Mund - gegen den Strich ...    Antje Kröger-Voss im Gespräch (SB)


Vorführung des Films "Unser gemeinsamer Widerstand" und anschließende Diskussion am 14. Januar 2016 im Altonaer Museum, Hamburg

Antje Kröger-Voss über die Magenschmerzen eines beisitzenden Richters in einem politischen Prozeß, schweißtreibende Polizeiarbeit und ein Lächeln ...


Als vor gut fünf Jahren das Altonaer Museum im Herzen des Hamburger Stadtteils Altona geschlossen werden sollte, bildete sich eine Bürgerinitiative, die sich den programmatischen Namen "Altonaer Museum bleibt!" gab. Nicht zuletzt aufgrund ihres Engagements wurde die über Altona hinaus als norddeutsches Landesmuseum tätige Einrichtung gerettet.

Einige Mitstreiter und Mitstreiterinnen aus der Bürgerinitiative stellten fest, daß sie mehr verbindet als das gemeinsame Interesse am Erhalt des Museums. Sie stammten aus der Anti-AKW-Bewegung und hatten unter anderem gegen den Bau des Atomkraftwerks Brokdorf protestiert. Nachdem ein von ihnen schon längere Zeit vorbereitetes Ausstellungsprojekt zum Anti-AKW-Widerstand im Altonaer Museum schlußendlich doch nicht zustandekam, beschlossen sie - Antje Kröger-Voss, ihr Mann Dieter Kröger, Bettina Beermann und Friedemann Ohms - einen Dokumentarfilm über ihre Zeit in der Anti-AKW-Bewegung zu produzieren.

Das Ergebnis läßt sich sehen. Der 75minütige Film "Unser gemeinsamer Widerstand" hebt besonders jene Aspekte der Anti-AKW-Bewegung hervor, die in den meisten anderen Filmen über jene Zeit eher unterbelichtet geblieben sind. So könnte man als Kernaussage des Films konstatieren, daß einige Projekte der Atomindustrie vor allem deshalb gescheitert sind, weil Menschen Widerstand geleistet haben, teils auch jenseits der Legalität.

Im folgenden Interview, das der Schattenblick am Rande der Vorführung des Films "Unser gemeinsamer Widerstand" am 14. Januar 2016 im Altonaer Museum mit Antje Kröger-Voss geführt hat, schildert sie, wie sie diese Zeit des breiten Widerstands gegen das AKW Brokdorf erlebt hat. Damals war sie noch Rechtspflegerin am Itzehoer Amtsgericht gewesen, doch haben bestimmte Ereignisse sie bewogen, ihre sichere Beamtinnenlaufbahn zu beenden und das bürgerliche Leben hinter sich zu lassen.


Porträt - Foto: © 2016 by Antje Kröger-Voss

Antje Kröger-Voss
Foto: © 2016 by Antje Kröger-Voss


Schattenblick (SB): Antje, wie bist du zur Anti-AKW-Bewegung gekommen? Wie fing das für dich an?

Antje Kröger-Voss (AKV): Das fing eigentlich schleichend an. Ich arbeitete damals als Rechtspflegerin beim Amtsgericht Itzehoe. Da gab es gegen AKW-Gegner schon die ersten Prozesse, die ich natürlich mitbekommen habe. Da habe ich auch den Dieter rumlaufen sehen, der recht lautstark gegen die Atomkraft wetterte. Dann habe ich irgendwann, weil ich mehr über Atomphysik wissen wollte, einen Kurs an der Volkshochschule in Itzehoe belegt. Der wurde extra angeboten zum besseren Verständnis der Vorgänge in einem Reaktor und war auch ganz spannend. Da begegnete ich Dieter erneut, der sich vor den Kursteilnehmerinnen und -teilnehmern hinstellte und sagte: "Ich bin hier von der Bürgerinitiative!"

Er hat den Kurs relativ schnell aufgegeben, nachdem er sein Zahlenmaterial zusammenhatte, und ich habe den Kurs durchgezogen. Später hatten wir dann immer mal wieder Begegnungen, besonders nachdem ich umgezogen bin und gegenüber dem ersten Naturkostladen in Itzehoe gewohnt habe. Naturkostläden und selbstverwaltete Betriebe gehörten zur Aufbruchstimmung jener Zeit.

Während ich noch am Amtsgericht arbeitete, war ich mit einem Richter befreundet, der am Landgericht Itzehoe beisitzender Richter in dem großen Brokdorf-Prozeß gegen den Bremer Atomphysiker Professer Jens Scheer und Ulrich Lenze war. Mein Freund hatte Magenschmerzen, wollte unbedingt aus diesem Prozeß raus und meinte, die beiden würden eher wegen ihrer politischen Gesinnung verfolgt als wegen irgendwelcher Straftatbestände. Er hat mich dann nachts rausgeklingelt und mit mir zusammen bis in die frühen Morgenstunden einen Befangenheitsantrag gegen sich selbst formuliert. Den hat er dann auch verlesen, hat sich noch tausendmal bei mir bedankt, die ganze Sache ging durch die Presse - Fernsehen, Radio, Zeitungen - dann, oh Wunder, wurde plötzlich bekanntgegeben, daß er seinen Befangenheitsantrag wieder zurückgenommen habe. Mit unserer Freundschaft ging es dann auch in die Brüche, und später einmal sagte er zu mir, wenn ich länger mit dir zusammengeblieben wäre, wären wir zusammen in Brokdorf am Bauzaun gelandet. Das war 1979.

SB: Du warst also schon skeptisch gegen Atomkraft, bevor du Dieter näher kennengelernt hast?

AKV: Ja, im Hintergrund hatte ich jedenfalls immer irgendwie mit dem Thema zu tun gehabt. Nachdem ich in Itzehoe umgezogen war, stand ich eines Tages mit der Kaffeetasse hinter der Gardine, draußen lief wieder eine Brokdorf-Demo, und der Dieter lächelte da so schön auf dem Bürgersteig, da habe ich mich in sein Lächeln verguckt. So kamen wir zusammen, trafen uns dann häufiger beim Bäcker nebenan, und ich übernachtete natürlich ein paarmal bei ihm. Eines Nachts - Gott sei Dank, hatte ich zu der Zeit Urlaub - machten meine Kollegen eine Hausdurchsuchung bei Dieter und haben mich dann da vorgefunden.

SB: War das ebenfalls durch die Presse gegangen?

AKV: Nein, das war genau nicht durch die Presse gegangen, über solche Dinge herrschte eine Nachrichtensperre. Ich mußte dem Einsatzleiter nochmal meinen Personalausweis zeigen, obwohl der mich schon einige Jahre kannte. Wir saßen ja jeden Abend beim Stammtisch der Ledigen und Geschiedenen zusammen! Von einem anderen Kollegen, der mich noch aus meiner Kindheit kannte, mußte ich mir anhören: "Wie willst du denn aus dieser Sache wieder rauskommen? Was wird denn dein Vater dazu sagen?" Das fand ich total unmöglich, weil ich zum damaligen Zeitpunkt schon 34 Jahre alt war. Das war eine ziemlich blöde Frage.

Natürlich hatte die Sache für mich ein Nachspiel, das wird auch im Film gezeigt. Der Vorfall ging noch am selben Tag zum schleswig-holsteinischen Justizminister.

SB: Oha, da hattest du ja reichlich Staub aufgewirbelt.

AKV: Ja, und dann bekam ich ein disziplinarisches Vorermittlungsverfahren reingedrückt mit der Begründung, ich hätte das Ansehen der Justiz geschädigt, weil ich in der Kaiserstraße die Tür nicht geöffnet hätte. Weil die Polizei nämlich 90 Minuten gebraucht hat, um die Tür zu zerhacken - darauf geht auch unserer Film an einer Stelle ein. Die Tür war von innen mit einer 1 cm dicken Stahlplatte gesichert, so dass die Polizei zuletzt mit einer Drehleiter über das Dach einstieg.

In der folgenden Zeit wurde ich immer wieder vorgeladen, das ganze Verfahren dauerte ein halbes Jahr, dann wurde es schlußendlich zurückgenommen. Aber zeitgleich liefen recht komische Sachen ab: So wurde ich plötzlich über die Lautsprecheranlage des Amtsgerichts ausgerufen, ich möge bitte schön zum Direktor kommen. Da wurde an meinem Anwalt vorbei versucht, mich zu einer Aussage zu bewegen. Die haben bei mir natürlich auf Granit gebissen, ich habe das sofort an meinen Anwalt weitergegeben, der dann ordentlich Druck gemacht hat. Wie gesagt, nach einem halben Jahr wurde das Verfahren gegen mich eingestellt. Aber ich hatte die Nase so gestrichen voll, daß ich kündigte, obwohl ich schon seit sieben Jahren Beamtin auf Lebenszeit war.

SB: Hat sich mit diesen Ereignissen auch dein Verständnis vom Rechtsstaat verändert?

AKV: Ja, absolut, ich bin von Haus aus erzogen worden, konservative Werte zu achten. Das wird auch im Beamtentum gepflegt, gerade bei der Justiz, die ist ja sehr konservativ. Ich habe mich immer an Recht und Gesetz gehalten, richtig treudoof und habe mich hinterher so richtig verarscht gefühlt.

Ich hatte mir dann Urlaub genommen und Prozesse gegen Dieter und andere angeguckt. Wenn man selber aus der Justiz kommt, sieht man, was da gemacht wird. Man hat doch noch einen anderen Blickwinkel und erkennt da einige Sachen. Mein Vertrauen in den Rechtsstaat ist damals jedenfalls sehr erschüttert worden. Nach der Kündigung erhielt ich eine Urkunde: "Der Dank des Vaterlandes wird Ihnen ewig nachschleichen ..." (lacht).

Ich mußte ein Jahr lang warten, daß mich das Landesbesoldungsamt nachversichert hat, weil man noch ein ganzes Jahr lang die Möglichkeit hat, wieder in den Staatsdienst zurückzukehren. Alles in allem habe ich bei der Sache natürlich Geld verloren, die Pension wäre ansonsten höher ausgefallen. Ich bin dann in Dieters Firma angefangen, habe dort Film- und Fotoarbeiten gemacht, die ich mir selber beigebracht hatte, und habe letztlich alle Brücken abgebrochen, auch zu meinen Eltern. Die konnten mich ein halbes Jahr nicht erreichen, haben sich ins Auto gesetzt und nach mir geschaut. Auch zu meinen früheren Freunden und Kollegen habe ich den Kontakt abgebrochen und eine ganz andere Welt kennengelernt.

Ich bereue das bis heute nicht, daß ich diesen Schritt getan habe, obwohl das teilweise sehr schwierig war. Beispielsweise bin ich zu Dieter gezogen, nachdem ich gekündigt hatte, und der hatte fünf fristlose Kündigungen bekommen wegen ständiger Hausdurchsuchungen. Der Hauswirt beschwerte sich, daß da immer Leute mit MPs im Anschlag ums Haus gestanden seien. Er, Dieter, möge doch dafür sorgen, daß ich binnen vierzehn Tage aus der Wohnung ausziehe. Es kam zu einem recht heftigen Prozeß, der mit einem Vergleich endete.

Das war schon nicht einfach: Ich war da eingezogen, sollte sofort wieder raus, hatte meinen Beruf aufgegeben, sämtliche Kontakte abgebrochen ...

SB: Das war noch nicht einmal alles, wie ich erfahren habe. Ihr seid von der Polizei abgehört worden?

AKV: Ja, genau. Nachdem ich schon als Beamtin ausgeschieden war, erfuhr ich, daß wir abgehört worden waren. Und zwar vom ersten Tag an, an dem ich Dieter in meine Wohnung eingeladen hatte. Ein viertel oder ein halbes Jahr lang. So sind vier Leitz-Ordner mit Abhörprotokollen zusammengekommen. Die konnten wir dann als Kopie erhalten, was eigentlich ungewöhnlich ist. Manche Leute erfahren niemals, daß sie abgehört wurden. Aber uns haben sie das wissen lassen, vielleicht zu Einschüchterungszwecken, wer weiß das schon. Da stehen so "schöne" Sachen drin, was man sich als Verliebte durchs Telefon säuselt. Darüber ist man nicht gerade begeistert! Ich ertappe mich manchmal heute noch dabei, wie mir am Telefon heiß und kalt wird, auch wenn ich gar nichts zu irgendwelchen strafbaren Handlungen zu sagen hätte. Sondern es geht um intime Sachen, die man nicht unbedingt einem Dritten erzählt. Das hat mich schon sehr gestört und ich glaube, die haben das aus dem Grunde bewußt für uns zugänglich gemacht.

SB: Würdest du sagen, daß du damals mit Problemen konfrontiert wurdest, wie sie ja auch von Teilen der Anti-AKW-Bewegung angesprochen wurden, von der einige den Gesellschaftsentwurf insgesamt in Frage gestellt hatten?

AKV: Was ich schon damals bei Gericht überhaupt nicht leiden konnte, war diese hierarchische Struktur. Darüber habe ich mich auch einmal in einem Pamphlet ausgelassen. Ich möchte lieber, daß etwas im Konsens besprochen und erreicht wird. Auf jeden Fall haben mich die damaligen Ereignisse in dieser Richtung bestätigt und bei mir auch eine Veränderung bewirkt.

SB: Nachdem ihr den Film "Unser gemeinsamer Widerstand" fertiggestellt habt, hast du noch weitere Projekte oder Ideen zum Thema Anti-AKW-Bewegung?

AKV: Wir werden natürlich weitere Filmvorführungen und Diskussionsrunden organisieren, und es ist wieder etwas zum Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl in Vorbereitung.

SB: Antje, vielen Dank für das Gespräch.


Im Vordergrund Zuschauer, auf dem Podium Karsten Hinrichsen, Dieter Kröger, Antje Kröger-Voss und Friedemann Ohms - Foto: © 2016 by Schattenblick

Anregende Diskussion über den Film "Unser gemeinsamer Widerstand" im Galionsfigurensaal des Altonaer Museums
Foto: © 2016 by Schattenblick

Bisher zur Filmvorführung "Unser gemeinsamer Widerstand" am 14. Januar 2016 im Altonaer Museum unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/110: Aus berufenem Mund - Ein fundamentaler Konflikt ... (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0110.html

INTERVIEW/197: Aus berufenem Mund - Anti-AKW, der Widerstand ...    Dieter Kröger im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri-197.html

INTERVIEW/198: Aus berufenem Mund - wir wollten viel mehr ...    Friedemann Ohms im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0198.html

30. Januar 2016


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