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INTERVIEW/221: Brokdorf, Memorial und Mahnung - Fackelträger ...    Johannes Reese und Andreas im Gespräch (SB)


Eine strahlende Zukunft für Polen?

4. Protest- und Kulturmeile am Akw Brokdorf am 24. April 2016


Die stark durch den hohen Ausstoß klimawirksamer Gase belastete Kohleverstromung durch Atomkraft zu ersetzen ist eine Idee, die den Widersinn des Primats vom unbegrenzten Wirtschaftswachstum nicht präziser auf den Punkt seiner Zerstörungskraft bringen könnte. In Polen will man genau dies tun, wie der Nationale Kernenergieplan der Regierung in Warschau vorsieht. Mindestens zwei AKWs sollen laut den Planungen der Regierung unter Donald Tusk gebaut werden, um den einseitig auf der Verfeuerung von Braun- und Steinkohle beruhenden Energiemix des Landes bei der Stromerzeugung zugunsten des Klimaschutzes zu diversifizieren. Die Bestimmung der Standorte soll noch dieses Jahr abgeschlossen werden, um dem inzwischen als zu ehrgeizig geltenden Plan, das erste AKW im Jahr 2024 ans Netz gehen zu lassen, noch realisieren zu können.

Alle drei der noch im Auswahlverfahren befindlichen Standorte liegen an der Ostsee in der Woiwodschaft Pomorskie, wobei die Ortschaften Choczewo und Lubiatowo-Kopalino direkt am Meer liegen und Zarnowiec - Standort eines in der Volksrepublik Polen geplanten und nie vollendeten AKWs - an einem See etwas abseits der Küste. Damit würden sie ungefähr 250 Kilometer von der deutschen Grenze und 400 Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt liegen, das bei einem schwerwiegenden Unfall bei entsprechender Wetterlage möglicherweise sogar komplett evakuiert werden müßte.

Da der Bau neuer Atomkraftwerke in der EU nicht im Widerspruch zu den Investitionsplänen der EU-Kommission steht, wird eine Finanzierung des polnischen Einstiegs in die atomare Stromerzeugung aus europäischen Haushaltsmitteln in Milliardenhöhe angestrebt. Grund genug, auch auf deutscher Seite nicht die Augen vor einer Entwicklung zu verschließen, die zeigt, daß aus den bisherigen Atomkatastrophen in Politik und Wirtschaft fast nichts gelernt wurde. Einmal mehr bleibt es den potentiell betroffenen Bevölkerungen überlassen, einer solch verhängnisvollen Entwicklung entgegenzutreten.

Auf der 4. Protest- und Kulturmeile am Akw Brokdorf, die zwei Tage vor dem 30. Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl stattfand, waren auch zwei Anti-AKW-Aktivisten aus Polen zu Gast. Johannes Reese wohnt 20 Kilometer von dem kleinen Ort Gaski an der Ostsee entfernt, während der Aktivist Andreas im Dorf Slajszewo in der Gemeinde Choczewo lebt. Nach ihrem Beitrag auf der Bühne der Protestveranstaltung beantworteten die beiden Aktivisten dem Schattenblick einige Fragen.


Vor dem Deich in Brokdorf - Foto: © 2016 by Schattenblick

Aktivist Andreas und Johannes Reese
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Könnten Sie bitte etwas zur aktuellen Lage bei der Standortsuche in Polen sagen?

Johannes Reese (JR): Gaski war bis vor kurzem der präferierte Standort für ein geplantes Atomkraftwerk. Durch den heftigen Protest der lokalen Bevölkerung und eine Volksabstimmung über das Projekt, bei der 94 Prozent der teilnehmenden Bürger mit Nein stimmten, befindet sich der Ort zur Zeit auf der Reservebank. Es wurde zwar erklärt, das das AKW dort nicht gebaut wird, aber tatsächlich wird Gaski weiterhin offiziell als Standort geführt. Das sieht man auch daran, daß wir zum Beispiel keine Straßen erneuern dürfen, wo das Akw gebaut werden könnte. Zu dem anderen Standort, der jetzt ins Spiel gekommen ist, hat eher Andreas etwas zu sagen, weil er dort wohnt.

Andreas: Slajszewo ist zur Zeit derjenige Standort, der am wahrscheinlichsten ausgewählt werden wird. Unter der Bevölkerung regt sich schon Widerstand. Wir waren jetzt auch mit einer Gruppe von Einwohnern in einem Bioenergiedorf hier in Deutschland, um zu zeigen, daß sich ein Dorf auch ohne Atomkraftwerk entwickeln kann. Es geht darum, der Behauptung des Atomkonzerns und der Regierung, daß das Akw eine Chance für die Gemeinde ist, um sich wirtschaftlich zu entwickeln, etwas entgegenzustellen.

SB: Ist der Atomkonzern in staatlicher Hand?

Andreas: Ja, der Staat hält die Mehrheitsanteile und der Konzern ist natürlich auch politisch sehr eng mit der Regierung verbunden. Die wichtigste Frage ist, ob das Projekt irgendwann tatsächlich einmal zustande kommt. Es besteht auch die Gefahr, daß dort dann eine zweite Atomkraftwerksruine entsteht, die dann zu derjenigen in der Nähe von Danzig hinzukommt, die man Anfang der 90er Jahre stillgelegt hat, weil das Projekt nicht weitergeführt wurde. Das ist eigentlich die größte Befürchtung der Bevölkerung, weil das eine sehr schön gelegene Ecke des Landes mit sehr hohem Tourismusaufkommen schädigte. Die Einwohner, die sich jetzt dagegen aussprechen, betreiben vor allem ländliche Touristik und Landwirtschaft. Sie sehen nicht ein, warum sie ein Akw vor der Haustür haben müssen.

SB: Wissen Sie, ob eine deutsche Beteiligung vorgesehen ist?

Andreas: Nein, es gibt keine deutsche Beteiligung.

JR: Das betrifft eher Frankreich. Areva bekommt gerade wieder ein paar Milliarden von der Regierung in Paris, auch wegen des Kraftwerkbaus im britischen Hinkley Point, und in Polen ist der Konzern auch im Geschäft.

Andreas: Eben das wollen wir den Einwohnern vermitteln. Atomkonzerne wie Hitachi, Areva oder Westinghouse versuchen natürlich, sich ins Spiel zu bringen. Wir wollen mit den Einwohnern zusammen in Erfahrung bringen, um was für Investoren es sich dabei handelt. Wir vermitteln ihnen zum Beispiel, daß Areva eigentlich pleite ist und daß diese Technologie vielleicht doch nicht so profitabel ist, wie behauptet wird. Areva ist ein reiner Atomkonzern, und jeder sollte sich fragen, warum er in den roten Zahlen ist.

SB: Polen hat bei der Stromerzeugung ja schon einen sehr hohen Anteil an Kohle, jetzt sollen auch noch Akws dazukommen. Wieso setzt die Regierung in Warschau so stark auf ein Modell, das in der Sicht anderer Staaten wie der Bundesrepublik eigentlich nicht mehr verfolgt werden sollte, um statt dessen die grüne Energiewende voranzutreiben?

JR: Die Kohleverstromung in Polen beträgt zur Zeit noch ungefähr 80 Prozent. In Deutschland ist sie mit über 40 Prozent ja auch noch sehr hoch, was nicht immer so offen gesagt wird. Die Verstromung der Kohle in Polen ist auch deshalb so unverzichtbar, weil die Regierung Proteste von Bergleuten wie der Teufel das Weihwasser fürchtet. Wann immer Bergleute in Warschau demonstrieren, dann geht es nicht ruhig, sondern sehr heftig zu. Dann fliegen Knallkörper, und es werden Reifen verbrannt.

Die Belegschaften der Bergarbeiter gehören zu denjenigen, die gewerkschaftlich noch relativ stark organisiert sind. So sollten die Bergleute jetzt eine erhebliche Lohnkürzung hinnehmen, und die Solidarnosc-Gewerkschaft hat dann mit der Regierung den Kompromiß ausgehandelt, ihnen das vierzehnte Monatsgehalt, das die Bergleute immer bekamen, zunächst einmal zu streichen. Solidarnosc steht der jetzigen polnischen Regierung nahe, und deswegen gibt es da auch keinen großen Widerstand unter den Bergleuten.

SB: Wie steht es um die linke und sozialökologische Bewegung in Polen?

Andreas: Die polnische Bevölkerung, aber auch die Aktivisten aus der linken Szene oder aus der Umweltschutzszene mußten sich in den letzten 20 Jahren häufig mit ganz alltäglichen Problemen herumschlagen. So ist die Bewegung sehr zersplittert, und es gibt eigentlich niemanden, der diese Strömungen wirklich in einer Gruppierung oder Partei zusammenfassen kann. Das ist das Grundproblem für die Linke. Ein anderes Problem liegt in der geringen Wahlbeteiligung. Wenn wir in Polen bei Parlamentswahlen nicht nur 50 Prozent Wahlbeteiligung hätten, dann wäre auch die Linke relativ stark.

JR: Wie im Atomkraftwerk Kernspaltung stattfindet, so kommt es auch in der sozialökologischen linken Bewegung ständig zu Spaltungen. In dem Ort Gaski, wo ich aktiv bin, ist die PiS von Jaroslaw Kaczynski, die jetzt die, wie sie sich selber nennt, neue, gute Regierung bildet, sehr stark. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen und dann bei den Parlamentswahlen hat die PiS in der Gegend sehr viele Stimmen bekommen, weil sie versprochen hat, dafür zu sorgen, daß hier kein Akw gebaut wird. Jaroslaw Kaczynski hat im Vorwahlkampf im nächstgrößeren Ort eine öffentliche Versammlung abgehalten. Dort waren wir auch mit unserer Initiative zugegen, allerdings nicht, um unseren Protest kundzutun, weil viele aus der Initiative Kaczynski sehr nahestehen. Er hat dann auch so ein Protest-T-Shirt geschenkt bekommen und es auch angenommen, um sich dann zur friedlichen Nutzung der Atomenergie zu äußern. Dabei erklärte er, daß es sich bei Gaski als Standort um ein Mißverständnis handelt. Er erklärte, in einem so schönen Ort dürfte nicht gebaut werden - um Wählerstimmen zu fangen, in Klammern gesagt -, aber grundsätzlich sei die Atomenergie natürlich eine moderne Energie. Über eine militärische Nutzung hat er sich nicht ausgelassen, aber auch das mag er im Hinterkopf haben.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


Johannes Reese und Andreas mit Protestfahnen - Foto: © 2016 by Schattenblick

Atomprotest verbindet - von der Ostsee- an die Nordseeküste
Foto: © 2016 by Schattenblick

Bisher zur 4. Protest- und Kulturmeile im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/114: Brokdorf, Memorial und Mahnung - ein dünner Faden ... (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0114.html

INTERVIEW/217: Brokdorf, Memorial und Mahnung - wer A sagt ...    Dirk Seifert im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0217.html

INTERVIEW/218: Brokdorf, Memorial und Mahnung - nicht nur Schönheitsfehler ...    Dr. Karsten Hinrichsen im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0218.html


14. Mai 2016


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