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INTERVIEW/290: Welttag der Ozeane 2019 - komplexe Folgen und tödliche Konsequenzen ...    Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner im Gespräch (SB)



Stellen Sie sich vor, Sie gehen am Meer spazieren und finden auf einer kleinen Düne, die sich im Wind gebildet hat, einen toten Fisch, eine zerbeulte Plastikflasche, etwas Tang und Seegras. Bei welchem dieser heutzutage nicht gerade ungewöhnlichen Fundstücke auf einem Strandspaziergang läßt sich definitiv ausschließen, daß es in irgend einer Form mit den aktuellen Klimaveränderungen zu tun hat?


Ein Wissenschaftler macht Fotos von den Korallen, nachdem er alle Fische um sie herum gezählt hat. Die Koralle im Vordergrund hat große blattähnliche Strukturen ausgebildet, um so viel Sonnenlicht wie möglich aufzunehmen. - Foto: by NOAA Fischerei/Louise Giuseffi Der eingewanderte und möglicherweise klimaflüchtige Löwenfisch stellt eine Bedrohung für Floridas Korallenriffe dar. - Foto: by NOAA, Michelle Johnston

Menschliche und tierische Unruhe- und Störfaktoren im marinen Ökosystem.
Fotos: by NOAA, Michelle Johnston (links) und Louise Giuseffi (rechts)

Richtig, alle diese Dinge könnten, zumindest in einer absehbaren Zukunft, in irgendeiner Weise mit dem Klimawandel zu tun haben ... oder auch nicht. Schon die Tatsache, daß Treibgut nicht nur in unmittelbarer Wassernähe, sondern in einem höhergelegenen Bereich zu finden wäre, könnte vielleicht in 10 oder 20 Jahren an dem durch den Klimawandel steigenden Meeresspiegel liegen. Mit der Erwärmung dehnen sich die Meere aus und nehmen Schmelzwasser auf, das von abtauenden Eisschilden stammt. Diese halten laut Hans-Otto Pörtner, der am 7. Juni 2019 in der Landesvertretung Bremen mit seinem Vortrag den Auftakt zur diesjährigen Konferenz zum Welttag der Ozeane 2019 machte, zu welcher auch dieses Mal Brot für die Welt, Fair Oceans und das Forum Umwelt und Entwicklung in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen eingeladen hatten, eine beachtliche Kapazität an potentiellem Schmelzwasser, das für eine flächendeckende Erhöhung des Meerwasserspiegels von 66 Metern reicht. Ein toter Fisch könnte die erste Vorhut einer Vielzahl weiterer toter mariner Genossen sein, die das Meer aufgrund des zunehmenden Sauerstoffmangels in der Küstenregion verendet an Land spült. Wenn sich die Ozeane, die mehr als 90 Prozent der Wärme absorbieren, die der Globus aufnimmt, erwärmen, nimmt ihre Lösungskapazität für Sauerstoff ab. Sie gasen den lebensspendenden Stoff aus und entwickeln dabei eine stärkere Schichtung. Diese Entwicklung schränkt den Lebensraum für Meerestiere zunehmend ein, mit denkbar drastischen Folgen auch für jene, die von den "lebenden Ressourcen" abhängig sind.

Tang und Seegras könnten bereits von hilflosen Mitigationsversuchen bzw. umstrittenen Geo- oder Climate-Engineeringmaßnahmen stammen, bei denen Makroalgenanpflanzungen oder Seegraswiesen auf dem Meeresboden ausgebracht wurden, um "blauen Kohlenstoff", bzw. CO₂ auf dem Meeresboden zu binden und dadurch dem Klimageschehen dauerhaft zu entziehen. Natürlich haben die absterbenden Meerespflanzen, die dieser Region künstlich aufgezwungen wurden, selbst für eine weitere Eutrophierung und einen für das System unzumutbaren Nährstoffüberschuß gesorgt, der vorübergehend zu einer gesteigerten Produktivität, d.h. einem größeren Reichtum an Lebewesen geführt hat, und schlußendlich durch die den Bedarf nicht mehr deckende Sauerstoffkonzentration zu massenhaftem Sterben.

Vielleicht hat die Plastikflasche noch am wenigsten Anteil an der Erwärmung des ohnehin durch Überfischung und Vermüllung geplagten Meers und seiner Bewohner. Sie mahnt an die derzeit viel diskutierten Probleme von Meerestieren, die stranguliert, vergiftet oder innerlich verletzt an diesen menschlichen Hinterlassenschaften elendig zugrunde gehen. Allerdings sieht man dem zivilisatorischen Rudiment nicht an, daß es sich um eines aus dem "guten" biologisch abbaubaren Kunststoffmaterial handelt, das, wenn es durch Sonnenlicht in seine Grundbestandteile zerlegt wird, zahlreiche flüchtige klimarelevante Stoffe freisetzt, etwa das 28mal stärker als CO₂ wirkende Treibhausgas Methan. Aber auch klassisches, langlebigeres Kunststofftreibgut könnte in einem chemisch versauerten Meer schneller zerfallen und ebenfalls klimarelevante Stoffe von sich geben.

Dieses kleine Beispiel sei nur vorweggeschickt, um zu zeigen, wie vielfältig, unberechenbar und dramatisch selbst unscheinbare Veränderungen, die in jedem Fall immer intensivere Nutzung und Belastung der Weltmeere durch den Menschen mit sich bringen, letztlich auch an den Auswirkungen des Klimawandels auf das marine Ökosystem beteiligt sein können. Vom globalen Warenverkehr, der zu 90 Prozent von der Schiffahrt bewältigt wird, über den Tourismus bis hin zur Fischerei sowie der Nutzung anderer Meeresressourcen, tragen alle menschlichen Aktivitäten zum Klimawandel bei, da sie maßgeblich Energie verbrauchen und mit CO₂-Emissionen einhergehen. Ebenso bedrohlich wie eine Temperaturerhöhung ist für die Meere aber auch die Versauerung als eine Folge der direkten Lösung von CO₂ im Oberflächenwasser.

Vor allem der Temperaturanstieg hat bereits jetzt zu Verschiebungen des Artenvorkommens und damit zu einer Veränderung mariner Ökosysteme geführt. Plankton, Quallen, Schildkröten und Seevögel seien schon zehn Breitengrade in Richtung der kühleren Pole gewandert, sagt die Meeresbiologie. In tropischen Regionen sei ein Rückgang der Fischbestände zu erwarten. Bleibt der Ausstoß von Treibhausgasen unverändert, könnten die Fangerträge in Südostasien bis 2050 um 10 bis 30 Prozent unter dem Mittel von 1970 bis 2000 liegen.

In nicht berechenbarer Weise werden sich sowohl die Bestände selbst als auch ihre Verbreitung - sowohl kommerziell bedeutender als auch nicht kommerziell genutzter Fischarten - verändern. Bereits überfischte Bestände könnten empfindlicher reagieren und ein zukünftiges Fischereimanagement vor noch größere Schwierigkeiten als bisher stellen. Eine vorübergehende Einstellung der Fischerei auf gewisse Zielarten könnte eventuell erforderlich werden.

Es ist heute bereits absehbar, daß das Wachstum der Korallen und andere kalkbildende Organismen wegen der Versauerung und wegen des Temperaturanstiegs beeinträchtigt sein werden. Ein komplexes Zusammenspiel menschlicher Einflüsse - dazu zählt auch der Kohlendioxidanstieg in der Atmosphäre - bedroht die Korallenriffe. Darüber hinaus gibt es Anzeichen, daß im wärmeren Wasser mehr Pflanzen und Tiere erkranken. Auch für den Menschen gefährliche Erreger könnten sich dadurch schneller ausbreiten.

Die komplexen Zusammenhänge des tödlichen Trios "Sauerstoffmangel, Erwärmung und Versauerung" und welche Implikationen dies wiederum für die menschliche Nutzung, aber auch den Schutz der Ozeane als ein wichtiges, lebenserhaltendes System haben könnte, stellte der Meeresbiologe Prof. Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in weniger als 20 Minuten eindrücklich vor. Der gleichzeitig als Ko-Koordinator von BIOACID und Ko-Vorsitzender der Arbeitsgruppe II des International Panel on Climate Change (IPCC) tätige Wissenschaftler ist seit vielen Jahren bekannt dafür, daß er sich für unverzögertes Handeln ausspricht, was die gesetzten Ziele für die Einschränkung von Emissionen angeht.

Anläßlich der Veröffentlichung des Sonderberichts zur globalen Erwärmung von 1,5 Grad des IPCC forderte Pörtner bereits gemeinsam mit den anderen Verfassern zur Überwindung der Klimakrise ein radikales Umdenken in der Klimapolitik, vor allem im Energiesektor, bei Verkehr und Landwirtschaft.

Im Verlauf der Veranstaltung war er bereit, dem Schattenblick die vielschichtige Klimaproblematik im besonderen für die Ozeane genauer zu beleuchten.


Porträt des Referenten - Foto: © 2019 by Schattenblick

"Für einige Ökosysteme werden selbst die ambitionierten Emissionsminderungsmaßnahmen für das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels zu spät kommen" (Hans-Otto Pörtner)
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie haben die vielfältigen Auswirkungen der Klimaproblematik und ihre Wechselwirkungen mit der Ozeanversauerung, dem Sauerstoffmangel und den Lebewesen im Meer heute sehr eindrücklich zusammengefaßt. Eine Schlüsselfunktion scheint dabei die zunehmende Schichtung der Wassermassen zu haben, die sich durch die Erwärmung künftig weiter verstärken wird. Wenn ich das richtig verstanden habe, werden sich die sauerstoffreichen Schichten an der Wasseroberfläche immer weniger mit den kalten, tiefen Wasserschichten mischen. Könnten Sie uns noch einmal näher erläutern, wie sich diese Schichtung auf andere Ökosysteme oder andere physikalische Verhältnisse im Meer auswirkt?

Hans-Otto Pörtner (HOP): Diese Schichtung bedeutet zunächst einmal, daß es zu einer stärkeren Ausdehnung der Sprungschicht, also der Barriere zwischen dem warmen, sauerstoffreichen Oberflächenwasser und kaltem Tiefenwasser in den Ozeanen kommt, wobei die Sauerstoffmangelphänomene in der Tiefe zunehmen. [1] Genauer gesagt dehnt sich die Schicht longitudinal, also in Richtung der höheren Breitengrade aus, und behindert die Durchmischung des kalten Wasserkörpers mit sauerstoffreichem Oberflächenwasser in einem sehr viel größeren Bereich. Diese Sprungschicht stabilisiert sich mit der zunehmenden Erwärmung und dem stärkeren Temperaturunterschied, so daß schließlich kaum mehr sauerstoffreiches Wasser von der Oberfläche zum Beispiel durch die Wellenbewegungen nach unten gelangt, wo aufgrund des Lichtmangels auch kein Sauerstoff durch Photosynthese entstehen kann. Wenn nun organisches Material, das durch Mikroorganismen unter Sauerstoffverbrauch aufgezehrt wird, absinkt und diese biochemischen Prozesse bei höheren Temperaturen grundsätzlich noch schneller ablaufen, prägt sich der Sauerstoffmangel in den tieferen Schichten mehr aus als vorher.

Diese beiden Dinge kommen zusammen. Dann gibt es außerdem noch das Phänomen, daß die Nährstoffe, die in dem absinkenden organischen Material gebunden sind, nicht so schnell wieder recycelt werden und als solche eben nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Ozeanproduktivität nimmt daher in diesen Bereichen merklich ab. Wir rechnen damit, und die Projektionen zeigen das auch, daß sich diese in Richtung höhere Breiten verlagern wird. Das kann sich dabei regional noch differenziert auswirken. Doch der Netto-Effekt wird eine Abnahme der Ozeanproduktivität mit einer Ausdehnung nach Süden sein.


Eine steile Kurve stellt die 'Totzonen der Meere' dar, nach World Scientists - Warning to Humanity: A Second Notice 2017 - Grafik: 2012 by Fährtenleser CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0]

Die Bereiche im Meer, in denen überhaupt kein Sauerstoff mehr vorhanden ist, nehmen zu.
Grafik: 2012 by Fährtenleser CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
[https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0]

SB: Das heißt, wenn sich Bereiche, in denen weniger Produktivität stattfindet, ausdehnen, dann wird diese Erscheinung darüber hinaus von wachsenden Sauerstoffmangelzonen begleitet?

HOP: Zum Teil stimmt das. Der Nordpazifik hat allerdings jetzt schon starke Sauerstoffmangelphänomene, die zum Teil ganz natürlich sind, weil eben alle großräumigen Ozeanströmungen im Pazifik enden. Doch die Kombination von Erwärmung und Sauerstoffmangel betrifft auch die Fischfauna. So wurde unlängst in einer Modellierung nachgewiesen, daß davon die Lebensräume der Fische immer kleiner werden. Wir erwarten in der geographischen Verbreitung der Arten in den sauerstoffarmen Bereichen eine weitere, durchaus spürbare Einschränkung der Artenvielfalt. Also insgesamt schränken die erwähnten Phänomene Erwärmung, Schichtung, Versauerung, Sauerstoffmangel und ihre Folgen die Produktivität der Ozeane ein. Das kann man ganz klar so sagen.

SB: Hat diese Schichtung, die zunächst nur ein physikalisches Dichtephänomen zu sein scheint, auch Auswirkung auf die Meeresströmungen, die meines Erachtens ebenfalls unterschiedlichen Temperaturen, Dichtegefällen und ähnlichen physikalischen Stellgrößen unterworfen sind?

HOP: Inwieweit der Golfstrom von der globalen Erwärmung beeinträchtigt wird, wird unter Wissenschaftlern tatsächlich immer wieder diskutiert. Beispielsweise vermutet man, daß davon der Antrieb im Nordatlantik geschwächt wird und daß der Golfstrom im Zuge des Klimawandels bereits abgenommen hat. Die anfänglichen Prognosen sprachen sogar davon, daß diese Meeresströmung kollabieren könnte und Europa dadurch kühler werden würde. Aber für diese extremen Veränderungen gibt es bislang keinen Beleg. Eine Abschwächung der Strömung des Golfstroms zu erwarten, wäre aber meines Erachtens mit den fortschreitenden Veränderungen im Klimawandel durchaus realistisch.

SB: Und in welchem Zeitraum rechnet man denn jetzt mit dieser erwärmungsbedingten Schichtung? Wenn man von dem Szenario der gegenwärtigen Treibhausgasemissionen und einem "Weitermachen wie bisher" ausginge, dann hat die Entwicklung bis jetzt zu einem Anstieg der globalen atmosphärischen Durchschnittstemperatur von einem Grad geführt und könnte in einer bestimmten Zeit auf 2,5 bis 5 Grad ansteigen. An welchem Punkt der Entwicklung wirkt sich das so sehr auf das Meer aus, daß diese Schichtungseffekte deutlich zu Tage treten?

HOP: Diese Sauerstoffminimalschichten sind ein natürliches Phänomen. Es hat sie seit Menschen Gedenken immer schon gegeben und auch die Verstärkungseffekte konnten bereits in den letzten Jahrzehnten häufiger nachgewiesen werden. Genauer gesagt, daß diese Hypoxie im Zentrum der Schichten zunahm, daß sich die Sauerstoffmangelzonen in Richtung Wasseroberfläche oder in größere Tiefen ausgedehnt haben, daß es eine Ausbreitung der Schichten zu höheren oder tieferen Breitengraden kam und auch die Sauerstoffmangelzonen zahlenmäßig gewachsen sind, ist schon länger bekannt.

Zum Teil kam es - durch Verlagerung von Meeresströmungen - beispielsweise an der Küste Nordamerikas zu Sauerstoffmangelphänomen in unmittelbarer Küstennähe, was von massiven Mortalitäten der dort ansässigen Arten begleitet wurde. Bekanntlich bringen diese Auftriebsgebiete, die man an den Westrändern der Kontinente findet, sauerstoffarmes Tiefenwasser an die Oberfläche. Aber gleichzeitig sorgen diese Auftriebsgebiete dabei auch für eine Durchmischung des Oberflächenwassers mit den Nährstoffen aus der Tiefe, die für die Produktivität unabdingbar ist. Das ist eine delikate Balance. Sobald ein Trend überwiegt, das heißt, wenn beispielsweise der Sauerstoffmangel zu groß wird, dann hilft die erhöhte Nährstoffzufuhr den Tieren nicht. Sie sterben ab, weil sie nicht genug Sauerstoff zum Atmen haben. Und wenn es El Niño-Jahre gibt - und das ist gerade an der Küste Südamerikas prominent - wobei der Auftrieb kurzzeitig abbricht, dann schwappt warmes Oberflächenwasser an die Küsten mit massiv reduzierter Produktivität. Auch dann kommt es zu Einbrüchen in der Artenvielfalt, die vom Auftrieb unterhalten wird. Letztendlich sollten wir uns immer vor Augen halten, daß wir es im Meer mit einem äußerst delikaten Balanceakt zu tun haben, den wir aus globaler Sicht mit dem Klimawandel und auch mit vielen anderen Störeinflüssen komplett aus dem Gleichgewicht oder gar zum Absturz bringen können.

SB: Sie hatten davon gesprochen, daß der Klimawandel nicht nur an Land, sondern auch im Meer mit einer Zunahme des Artenschwunds einhergeht. Könnten Sie das noch präzisieren? Ich meine, von den geschätzt 10 Millionen Arten, welche die Meere bevölkern sollen, sind doch noch nicht mal alle wirklich bekannt. Zählt man auch Arten bereits zu den Verlusten, wenn man sie noch gar nicht im einzelnen entdecken und taxieren konnte?

HOP: Ich muß Sie an dieser Stelle gleich korrigieren, denn ich habe nur von der Möglichkeit gesprochen, mit dem Klimawandel das 6. Massensterben der Erdgeschichte auszulösen oder zumindest zu verstärken. Diese Aussage gilt an Land und in den Ozeanen gleichermaßen. Das bedingt aber nicht nur den Einfluß des Klimawandels, sondern auch andere Einflüsse des Menschen wie die Überfischung, die Unterbrechung von Nahrungsketten, die Vermüllung und Umweltverschmutzung und anderes.

Wenn man allein an die Prognosen mit der sich verlagernden Biogeographie denkt, dann wird dies von einer stärkeren Arten-Durchmischung der Ökosysteme begleitet, die große Unruhe in diese Lebensgemeinschaften bringt. Da jede Art ein wenig anders auf Veränderungen reagiert und die Ökosysteme nicht komplett versetzt werden, treffen durch die Verlagerungen plötzlich Arten aufeinander, die bis dahin nie etwas miteinander zu tun hatten. Neue Nahrungsbeziehungen oder Konkurrenzbeziehungen können entstehen und diese Unruhe wird insgesamt als mögliche Ursache für eine abnehmende Artenvielfalt verstanden, was die Prognose erklärt. Das ist bei Sauerstoffmangel ganz eindeutig zu erkennen. Der führt sofort zu einem Rückgang in der Biodiversität, denn bei wenig Sauerstoff können nur noch Spezialisten überleben, die daran angepaßt sind, bis die Verhältnisse so extrem werden, daß auch diese nicht mehr existieren können. Wir haben es also mit einem komplexen Gefüge zu tun.

Tatsächlich läßt sich weder an Land noch in den Ozeanen bislang das Aussterben einer Art allein am Klimawandel festmachen. Es gab Bestandsverschiebungen, Verlagerungen und Bestandsabnahmen, aber ein Aussterben einer Art durch den Klimawandel konnte bislang noch nicht nachgewiesen werden. Mit einer Ausnahme, bei der man das Aussterben eines kleinen Beuteltiers an der Küste Australiens auf den Klimawandel zurückführen will.

Ansonsten kann man nicht mit einer einzigen Ursache argumentieren. Man muß die gesamte Komplexität aller negativen menschlichen Einflüsse zusammennehmen und daraus resultiert allerdings eine sehr große Gefährdung der Artenvielfalt. Wenn in der Menschheitsgeschichte bisher Arten ausgestorben sind, dann sind diese Ereignisse immer auch eine direkte Folge der Einflüsse des Menschen gewesen.


Hier werden die verschiedenen Folgen des Klimawandels auf das Meer, wie der Anstieg des Meeresspiegels, Erwärmung, Versauerung, Strömungsveränderungen, Niederschlagsänderungen und Veränderung der ozeanischen Wirbel und ihre Rolle beim Absterben der Korallen verdeutlicht. - Grafik: 2018 by NOAA, How does climate change affect coral reefs? [https://oceanservice.noaa.gov/facts/coralreef-climate.html]

Neben Umweltverschmutzung und Überfischung ist der Klimawandel ein weiteres Problem, das einer Korallenpopulation den Garaus machen kann.
Grafik: 2018 by NOAA, How does climate change affect coral reefs?
[https://oceanservice.noaa.gov/facts/coralreef-climate.html]

SB: Sie hatten unter anderem im Vortrag erwähnt, daß die Korallenpopulation im Great Barrier Reef bereits zu 50 Prozent durch die aktuellen Veränderungen abgestorben sind. Ist das nicht schon Beweis genug, daß dies eindeutig eine Folge des Klimawandels ist?

HOP: Dafür hatte ich speziell ein Schaubild mit diversen Einflüssen gezeigt, die alle zusammen das Absterben der Korallen verursachen. Das ist zum einen der parasitische Seestern, der Crown of Thorn-Seastar bzw. auf deutsch: Dornenkronenseestern, die Intensität der Zyklone und schließlich die Korallenbleiche. Daß die Korallenbleiche klimainduziert bzw. erwärmungsinduziert ist, können wir inzwischen ganz klar sagen. Die Intensität der Zyklonen könnte auch darauf zurückführbar sein. Und die Intensität dieses Einflusses wird durch den Klimawandel zunehmen, ebenso die Frequenz dieser Extremereignisse. Sie hat schon zugenommen.

Also in diesen beiden Fällen kann man mit einem etwas geringerem Vertrauensniveau einen Bezug zum Klima herstellen. Und bei dem parasitischen Seestern wissen wir es noch nicht. Natürlich könnten auch weitere Aktivitäten des Menschen wie die zunehmende Trübung des Wassers, die Ausbreitung dieses parasitären oder räuberischen Seesterns begünstigen.


Der parasitäre Dornenkronenseestern in einer Korallenkolonie in Neukaledonien. - Foto: 2018 by Chloé Girard als CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0]

Könnten menschliche Aktivitäten die Verbreitung des räuberischen Seesterns begünstigen?
Gegen diesen Invasoren haben Korallen keine Abwehrkräfte.
Foto: 2018 by Chloé Girard als CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
[https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0]



Verwüstetes Riff mit 'Korallenleichen' - Foto: 2012 by JSLUCAS75 als CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0]

Die Reste einer Kolonie, nach dem Befall mit "The Crown of Thorns".
Foto: 2012 by JSLUCAS75 als CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
[https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0]

SB: Könnte die zunehmende Temperatur die Korallen auch dahingehend schwächen, daß ein Parasit wie der Dornenkronenseestern leichtes Spiel hat oder vielleicht auch nur Mikroben den Korallen den Todesstoß geben, so wie das geschwächte Immunsystem des Menschen durch Befall mit einem simplen E-Coli-Erreger zusammenbrechen kann, wenn es durch andere Infektionen bereits stark in Anspruch genommen ist? [2]

HOP: Da kenne ich jetzt keine entsprechenden Arbeiten. Das wäre aber denkbar.

SB: Könnten sich mit zunehmenden Klimastreß die multifaktoriellen Einflüsse allmählich auf eine einzige Ursache für das Aussterben der Arten zuspitzen?

HOP: Wir sind in solchen Fällen natürlich immer sehr vorsichtig und gehen dabei nach dem Prinzip "detection and attribution" vor. Das heißt, zunächst wird ein Phänomen identifiziert und mit hohem Vertrauensniveau nachgewiesen. Dann fragen wir, ob wir diesen Prozeß tatsächlich dem Klimawandel zuordnen können. Das geschieht zum einen auf der physikalischen Seite und betrifft die Wetterphänomene und Einzelextremereignisse. Hier hat man inzwischen Fortschritte gemacht. Dennoch wird ausschließlich mit Wahrscheinlichkeiten argumentiert.

Zum Beispiel sagt man, ein extremer Sommer, so wie wir ihn letztes Jahr hatten, ist mit dem Faktor 30 wahrscheinlicher im Klimawandel als ohne Klimawandel. Und bei dem japanischen Extremsommer des letzten Jahres läßt sich eindeutig sagen, daß es diesen ohne den Klimawandel so nicht gegeben hätte. Insofern kristallisieren sich langsam die Folgen des Klimawandels aus der natürlichen Variabilität der Phänomene heraus.

In den Ozeanen gibt es bereits Beobachtungen, die wir eindeutig der Ozeanversauerung zuordnen können und wir finden weitere Hinweise auf den Korallenriffen, die zunehmend in Richtung Klima deuten. Das ist zum einen die ziemlich scharfe Temperaturgrenze, deren Überschreiten mit dem Ausbleichen einhergeht, zum zweiten ist es das massenhafte Ausbreiten des Ausbleichphänomens und die zunehmende Häufigkeit, mit der es auftritt, weil die globale Durchschnittstemperatur immer mehr an diesen Schwellenwert herankommt. Kurz gesagt, muß man mit dem Zuordnen einzelner Ereignisse vorsichtig sein und in der Prognose bewußt prüfen, ob man die Ursachen und die Wirkungen auch wirklich verstanden hat, um sagen zu können, in welche Richtung sich etwas entwickelt und inwiefern sich eine Entwicklung bestimmten Risikoschwellen und ähnlichem nähert.

SB: Was hat unter diesen Vorgaben zu Ihrer Prognose geführt, daß selbst das Erreichen des 1,5 Grad-Ziels möglicherweise - ich drücke mich vorsichtig aus - nicht ausreichen wird, um das Absterben von 70 bis 90 Prozent der Korallen zu verhindern?

HOP: Das ist eine Prognose, die sich mit relativ hoher Konfidenz aus den Phänomenen ableiten läßt.

SB: Wurden im Gegenzug auch Berechnungen aufgestellt, was an Bremskraft für den Klimawandel nötig wäre, um die Korallen noch zu retten oder besser zu schützen?

HOP: Das könnte man nur lokal beeinflussen. Da müßten Sie zunächst die Klimaerwärmung abschaffen und im Prinzip die Ozeanversauerung lokal mit mehr Alkalinität bekämpfen. Ich fürchte, der Verlust an Korallen ist bereits fest eingebaut, da können wir nichts mehr machen. Mittelfristig gibt es Überlegungen, genetisch veränderte Sorten auszubringen, also etwas weniger temperaturempfindliche Algen und Symbiosen in den fraglichen Gebieten auszubringen. Aber ob das wirklich funktionieren könnte, wurde bisher nicht einmal untersucht.

SB: Vor kurzem wurde in einer Studie ein neuer GWP* (Global warming potential*)[3] vorgeschlagen, also ein besserer Äquivalenzfaktor als das frühere GWP ohne Stern, der auch die kurzlebigen Treibhausgase in die Klimavorhersagen miteinbeziehen soll. Könnte es auch noch unberücksichtigte Faktoren geben, die Einflüsse auf das Klimageschehen und seine Folgen im Meer haben?

HOP: Ein nicht unrelavanter Faktor könnten Methanhydrate sein, die im tieferen Ozean gefunden werden. Die lösen sich auf und gasen Methan aus. Darüber, wieviel davon tatsächlich in die Atmosphäre gelangen könnte oder ob das Methan noch in der Wassersäule in CO₂ umgesetzt wird, herrscht noch große Unsicherheit. Darüber hinaus werden sich die Verbreitungsgebiete von Algen und Seegraswiesen verschieben, was eine Rolle spielen könnte. Und sicher gibt es zahlreiche einzelne Phänomene, die noch nicht so richtig verstanden sind.

SB: Herr Prof. Pörtner, vielen Dank für das aufschlußreiche Gespräch.


Anmerkungen:


[1] Als Sprungschicht wird die relativ abrupte Trennlinie, der Übergang von der warmen Oberflächenschicht zum kalten Wasser, bezeichnet (Thermokline). Je nach Meeresgebiet ist eine solche Sprungschicht einige Dezimeter bis viele Meter mächtig. Wobei die Sprungschichten im offenen Ozean bei großen Wassertiefen deutlich dicker als in Küstengebieten sind. An der Sprungschicht lagert eine warme Wasserschicht mit geringer Dichte auf einem kalten Wasserkörper höherer Dichte. Damit wirkt sie wie eine Barriere. Je stärker der Temperaturunterschied ist, desto größer ist die Dichtedifferenz und desto stabiler ist die Sprungschicht.

[2] https://books.google.de/books?id=YOgqDwAAQBAJ&pg=PT162&lpg=PT162&dq=Verons+2009+Korallen&source=bl&ots=9PiCceW27Q&sig=ACfU3U32GycZbPLyvjVUmw8sT2y_jV5fPQ&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwiAldCWpe3iAhVPIVAKHaQADwoQ6AEwA3oECAkQAQ#v=onepage&q=Verons%202009%20Korallen&f=false

[3] siehe auch:
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/cheko118.html


Bisher sind zur Konferenz "Weltmeere zwischen Umwelt und Entwicklung - 25 Jahre Seerecht zwischen wachsenden Schutz- und Nutzungsansprüchen" am 7. Juni 2019 in die Landesvertretung Bremens in Berlin im Schattenblick unter
INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/150: Welttag der Ozeane 2019 - die Säge am eigenen Ast ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0150.html
INTERVIEW/289: Welttag der Ozeane 2019 - Geoverwertungsforschung in der Tiefsee ...    Dr. Carsten Rühlemann im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0289.html


19. Juni 2019


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