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INTERVIEW/294: Klima auf der Kippe - ändern alles, handeln gleich ...    Ricarda Lang im Gespräch (SB)


Gespräch am 21. August 2019 in Hamburg


Ricarda Lang lebt in Berlin, wo sie Rechtswissenschaften studiert. Seit Oktober 2012 ist sie Mitglied der Grünen Jugend, in deren Bundesvorstand sie im Oktober 2015 als Beisitzerin gewählt wurde. Auf dem 49. Bundeskongreß der Grünen Jugend im Oktober 2017 in Dortmund wurde Lang im Team mit Max Lucks aus Bochum zur Sprecherin gewählt. Von 2014 bis 2015 war sie Sprecherin des Bundesverbands von Campusgrün. Bei der Europawahl 2019 kandidierte sie auf Listenplatz 25 von Bündnis 90/Die Grünen. Ihre politischen Schwerpunkte sind Bildungs- und Hochschulpolitik sowie Feminismus.

Bei der Veranstaltung "Klima auf der Kippe - Welchen Preis braucht CO2?", die am 21. August auf Einladung des BUND Landesverbands Hamburg in der Freien Akademie der Künste stattfand [1], diskutierte Ricarda Lang auf dem Podium und ging auf Fragen aus dem Publikum ein.


Beim Gespräch - Foto: © 2019 by Schattenblick

Ricarda Lang
Foto: © 2019 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Wenn wir in Betracht ziehen, daß nur noch wenige Jahre bleiben, um den Klimawandel zu bremsen, dürfte die CO2-Steuer ein Instrument sein, das nicht schnell genug greifen würde. Drängt sich angesichts wirksamerer Maßnahmen, die erforderlich wären, nicht die Frage auf, ob es sich dabei um ein Ablenkungsmanöver handelt?

Ricarda Lang (RL): Ich glaube, der CO2-Preis darf nie alleiniges Instrument bleiben. Wir registrieren derzeit eine sehr starke Fokussierung auf diese Option, die tatsächlich auch manchen Parteien, die im Grunde gar keine Lust haben, Klimaschutz umzusetzen, die Möglichkeit bietet, sich aus der Affäre zu ziehen und eigentlich nur noch eine Preisdebatte zu führen. Wir finden, daß der CO2-Preis von zwei Dingen flankiert werden muß. Auf der einen Seite von einer klaren Ordnungspolitik, mit der vor allem die Parteien, die gerade an der Regierung sind, ihre politische Verantwortung übernehmen. Ein Beispiel: Den Kohleausstieg werden wir nicht schaffen, indem wir Kohle einfach teurer machen, vielmehr brauchen wir dafür einen politisch verantwortlichen Kohleausstieg bis allerspätestens 2030. Und zweitens müssen wir massiv in Daseinsvorsorge investieren, das heißt, wir brauchen einen kostenlosen ÖPNV, wir brauchen Investitionen in die Erneuerbaren Energien, wie brauchen Investitionen in Forschung zu klimaneutraler Wärmewende und wir brauchen massiven Ausbau der Bahn. Vor all dem darf sich die Politik nicht drücken, indem sie sich nur mit dem CO2 beschäftigt.

SB: Können Maßnahmen, die über Marktmechanismen laufen, in dieser Gesellschaft überhaupt die angestrebte Veränderung einleiten?

RL: Ich glaube, sie sind in der derzeitigen Gesellschaft, in der wir leben, die leider einer bestimmten Marktlogik folgt, notwendig. Wir als Grüne Jugend setzen uns kritisch mit dem bestehenden System und der damit einhergehenden Wirtschaftsweise auseinander, also einer Wirtschaftsweise, die nach Profitlogik funktioniert. Wenn wir uns gesellschaftliche Bedürfnisse wie zum Beispiel mein Bedürfnis zu leben, mein Bedürfnis nach Mobilität, mein Bedürfnis nach Zusammensein, ansehen, dann können diese irgendwann befriedigt werden. Wir können also wirtschaftlich dafür sorgen, daß diese Bedürfnisse befriedigt werden. Der Profit wird hingegen nie befriedigt, der geht immer weiter, das heißt, es muß immer mehr produziert werden, was einer Wirtschaftsweise, welche die planetaren Grenzen einhält, diametral entgegensteht. Unseres Erachtens müssen wir auf der einen Seite über das bestehende Wirtschaftssystem hinausdenken. Es wäre aber andererseits zu kurz gedacht und unsolidarisch gegenüber den Menschen, die jetzt schon unter den Folgen der Klimakrise leiden, wenn wir sagen, irgendwann wird der Kapitalismus abgeschafft. Wir müssen uns natürlich auch mit den Möglichkeiten im Hier und Jetzt, also innerhalb des bestehenden Systems, auseinandersetzen.

SB: Wir haben heute abend nicht über Profite gesprochen und auch nicht über Herrschaft. Wäre denn eine sozialökologische Transformation überhaupt möglich, ohne diese Profitmaxime und diese Herrschaftsverhältnisse direkt anzugreifen?

RL: Ich denke, wenn unsere Lebensgrundlagen langfristig erhalten werden sollen, dann müssen wir etwas an unserer Wirtschaftsweise verändern. Wir stoßen auf das Problem, daß die jetzige Politik immer nur reaktiv agieren kann. Die kapitalistische Produktionsweise führt dazu, daß immer neue Krisen entstehen, und die Politik versucht dann durch Ordnungsmaßnahmen, teilweise auch Maßnahmen wie den CO2-Preis, diesen Krisen entgegenzuwirken. Eigentlich sollten wir als Gesellschaft in der Lage sein, eine demokratische Wirtschaftsweise zu finden, die diese Krisen nicht mehr hervorbringt. Genau darüber müssen wir auch nachdenken, und das tun wir als Grüne Jugend an den verschiedensten Stellen.

SB: An den Grünen als Gesamtpartei wird ja mitunter kritisiert, daß sie einen grünen Kapitalismus favorisieren. Wie steht denn die Grüne Jugend dazu?

RL: Wir müssen über die bestehende Wirtschaftsweise, die sich rein an der Profitlogik orientiert, über den fossilen Kapitalismus hinausdenken. Wenn wir uns anschauen, wie die soziale Marktwirtschaft heute immer wieder beschworen wird, bleibt doch einzuwenden, daß sie von Anfang an stets darauf ausgelegt war, daß bestimmte Regionen der Welt ausgeschlossen und unsere natürlichen Lebensgrundlagen ausgebeutet werden. Wenn wir jetzt eine sozialökologische Transformation schaffen wollen, dann reicht es nicht, einfach die soziale Marktwirtschaft, die in den letzten Jahren neoliberal ausgehöhlt wurde, wiederzubeleben. Wir müssen vielmehr darüber hinausdenken und eine Wirtschaftsweise finden, die sich sowohl an den planetaren Grenzen orientiert als auch den Wohlstand aller Menschen, egal, wo sie geboren sind, gewährleistet.

SB: Kann die Forderung der Fridays-for-Future-Bewegung an die Politik, sie müsse endlich auf die Wissenschaft hören, überhaupt Wirkung entfalten, wo doch eben diese Politik für die Verhältnisse verantwortlich ist, mit denen wir es zu tun haben?

RL: Na, ich denke, sie kann schon greifen. Auch im Hier und Jetzt ist es ja möglich, wissenschaftliche Studien zu lesen. Ich glaube, auch hier ist es eine Frage des Drucks, wie wir das vorhin in der Diskussion schon einmal angesprochen haben. Die Bundesregierung ist ja nicht zu doof, diese wissenschaftlichen Studien zu lesen, und es fehlt ihr auch nicht an Personal dafür. Sie hat kein Interesse daran, weil sie Interessen von Leuten vertritt, die den Status quo beibehalten wollen. Wir müssen durch gesellschaftlichen Druck ihr Interesse an einer wissenschaftsgeleiteten Politik und vor allem an einer Politik, die sich an den planetaren Grenzen orientiert, erhöhen.

SB: Vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnote:


[1] www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0152.html


Berichte und Interviews zur Podiumsdiskussion "Klima auf der Kippe - Welchen Preis braucht CO2?" im Schattenblick unter:
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BERICHT/152: Konsens - systemimmanente Veränderungen ... (SB)


23. August 2019


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