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INITIATIVE/117: Berliner wollen ihr Wasser zurück - 2. Stufe des Volksbegehrens (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 156 - Juni/Juli 2010
Die Berliner Umweltzeitung

Berliner wollen ihr Wasser zurück

Zweite Stufe des Volksbegehrens beginnt Anfang Juli - 170.000 Unterschriften in vier Monaten gewinnen!

Von Thomas Rudek


Die größte Teilprivatisierung oder "Öffentlich-Private Partnerschaft" ging vor zehn Jahren in Berlin über die Bühne, als die Berliner Wasserbetriebe über eine Holding AG zu 49,9 Prozent verkauft wurden. 1,68 Milliarden Euro brachte dieser Deal dem Land Berlin. Heutige Nutznießer sind die Konzerne RWE Aqua und Veolia Wasser. Entscheidend ist der Umstand, dass die privaten, verschuldeten Investoren ihren Einstieg nicht mit eigenem Geld, sondern fremdfinanziert haben. Das heißt: Sie haben nichts besser gemacht als der Staat! Sie haben Kredite aufgenommen und Schulden gemacht mit der Folge, dass auch die Kapitalbeschaffungskosten in die Wasserpreise einkalkuliert werden und die Banken folglich im Berliner Wassergeschäft kräftig mitverdienen. Doch damit nicht genug! Damit sich das Investment ins Berliner Wassergeschäft auch richtig lohnt, haben die Investoren den Deal vertraglich absichern lassen und das so oft beschworene unternehmerische Risiko minimiert. Abgeschlossen wurde ein Vertrag, über den absolutes Stillschweigen vereinbart wurde.

Kein Wunder, denn dieser Vertrag wurde zu Lasten Dritter abgeschlossen. Die Folgekosten dieses unbefristeten Vertrages sind Jahr für Jahr steigende Preise, eine neoliberale (= zurückhaltende) Investitionspolitik, sprudelnde Gewinne, welche von den Berliner Verbrauchern, den Arbeitnehmern und der Umwelt aufgebracht werden. Doch es kommt noch schlimmer: Es ist zu befürchten, dass dieser Vertrag mit seinen Änderungsvereinbarungen, allesamt getroffen, um das private Investment zu "optimieren", von den Konzernen als juristische Blaupause für die Geschäfte ins Ausland exportiert wird. Frei nach dem Motto: Wir investieren auch im Rest der Welt, allerdings nur zu den Berliner Bedingungen. Die Folgen für die ärmsten Länder unseres Planeten würden darin bestehen, dass ein großer Teil der Entwicklungshilfe zur Risikoabsicherung des Investments zweckentfremdet wird. Dieser Hinweis mag genügen, um zu verdeutlichen, dass das Berliner Volksbegehren zur Offenlegung der Geheimverträge weit über den Berliner Tellerrand hinausragt und auch für das internationale Wassergeschäft Bedeutung erlangt.


Transparenzdefizite in der Demokratie

Doch das Volksbegehren verdeutlicht noch eine andere Schwäche unseres politischen Systems. Um es deutlicher zu formulieren: Wenn Demokratie nicht formaltechnokratisch als Analphabetendemokratie missverstanden werden soll, in der es jedem frei steht, alle vier Jahre wie ein Analphabet brav sein Kreuzchen auf dem Wahlzettel zu machen, sondern politische Willensbildung als das entscheidende Fundament für eine gelebte Demokratie verstanden wird, dann ist den Begriffen Information und Transparenz eine Schlüsselbedeutung beizumessen. Demokratie bedeutet stets, sich ein Urteil bilden zu können. Hierfür sind Informationen erforderlich. Ohne den Zugang zu wichtigen Informationen besteht die Gefahr, dass man sich vorschnell ein Vor-Urteil bildet und die politische Willensbildung auf der Strecke bleibt. Doch das Gelingen einer qualitativ hochwertigen politischen Willensbildung ist auch entscheidend für ein anderes wichtiges Prinzip demokratischer Gesellschaften. Nämlich das der Kontrolle durch die Wähler. Ohne eine transparente Informationskultur bleibt die Kontrolle der politischen Macht eine Illusion und verkümmert zur persönlichen Stimmungsbekundung, die vom Gefallen der Krawattenfarbe des Regierenden abhängt. Eine Entpolitisierung und infantile Banalisierung des politischen Entscheidungsverhaltens wäre genauso die Folge wie der Verlust politischer Sachkompetenz und Urteilsfähigkeit der Bürger.


Kontrolldefizite in der Demokratie

Interessant ist, dass eine öffentliche Kontrolle von privatrechtlichen Vertragsabschlüssen zwischen Ministerialbürokratien und privaten Investoren faktisch nicht vorhanden ist. Hier ist ein Vakuum entstanden, das insofern bedenklich ist, als das die oft über Jahrzehnte eingegangenen haushaltspolitischen Verpflichtungen die Handlungsspielräume stark einschränken und die Verschuldungsproblematik öffentlicher Haushalte verschärfen. Die Höhe beziehungsweise Summe dieser fiskalpolitischen Verbindlichkeiten ist schwer auszumachen, da die Bekanntgabe dieser Details verweigert wird, denn diese fallen angeblich unter die so genannten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die oft wichtiger sind als das öffentliche Interesse. Diese traurige Bestandsaufnahme der informativen Entmündigung der Bürger wurde vor kurzem durch den Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, Informationsfreiheit, Peter Schaar, bekräftigt.

Nach seiner professionellen Bestandsaufnahme sind die Behörden im Erfinden von Tatbeständen sehr erfindungsreich, wenn es darum geht, Auskunftsgesuche von Bürgern abzuschmettern. Besonders pikant, in der Regel übernimmt die Abwägung der Frage, ob das öffentliche Interesse oder die privaten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse im abzuwägenden Fall dominiert, nicht eine unabhängige Stelle wie die des Beauftragen für Datenschutz und Informationsfreiheit, sondern jene Behörde, die den Vertrag mit den privaten Investoren abgeschlossen hat. Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Regelung ist es kein Wunder, dass Informationsfreiheitsgesetz, Umweltinformationsgesetz und Verbraucherinformationsgesetz ins Leere laufen.

Es bleibt die Frage, warum sich gegen die informative Entmündigung oder die informationspolitische Gleichschaltung kein großer politischer Protest organisiert?


Entmündigung in der Informationsgesellschaft

Das Leben in der "Informationsgesellschaft" ist gekennzeichnet durch ein kaum zu bewältigendes Angebot. Detail- und Unterhaltungsinformationen strömen ununterbrochen über uns herein, so dass schnell der Eindruck entsteht, an Informationen herrsche kein Mangel. Entscheidend ist jedoch der Sachverhalt, dass mit der größten Privatisierung in Deutschland, mit der Einführung des Privatfernsehens 1984, die Jagd nach Einschaltquoten oft genug dazu geführt hat, dass auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten der politische Bildungsauftrag in der Programmgestaltung hinten angestellt und sehenswerte Umwelt-Dokumentationen wie die skandinavischen Filmproduktion "Unser Planet" in die späte Nacht verbannt werden. Unbestritten ist, dass die Zahl an fragmentarischen Detailinformationen zugenommen hat und sich der Begriff des "information overkill" eingebürgert hat.

Gleichzeitig sind die Rahmenbedingungen für journalistisches Arbeiten schlechter geworden, so dass die Erarbeitung interdisziplinärer Zusammenhänge in der Regel zu kurz kommt und die Erarbeitung von Perspektivinformationen beziehungsweise Problemlösungsinformationen ganz unter den Tisch fällt. Während wir unseren Blick ganz vertrauensvoll auf die bunte Werbewelt der Flimmerkiste richten, werden hinter den verschlossenen Türen der Ministerialbürokratie die Privatisierung und Kommerzialisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge mittels privatrechtlicher Geheimverträge unter Dach und Fach gebracht. Und wenn dann doch einige Bürger sich für diese Machenschaften interessieren, dann müssen sie sich vorhalten lassen, dass die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wichtiger seien, als das öffentliche Interesse.


Wasser-Volksbegehren für Transparenz und Kontrolle

Mit unserem Gesetzentwurf zur Offenlegung von Geheimverträgen kann zumindest dem Transparenzdefizit im Bereich von Vertragsabschlüssen exemplarisch entgegengewirkt werden. Mehr noch: Da uns zentrale Vertragspassagen durch Insider aus der politischen Verwaltung zugespielt worden sind, wissen wir, dass gute Chancen bestehen, die vertraglich zugesicherten Gewinngarantien zu Fall zu bringen und so die Voraussetzungen für eine kostengünstige, bürgernahe Rekommunalisierung geschaffen werden können. Denn solange die Geheimverträge nicht juristisch angefochten werden, solange werden sich die Konzerne nicht aus dem profitablen Berliner Wassergeschäft zurückziehen. Erst wenn die Verträge vollständig und vorbehaltlos offen gelegt werden, ist eine unabhängige und öffentliche Kontrolle dieser Dokumente möglich. Und wer weiß, vielleicht können sogar Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden. Denn wer privatrechtliche Verträge zu Lasten Dritter abschließt, der muss damit rechnen, dass die betroffenen Dritten den Vertragsparteien eines Tages ihre Rechnung präsentieren.

Doch unabhängig von der Frage, ob sich das Wasser-Volksbegehren in Form von Schadensersatzansprüchen auszahlt, verdient die Unterstützung des Volksbegehrens schon deshalb eine breite gesellschaftliche Unterstützung, damit die Transparenz "systemrelevanter" Informationen als Nährboden für eine lebendige Demokratie nicht gänzlich verkümmert und austrocknet.

Daher machen Sie mit, informieren Sie Ihre Freunde, Verwandten und Kollegen! Aktivieren Sie Ihre sozialen Netzwerke, wenn wir von Anfang Juli bis Ende Oktober 170.000 Berliner Bürger/-innen um ihre Unterschrift bitten.

Thomas Rudek

Sprecher des Volksbegehrens für die GRÜNE LIGA und den Berliner Wassertisch.

ThRudek@gmx.de
Tel.: 030/ 2613389 (AB)
www.berliner-wassertisch.net
www.grueneliga-berlin.de


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 156, Juni/Juli 2010, S. 1+4
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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E-mail: raberalf@grueneliga.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2010