BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 1151, vom 07. Sept. 2019 - 38. Jahrgang
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)
Für die Insekten: Randstreifen an fast allen Gewässern
Das am 4. Sept. 2019 vorgelegte Insektenschutzprogramm der Bundesregierung beinhaltet auch die Ausweisung von Gewässerrandstreifen im größeren Umfang als bislang. Dazu soll das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) noch in dieser Legislaturperiode geändert werden. Als Standardbreite von Gewässerrandstreifen sind bis jetzt 5 Meter beiderseits von Gewässern festgelegt (siehe nebenstehenden Kasten). Die Landeswassergesetze können davon abweichende Regelungen enthalten. Beispielsweise hat Baden-Württemberg eine Randstreifenbreite von 10 Metern festgesetzt. In Baden-Württemberg gilt zudem ein innerer Gewässerrandstreifen von 5 Metern, auf dem ein Verbot des Ackerbaus und der Anwendung von Pestiziden gilt. Im Rahmen der Umsetzung des Insektenschutzprogramms ist jetzt geplant, bundesweit ein Pestizidanwendungsverbot auf einer Breite von 10 Metern festzulegen. Dort wo die Abstandsfläche zum Gewässer dauerhaft begrünt ist, soll ein Abstand von 5 Metern ausreichend sein. Auf einer Breite von 10 Metern darf künftig auch keine Düngung mehr erfolgen - aber nur, wenn die Hangneigung der benachbarten landwirtschaftlichen Nutzflächen über 15 Grad liegt. Bei einer Hangneigung zwischen 5 und 10 Grad soll der düngefreie Gewässerrandstreifen auf 2 Meter schrumpfen. Im Insektenschutzprogramm wird nicht definiert, welche Maßgaben bei Hangneigungen zwischen 10 und 15 Grad gelten sollen.
Jetzt schon ist es kaum möglich, den Überblick über die von einander abweichenden Abstandsregelungen im Wasser-, im Dünge- und im Pestizidrecht zu behalten. Das Insektenschutzprogramm wird dieses Durcheinander bei der Breite und Qualität der Gewässerrandstreifen nicht harmonisieren. Soweit es die neuen Regelungen zu den Gewässerrandstreifen im Wasserhaushaltsgesetz betrifft, werden es sich die Bundesländer nicht nehmen lassen, im Bundesratsverfahren ein entscheidendes Wort mitzureden. Es ist kaum zu erwarten, dass die auseinanderlaufenden Gewässerrandstreifen-Regelungen in den Landeswassergesetzen bereinigt werden. Die Skepsis gilt trotz der Verlaubarungen einiger Bundesländer, die (wie beispielsweise Sachsen und Brandenburg) schon eigene Insektenschutzstrategien aufgestellt haben - und sich darin ausdrücklich zu Gewässerrandstreifen bekennen. (Die "Disharmonien" in den Gewässerrandstreifenregelungen hatten wir bereits in unserer Stellungnahme vom 28.11.2016 zur Strategischen Umweltprüfung (SUP) der damals anstehenden Novelle der Düngeverordnung (DüV) moniert gehabt - erwartungsgemäß ohne Erfolg.) Zum Eigensinn der Bundesländer wird noch der Widerstand der Landwirte kommen, die jede Ausweitung der Gewässerrandstreifen als "kalte Enteignung" einstufen (s. RUNDBR. 1099, 1091/1). Das ganze Insektenschutzprogramm ist vom Deutschen Bauernverband in einer ersten Reaktion bereits als "toxisch" für die Bauern bewertet worden.
Zur großen Vereinheitlichung schlagen wir vor, dass künftig ein komplettes Dünge-, Pestizid- und Ackerbauverbot auf einem Gewässerrandstreifen von 10 Metern Breite gelten sollte. Andere Umweltverbände - wie der NABU - gehen noch weiter und verlangen eine Gewässerrandstreifenbreite von 25 Metern. Wissenschaftler, aber auch Fachleute innerhalb der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA), verlangen darüber hinaus die Ausweisung eines Gewässerpendelraums bzw. einen Gewässerentwicklungskorridor vor. In unserer SUP-Stellungnahme zur DüV im Jahr 2016 hatten wir vorgeschlagen, im eigentlich notwendigen Gewässerentwicklungskorridor nur noch eine eingeschränkte Düngung zuzulassen. Unsere damalige SUP-Stellungnahme zur DüV können interessierte RUNDBR.-LeserInnen kostenfrei via nik@akwasser.de anfordern.
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Die bisherige
Gewässerrandstreifenregelung in § 38 Wasserhaushaltsgesetz:
(1) Gewässerrandstreifen dienen der Erhaltung und Verbesserung der
ökologischen Funktionen oberirdischer Gewässer, der Wasserspeicherung,
der Sicherung des Wasserabflusses sowie der Verminderung von
Stoffeinträgen aus diffusen Quellen.
(2) Der Gewässerrandstreifen umfasst das Ufer und den Bereich, der an
das Gewässer landseits der Linie des Mittelwasserstandes angrenzt. Der
Gewässerrandstreifen bemisst sich ab der Linie des
Mittelwasserstandes, bei Gewässern mit ausgeprägter Böschungsoberkante
ab der Böschungsoberkante.
(3) Der Gewässerrandstreifen ist im Außenbereich fünf Meter breit. Die
zuständige Behörde kann für Gewässer oder Gewässerabschnitte
1. Gewässerrandstreifen im Außenbereich aufheben,
2. im Außenbereich die Breite des Gewässerrandstreifens abweichend von
Satz 1 festsetzen,
3. innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile
Gewässerrandstreifen mit einer angemessenen Breite festsetzen. Die
Länder können von den Sätzen 1 und 2 abweichende Regelungen erlassen.
(...)"
[Der jetzt noch gültige Wortlaut von § 38 stammt aus der großen
WHG-Neufassung von 2009. Wir hatten damals moniert, dass die
Gewässerrandstreifenregelung einen "doppelten Weichmacher" enthalten
würde. Nicht nur "die zuständige Behörde", sondern auch die Länder
waren ermächigt worden, "abweichende Regelungen" - also schmalere
Gewässerrandstreifen - zu erlassen. Mehr zur damaligen Debatte siehe
RUNDBR. 885/1 - vgl. auch 1038/2, 1013/4, 1006/2, 597/1].
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Von den neuen Gewässerrandstreifenregelungen sollen kleine Gewässer von "wasserwirtschaftlich untergeordneter Bedeutung" (wie bislang auch schon) ausgenommen werden. In gewässerreichen Niederungsgebieten können die Länder zudem "abweichende Abstandsregelungen" vorsehen. Das Insektenschutzprogramm sieht ferner vor, dass ein "praxisorientierter Dialogs mit den Ländern angestoßen" werden soll, "wie Insekten in und an kleinen Gewässern wirksam vor den Auswirkungen von Pestizidanwendungen in angrenzenden Bereichen geschützt werden können". [Eine Reduktion des Pestizideinsatzes im Einzugsgebiet von kleinen Bächen wäre deshalb wichtig, weil gerade an kleinen Gewässern die Ab- und Ausschwemmung sowie die Abdrift von Pestiziden zu kurzzeitigen, aber hohen, Konzentrationen führt. Diese "Peaks" löschen allzu oft den Bestand an Kleinkrabbeltieren in den quellnahen Bächen aus - s. RUNDBR. 1085/3-4, 1069/1, 1051/1-2, 1038/2, siehe auch Bundestags-Drs. 18/12884 vom 23.06.2017.] Mit dem Insektenschutzprogramm wird darüber hinaus eine gravierende Gesetzeslücke nicht angegangen: Viele Gewässerrandstreifen werden durch Drainagen im wortwörtlichen Sinne unterminiert. Wasserlösliche Pestizide und Düngemittel werden über die Dainagen unter dem Gewässerrandstreifen hindurch in die Bäche geschwemmt. Für Drainagen besteht keine wasserrechtliche Erlaubnispflicht. Keine Behörde hat deshalb einen Überblick, wo die Ausflüsse von Drainagen die Gewässerökologie - und damit die gewässerbewohnenden Insekten - belasten.
Die Larven von Eintagsfliegen, Köcherfliegen, Steinfliegen und Libellen, von Schnaken (eher unerwünscht) und Zuckmücken sind durch Pestizideinschwemmungen in Bäche und Flüsse gefährdet. Wasserkäfer und darüber hinaus viele kleine Krebse sowie Schnecken - und sogar einige wasseraffine Spinnen - sind über hohe Pestizidkonzentrationen wohl auch nicht sonderlich begeistert. Wir haben recherchiert, wie viel Prozent der in Deutschland heimischen Insekten zumindest in einer ihrer Lebensphasen auf intakte Gewässerlebensräume angewiesen sind. NICOLAS SCHOOF vom Institut für Standorts- und Vegetationskunde der Uni Freiburg hat uns dazu mitgeteilt, dass sich die Zahl der obligat an Gewässer gebundenen Insektenarten auf knapp 3.200 Arten beläuft. "Bei einer Gesamtartenzahl von 33.500 Insekten in Deutschland ergibt sich damit ein Anteil von 10,5%."
Die Auswertung des Freiburger Instituts basiert auf den Taxalisten der
Gewässerorganismen Deutschlands:
https://www.bestellen.bayern.de/application/applstarter?APPL=eshop&DIR=eshop&ACTIONxSETVAL(artdtl.htm,APGxNODENR:3774,AARTxNR:lfw_was_00046,AARTxNODENR:14801,USERxBODYURL:artdtl.htm,KATALOG:StMUG,AKATxNAME:StMUG,ALLE:x)=X.
Dieser Link ist uns vom rheinland-pfälzischen Landesamt für
Umweltschutz mitgeteilt worden. Dr. JOCHEN FISCHER, der
Gewässerbiologie beim Landesamt hat dazu noch ergänzend angemerkt:
"Die aktualisierte Excel-Tabelle von 2017 ist die vollständigste, mir
bekannte Zusammenstellung von Tieren und Pflanzen mit Bindung an
aquatische Süßwasser-Ökosystemen für Deutschland. Aus ihr kann man
ableiten, wie viele Wasserinsekten gelistet sind und sie dann mit der
Gesamtzahl der bekannten Insektenarten in Deutschland in Beziehung
setzen."
Dr. FISCHER hat uns in dem Zusammenhang auch auf den schon im Juni 2010 publizierten Aufsatz von Prof. MARK GESSNER: "Biodiversität - Fakten, Mythen, Perspektiven" in den EAWAG-News 69 aufmerksam gemacht (siehe Kasten).
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Überproportionale Gefährdung der enormen Artenvielfalt in den
Süßgewässern
Prof. Mark Gessner, Biologe und Leiter der Gruppe Ökosysteme in der
Abteilung Gewässerökologie an der Eidgenössischen Anstalt für Wasser,
Abwasser und Gewässerschutz (EAWAG) schreibt in seinem Aufsatz
u.a.:
"Etwa 40% der rund 30 000 anerkannten Fischarten kommen in
Süssgewässern vor. Das entspricht 20% aller Wirbeltiere weltweit und
33% aller Wirbeltiere, wenn die übrigen wassergebundenen Arten (u. a.
Amphibien) zu den Fischen hinzugerechnet werden. Kaum minder bedeutend
ist die Artenzahl wirbelloser Tiere aus dem Süsswasser, von denen über
100. 000 bekannt sind. Zusammen mit den Wirbeltieren sind das rund 10%
aller Tierarten überhaupt. Die durchschnittliche Artendichte, d. h.
die Zahl der Arten pro Flächeneinheit, liegt somit in Flüssen, Seen
und Sümpfen um ein bis zwei Grössenordnungen höher als auf dem Land
und in den Meeren."
Zugleich seien aber auch die Aussterberaten in den Süßgewässern im
Vergleich zu Land und Meer überproportional hoch. Um eine Trendumkehr
zu erreichen, müsse für einen "effektiven Schutz der
Gewässerbiodiversität ein komplettes Umdenken in der Wasserwirtschaft"
erfolgen. Der gesamte Aufsatz unter:
https://www.researchgate.net → links →
Vergessene-Vielfalt-im-Wasser
Mehr zu den lesenswerten EAWAG-Publikationen in den RUNDBR. 976/4,
924/1-4, 920/1-2.
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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1151
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© Freiburger Ak Wasser im BBU
veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2019
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