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SCHADSTOFFE/092: Leuna - Pilotanlage soll toxisches Grundwasser von MTBE und Benzol befreien (UFZ-Spezial)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Spezial Oktober 2012: Chemikalien in der Umwelt

Eco-tech is(s)t high-tech

von Annegret Faber



Dr. Manfred van Afferden steht vor einem tennisplatzgroßen Kiesbecken und blinzelt in die Sonne. Gleich daneben ist ein zweites, ähnliches Becken. Dieses ist mit Weiden bepflanzt. "Deren Durchwurzelung bewirkt einen größeren Sauerstoffeintrag", erklärt er und blickt dabei in Richtung Chemiestandort. Was er sieht, kann gegensätzlicher nicht sein. Dort, auf 1.300 Hektar, rauchende Schornsteine, Industriebauten und Kühltürme. Hier ein Ensemble, das an eine Gartenanlage erinnert.

Was so unscheinbar daher kommt, löst auf sehr effiziente Weise ein Problem, das Sachsen-Anhalt schon lange unter den Nägeln brennt. Das Grundwasser unter dem Chemiestandort Leuna ist stark toxisch und muss dringend gereinigt werden. Methyl-tertiär-butylether, kurz MTBE, und Benzol kommen hier in hohen Konzentrationen im Grundwasser vor - ein Erbe der DDR-Erdölindustrie sowie aus noch früheren Zeiten. MTBE wird seit vielen Jahren als Ersatz für bleiorganische Verbindungen dem Super-Benzin beigemengt, um die Oktanzahl und damit die Klopffestigkeit des Motors zu erhöhen. Bis zu 5.000 Mikrogramm der Trinkwasser gefährdenden Chemikalie wurden unter Leuna in einem Liter Grundwasser gemessen. Beim krebserregenden Benzol sieht es ähnlich aus, da wird der Grenzwert für Trinkwasser um das 15.000-fache überschritten.

"Wir haben in den letzten Jahren ein neues Verfahren für solche Schadensfälle entwickelt, das die Abbauvorgänge der Natur nachempfindet", sagt Umweltbiotechnologe van Afferden. Aus vier bis sechs Metern Tiefe holen die Forscher dazu das vergiftete Grundwasser an die Oberfläche. Dort wird es über spezielle Verteilersysteme innerhalb der Kiesbecken verrieselt. Einige der im Grundwasser natürlich vorkommenden Bakterien nutzen Benzol und MTBE als Nahrung. An die Oberfläche geholt, werden sie aktiv und beginnen damit, die toxischen Stoffe zu verwerten. Im Einzelnen funktioniert das zweistufige ecotech-Verfahren folgendermaßen: Das erste Becken ist ein Vertikalfilter, der vorwiegend mit grobkörnigem Blähtonmaterial gefüllt ist. Hier wird vor allem Eisen ausgefällt, was sonst zu Verblockungen von Rohren, Pumpen und sensiblen Gerätschaften führen würde. Außerdem ist die Anlage so designed, dass kein Kalk ausfällt - ein großer Vorteil gegenüber herkömmlichen chemischen Anlagen, wo Kalkausfällungen sehr hohe Betriebs- und Wartungskosten nach sich ziehen können. Im zweiten Verfahrensschritt passiert das Grundwasser einen Filter, der mit feinkörnigem Material gefüllt ist und eine große Oberfläche für die Ansiedlung der Mikroorganismen bietet. Beeindruckende 15.000 Mikrogramm Benzol pro Liter werden hier schließlich innerhalb weniger Tage auf ein Mikrogramm reduziert und 5.000 Mikrogramm MTBE auf unter zehn Mikrogramm pro Liter. Das sind Konzentrationen, die unter den Grenzwerten liegen, die für Trinkwasser gelten.

Doch auf dem Weg in die Praxistauglichkeit gab es weitere Hürden zu überwinden, etwa die verfahrenstechnische Einstellung auf winterliche Temperaturen. Denn damit der mikrobielle Abbau auch bei Minusgraden nicht gehemmt wird, darf es im Filter nie kälter als 5 werden. Die Lösung liegt nicht, wie man vermuten könnte, in einer externen Heizung. Durch eine spezielle Betriebsführung der Anlage wird das konstant 8-10 "warme" Grundwasser in so großen Mengen kontinuierlich durch die Filter gepumpt, dass auch bei -20 Außentemperatur ein Abkühlen unter die kritische Marke vermieden wird. Ein integrierter "Abluftfilter", in dem ebenfalls Mikroorganismengemeinschaften die Hauptakteure sind, verhindert zudem, dass flüchtige Schadstoffe emittieren.

Die Firma BAUER Umwelt bekam den Auftrag, die Pilotanlage in Leuna zu bauen. "Im Vergleich zu den gängigen hightech-Anlagen ist diese hier sehr robust, anspruchslos in der Wartung, dadurch viel kostengünstiger und schön sieht sie auch noch aus" sagt BAUER-Projektleiter Dr. Uwe Schlenker. Bewährt sich die Anlage, werden weitere Filterbecken daneben gebaut. Schon heute ist sie ein weiterer Beweis für die Verbindung von UFZ-Forschung und Technologieentwicklung mit der aktiven Implementierung im technischen Maßstab. Und sie stellt einen wichtigen Meilenstein der langjährigen und guten Zusammenarbeit mit der Landesanstalt für Altlastenfreistellung des Landes Sachsen-Anhalt (LAF) dar, ohne die die Verfahrensentwicklung nicht möglich gewesen wäre.

UFZ-Ansprechpartner:
Dr. Roland A. Müller,
Dr. Manfred van Afferden
Dept. Umwelt- und Biotechnologisches Zentrum (UBZ)

e-mail: manfred.afferden[at]ufz.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Filterbecken am UFZ-Versuchsstandort Leuna. Hier wird mit robusten ecotech-Verfahren Grundwasser von Benzol und MTBE, einem Benzinzusatzstoff, befreit.

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Quelle:
UFZ-Spezial Oktober 2012: Chemikalien in der Umwelt, S. 25
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2013