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SOZIALES/022: Chile - Hochlandregion als Publikumsmagnet, doch Dörfer wollen nachhaltigen Tourismus (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. September 2015

Chile: Hochlandregion als Publikumsmagnet - Doch Dörfer wollen nachhaltigen Tourismus

von Marianela Jarroud



Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Das Dorf San Pedro de Atacama in der nordchilenischen Region Antofagasta ist eine gefragte Touristendestination
Bild: © Marianela Jarroud/IPS

SAN PEDRO DE ATACAMA, CHILE (IPS) - Die Atacama-Wüste im Hochland Chiles ist die trockenste Region der Welt. Hier kämpfen Dutzende indigene Gemeinden mit touristischen Nachhaltigkeitsinitiativen ums Überleben.

Im letzten Jahr besuchten mehr als 1,6 Millionen Menschen die Region, um sich von der atemberaubenden Schönheit der Landschaft bezaubern zu lassen. Hier finden sich Salzseen, Dünen, Vulkane, Geysire, schneebedeckte Berge und einer der klarsten Sternenhimmel der Welt.

Der Massenandrang treibt bisweilen seltsame Blüten. So hat der Geschäftssinn an einigen Orten beinahe groteske Züge angenommen. "Hier dreht sich alles ums Geld", meinte der Touristenführer Víctor Arque in San Pedro de Atacama. "Hast du keines, bis zu uninteressant."

Die kleine 2.600 Meter über dem Meeresspiegel gelegene Stadt rund 1.700 Kilometer von der chilenischen Hauptstadt Santiago entfernt ist das touristische, archäologische und gastronomische Zentrum der chilenischen Nordregion Antofagasta. Fast zwei Drittel der 4.800 Einwohner sind Angehörige der Volksgruppe der Atacameño oder Lickantay, wie sie sich in ihrer Sprache Kunza selbst nennen.

San Pedro de Atacama ist das regional beliebteste Reiseziel in- und ausländischer Touristen. Doch der unkontrollierte Zustrom so vieler Menschen gibt Anlass zu Sorge, dass die Ökosysteme Schaden nehmen könnten. Deshalb treiben Lokal- und Regionalbehörden verschiedene Nachhaltigkeitsinitiativen voran.


Nachhaltigkeitsinitiativen

Dazu gehörte auch eine Ende 2014 abgeschlossene Maßnahme, die Teil des Projekts für ökosystemische Dienstleistungen (ProEcoServ) war, das die Globale Umweltfazilität (GEF) finanziert und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) umsetzt. Mit den bereitgestellten Mittel in Höhe von 1,4 Millionen US-Dollar wurden die Instrumentarien zur Erfassung des wirtschaftlichen Wertes der natürlichen Dienstleistungen für die Gemeinde finanziert.

Im Mai wurden Einwohner von San Pedro de Atacama im Rahmen einer Fortbildung mit den Möglichkeiten erneuerbarer Energien vertraut gemacht. Im Juli konnten sich 14 Hotels, Pensionen und Restaurants für ein Projekt qualifizieren, das ihnen bei der Umstellung zur nachhaltigen Abfallbeseitigung, Wasser- und Stromversorgung hilft.

Die die Bürgermeisterin Sandra Berna betonte, sind auch Informationen, die die Planung und Nachhaltigkeit betreffen, willkommen. "Ich wünschte mir, die Menschen hier hätten Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen zu unserem Ökosystem", erklärte sie.

Doch bisher verläuft vieles in ungeordneten Bahnen. Im Zentrum der Stadt finden sich an allen Ecken Angebote über geführte Touren. Und im Morgengrauen bilden die Fahrzeuge, die zu den Geysiren von El Tatio unterwegs sind, mit ihren Scheinwerfern lange Lichterketten. Jährlich sind es 100.000 Besucher, die 'den Großvater, der weint', besuchen wollen, so die Bedeutung von El Tatio in der lokalen Indigenensprache. Das Feld aus 80 Geysiren liegt 4.200 Meter über dem Meeresspiegel und 97 Kilometer von San Pedro de Atacama entfernt. Es ist das größte der südlichen Hemisphäre und das drittgrößte der Welt nach Yellowstone in den USA und Dolina Geiserow in Russland.


Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Die Geysire von El Tatio in Antofagasta bei Sonnenaufgang
Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Verwaltet wird es seit September 2014 von den Dörfern Toconce und Caspana im Rahmen eines Abkommens mit der Regierung von Staatspräsidentin Michelle Bachelet. Die Indigenen sind 30 Jahre lang von den Konzessionsgebühren befreit. Sie erheben Eintrittsgebühren und lassen sich Interviewwünsche mit fast 1.000 Dollar vergüten. "Immerhin werden die Interviews der ganzen Welt zugänglich gemacht, und ihr verdient daran", meinte der Bürgermeister von Caspana, Ernesto Colimas, gegenüber Journalisten.

Doch wie die Dorfbewohnerin Luisa Terán versichert, sind solche Forderungen eher die Ausnahme. "Es gibt Menschen hier, die sind ganz verrückt nach Geld. Doch gilt das nicht für alle von uns, versicherte die in Indien zur 'Barfuß-Solaringenieurin' ausgebildete Indigene, die die ersten Solarsysteme in Caspana installiert hat.

Die Mehrheit der Bevölkerung der chilenischen Hochlanddörfer lebt von dem, was sie selbst anbaut. In Ortschaften wie Caspana, 114 Kilometer von San Pedro de Atacama entfernt, greifen die Einwohner noch immer auf vorkoloniale Farmtechniken wie den Terrassenbau zurück. Die Menschen züchten zudem Lamas, Vicuñas und Guanakos - die im südamerikanischen Hochland verbreiteten Kamele.


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Die Kirche des Heiligen Franziskus ist die Hauptattraktion von Chiu Chiu, einem Dorf im nordchilenischen Hochland
Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Allerdings ist das Tourismuspotenzial vieler Dörfer begrenzt. In Chiu beispielsweise ist es eine Kirche, die das Erdbeben in Antofagasta von 2007 überlebt hat, während der Großteil des Dorfes dem Erdboden gleichgemacht wurde.


Zwischenstopp in Geisterdorf

An der Straße zwischen El Tatio und San Pedro liegt Machuca, mit höchstens 20 Einwohnern fast eine Geisterstadt. 4.000 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, besteht der Ort aus 20 Häusern und einer Kirche. Hier können sich die Besucher mit Kamelfleisch-Kebabs, Ziegenkäse oder Empanadas (Teigtaschen) stärken, die ehemalige Bewohner feilbieten. Sie dürfen Häuser und Landschaft ablichten, wollen sie aber Menschen fotografieren, müssen sie dafür zahlen.

Natürlich wollen wir, dass die Touristen kommen. Welche unserer armen Gemeinden wollte das nicht", sagt Terán. "Unsere Völker sind vom Aussterben bedroht, und jedes Jahr brechen Dutzende Familien auf der Suche nach Arbeit und Bildungsmöglichkeiten für ihre Kinder in die Städte auf. Die Touristen helfen uns zu überleben. Doch niemand hier möchte so einen Boom wie San Pedro de Atacama. Das ist uns zu extrem." (Ende/IPS/kb/28.09.2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/09/el-altiplano-chileno-entre-subsistencia-y-capitalismo-exacerbado/
http://www.ipsnews.net/2015/09/chiles-altiplano-region-seeks-sustainable-tourism/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 28. September 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. September 2015

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