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TOURTIP/1009: Ahorn-Veteranen im Gunzesrieder Tal, Allgäu (Hubert Rößner)


Blühende Krokuswiesen und prächtige Ahornbäume

Vorfrühlingswanderung im Gunzesrieder Tal, Allgäu

von Hubert Rößner



Auf der Südseite der Allgäuer Nagelfluhkette fließt der Aubach in östlicher Richtung bis zur Gunzesrieder Säge, dort wird er zur Gunzesrieder Ach und strebt weiter, vorbei am Ort Gunzesried und an Blaichach, um dann schließlich in die Iller zu münden. Seine Quellbäche entspringen fern im Westen am Hochgrat und am Sipplinger Kopf. Rund zehn Kilometer mißt das ganze Tal, überragt im Norden von Gündleskopf, Stuiben, Steineberg und Mittag. Und auf einer fast ebenen Geländestufe in etwa 1100 Metern Höhe erstreckt sich ein waldfreier, sonniger Wiesenstreifen, nach oben und unten eingerahmt von den hauptsächlich mit dunkelgrünen Fichten bestandenen, steilen Hängen. Ein Parkplatz am Ortsende von Gunzesried wartet schon auf unser Auto, von da aus wandern wir westwärts über die offenen Grünflächen zunächst zur Winkelwies-Alpe. Dort wenden wir uns nach links, fast eben geht es weiter bis zu einem großen Betonsilo, das wir da oben wahrlich nicht erwartet hätten: Hier wird das Winterfutter für die fürstlichen Hirsche gelagert. Gleich danach begrüßen uns zwei mächtige alte Fichten, gleichsam als Wachtposten beiderseits des Weges aufgestellt. Bald darauf erreichen wir das imposante herrschaftliche Jagdhaus Wiesach - ein großzügiger Bau, der eigentlich eher nach Augsburg oder München passen würde als in die Einsamkeit der Allgäuer Berge.


Rotwildhege für stolze Jagdtrophäen

Während der kalten Jahreszeit verbietet hier ein Schild sogar dem Fußgänger das Weitergehen: Die starken Hirsche samt Kahlwild und Kälbern sollen ungestört überwintern und mit dem reichlichen Angebot an der nahen Fütterung möglichst starke, endenreiche Geweihe schieben. Aber jetzt im April haben sie sich schon wieder in die sonnenwarmen, schneefreien Waldhänge weiter oben verzogen. Das idyllische Jägerhäuschen mit dem winzigen Entenweiher bleibt hinter uns, und mitten auf der freien Fläche begegnet uns ein einzelner dicker Baum. Nur wenige Äste sind ihm geblieben, Sturm und Eis haben ihm große Teile seiner Krone genommen. Am Stammfuß, wo der Schnee schon weggetaut ist, liegen noch ein paar vertrocknete Blätter vom vergangenen Herbst mit silbrig schimmernder Unterseite: Es ist eine erstaunlich große, starke Mehlbeere, die hier seit mehr als hundert Jahren überlebt hat. Als enge Verwandte der häufigeren Vogelbeere erreicht sie nur selten solche Ausmaße.

Foto: © Hubert Rößner

Sehr alte Mehlbeere westlich des Jägerhäuschens Wiesach
Foto: © Hubert Rößner

Wir wandern weiter über die sanft geneigten Wiesen. Sie schimmern in strahlendem Weiß, teils noch bedeckt vom langsam schmelzenden Schnee, teils von Tausenden blühender Krokusse, die direkt daneben aus dem dürren braunen, vertrockneten Gras sprießen. Bei genauerem Hinsehen finden wir ab und zu auch ein paar vereinzelte hellviolette Blüten zwischen den zahllosen weißen.


Urige Ahorn-Veteranen

Nahe der Wildfütterung begrüßen uns mächtige alte Bergahorne rechts am Hangfuß: Der größte erreicht bei 18 Metern Höhe einen Umfang von 420 Zentimetern. Schon drei Meter über dem Boden beginnt der knorrige dicke Stamm sich in zahlreiche starke Äste aufzuteilen. Und gerade jetzt, wo der Baum noch kahl, ohne Laub dasteht, kann man besonders gut die Struktur der breitausladenden Krone, das üppige Gewirr der Zweige erkennen.

Foto: © Hubert Rößner

Der stärkste der alten Bergahorne nahe der Wildfütterung
Foto: © Hubert Rößner

300 Jahre, vielleicht auch mehr, mag er alt sein, genau weiß es niemand. Und nicht sehr viel jünger sind seine benachbarten Brüder. Es soll übrigens ein hübsches Büchlein geben, in dem ein früherer Naturliebhaber die interessantesten der urigen Ahorn-Gestalten rund um Wiesach in Skizzen und Aquarellen festgehalten hat, aber es war mir nicht möglich, ein Exemplar davon aufzutreiben. Angeblich soll ein früherer Jagdherr aus der Familie von Waldburg-Zeil die Anregung zu der Arbeit gegeben haben, jedoch auch eine Anfrage beim Schloß-Archivar in Zeil brachte keinen Erfolg.

Foto: © Hubert Rößner

Ein zweiter Ahorn nahebei
Foto: © Hubert Rößner

Links drüben liegt die Falken-Alpe, auch sie umgeben von etlichen großen Ahorn-Bäumen. Während im Flachland unten auch Feldahorn und Spitzahorn vorkommen, ist der Bergahorn ein typischer Baum der Gebirgsregionen und gedeiht noch bis in Höhen von über 1500 Meter, wo es den anderen Laubbäumen schon zu kalt ist, und allenfalls noch die anspruchslose Vogelbeere mit ihren roten Früchten ihm Gesellschaft leistet. Drüben am Waldrand schleicht ein struppiger, magerer Fuchs entlang - jetzt endlich ist für ihn die Hungerzeit zu Ende, die Mäuse stecken nicht mehr tief und unerreichbar unter der schützenden Schneedecke! Und schau, schon hat er mit einem einzigen hohen Sprung "Waidmannsheil gehabt"! Rechts vor uns an der Hangkante erblicken wir die traurige Ruine einer ehemals mächtigen Rotbuche: Nur noch vier Meter ragt ihr imposanter Stumpf empor, und ein einziger schwacher Ast mit den letzten dürren Herbstblättern zeigt, daß noch ein Rest von Leben in ihr steckt. Ein fescher blaurückiger Kleiber klettert kopfunter am Stamm abwärts, stochert in den Rindenritzen nach winzigen Spinnen oder Insekten und läßt dabei seine lauten, durchdringenden Warnpfiffe ertönen.


An der idyllischen Ornach-Alpe

Unser Weg steigt sanft an, zwischen düster-dunklen Fichten, er führt zum höchsten Punkt unserer Wanderung, einem flachen Sattel gerade über der 1200-Meter-Linie. Zahlreiche verwitterte, massige Nagelfluh-Felsen liegen herum, die vor langer Zeit von weit oben heruntergerumpelt sind. Sicher besteht der Untergrund hier auch aus Steinen und Geröll, nur von einer dürftigen Erd- und Humusschicht bedeckt, die lediglich spärliche Gräser gedeihen läßt. Aber trotzdem beherrschen etliche große, alte Bergahorne mit breitausladenden Kronen das Bild - sie finden gerade in dem mageren, groben Boden gute Wuchsbedingungen. Gekeimt und jung gewesen sind sie vor langer Zeit, als noch viel weniger Wild und Weidevieh auf den Matten weidete.

Foto: © Hubert Rößner

Am Sattel stehen etliche alte Bergahorne zwischen den Felstrümmern
Foto: © Hubert Rößner

Der Name "Ornach" bedeutet ja nichts anderes als "Ahorn-Bach", unsere Ahnen haben demnach schon genau das richtige Wort für den Platz gewählt. Und nicht weit entfernt kommt der gleiche Name nochmals vor: Am Steigbach gleich oberhalb Immenstadt gibt es ebenfalls eine Ornach-Alpe mit ähnlich schönen alten Ahorn-Bäumen.
Unser Blick wird weit, er schweift zurück nach Osten, über den Kessel von Sonthofen in Richtung Wertacher Hörnle, Roßkopf, Tiefenbacher Eck und Spieser.

Die Schneefelder im Vordergrund glitzern hell im Sonnenschein, wir suchen ein paar herumliegende trockene alte Bretter zusammen zu einem Sitzplatz, denn auf der bloßen Erde ist es doch noch zu feucht und zu kalt! Neben dem stattlichen Marterl lassen wir uns nieder und genießen, was der Rucksack zu bieten hat: Heißen Tee, würziges Bauernbrot, deftigen Schinken und als Nachtisch einen saftigen Apfel. Dazu wohlige Wärme und eine herrliche Aussicht rundum - mehr braucht's doch nicht zum Glücklichsein! Hurtige Kohlmeisen läuten mit kräftigen Tönen den Frühling ein, ein Gimpelpärchen nascht eifrig an den dicken Ahornknospen, die schon glänzend frisch auf den baldigen Austrieb warten:
Er, ganz würdevoller Dompfaff, prunkt mit seinem schwarzen Käppchen und dem leuchtend roten Frackhemd, sie, in dezentes Grau-weiß-schwarz gekleidet wie eine achtbare, vornehme Klosteräbtissin, paßt scharf auf, daß er seine leisen, dezenten Liebeslieder ja nur für sie flötet, und nicht für irgendwelche frechen fremden Gimpeldamen!


Abwärts und heimwärts...

Ein schmaler, schon ausgeaperter Weg führt am Kreuz vorbei über die Rothen-Alpe hinauf zum Stuiben - aber das wäre noch ein zu langer Marsch, der sicher irgendwann in tiefem Schnee endet und zur Umkehr zwingt - also wenden wir uns lieber gleich dem Tal zu.
Vorbei an der Ornach-Alpe gehen wir - je nach Laune - entweder durch den schattigen Schönbuchwald oder über die besonnten Alpwiesen hinunter zum Aubach und am munteren Wasser entlang zur Gunzesrieder Säge. Über Winkel und Loch kommen wir schließlich an unseren Ausgangspunkt zurück und verabschieden uns für heute vom Gunzesrieder Tal.

Doch unsere Gedanken kreisen immer noch um die Ahorn-Bäume: Der wurde ja zum "Baum des Jahres 2009" ausgerufen. Er hat es sicherlich verdient, daß vielerorts im Frühjahr zum "Tag des Baumes" Schüler und Naturschutz-Gruppen gemeinsam mit Bürgermeistern und Förstern darangehen, junge Bäumchen seiner Art zu pflanzen, um seine Zukunft zu sichern! Umso mehr muß man bedauern, daß hier oben die herrlichen alten Recken allmählich vergreisen und verschwinden, während entsprechender Nachwuchs nirgends aufkommt. Denn Hirsche und Rinder fressen die alljährlich zahlreich sprießenden Keimlinge schon im ersten Sommer restlos weg. Mit einigen kleineren Zäunen ließe sich da leicht Abhilfe schaffen und das herrliche Landschaftsbild ohne großen Aufwand für die nächsten Jahrhunderte bewahren!


© für Text und Bilder by Hubert Rößner

Hubert Rößner aus Kempten ist Mitglied in der SDW Bayern.

Kontakt:
Hubert Rößner
Am Letter 12
87448 Waltenhofen
Telefon/Fax: 08379 / 92 96 04

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Quelle:
© 2013 by Hubert Rößner
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2013