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TOURTIP/894: "Die Tundra ist mitten in Deutschland" (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 6/2008

Rieselfelder Münster in Nordrhein-Westfalen
"Die Tundra ist mitten in Deutschland"

Von Thomas Brandt, Cordula Jülch und Kilian Wasmer


Generationen von Vogelbeobachtern haben ihre ersten Kampfläufer, Rotschenkel, Bruchwasserläufer, Sichelstrandläufer und auch Uferschnepfen in den Rieselfeldern Münster gesehen. Sicherlich gehört das Europareservat heute zu den besten Gebieten Deutschlands, um zahlreiche Limikolen- und Entenarten, von denen die meisten das Gebiet auf dem Zug besuchen, aus nächster Nähe betrachten zu können. Nicht nur zufällig betitelten bereits 1972 Ornithologen, inspiriert durch die teilweise riesigen Vogelschwärme, ihr Buch über das Gebiet mit "Die Tundra ist mitten in Deutschland". Die Entstehungsgeschichte der wertvollen und heute als EU-Vogelschutzgebiet gemeldeten ehemaligen Klärteiche war zeitweise von zähen Auseinandersetzungen um deren Erhalt geprägt. Bereits 1901 wurden die Rieselfelder als Kläranlage für die wachsende Stadt Münster angelegt. 1968 wurde die Biologische Station gegründet und damit sieben Jahre bevor eine neue Kläranlage der Stadt Münster die Funktion der Rieselfelder übernahm und das Gebiet wiederum einige Jahre später durch Pläne zum Bau eines 90 Hektar großen Gewerbegebietes bedroht wurde. 1984 versagte die Bezirksregierung die Genehmigung zum Bau des Gewerbegebietes. Danach konnte sogar die Erweiterung des geschützten Gebietes von ursprünglich 233 Hektar auf 450 Hektar erreicht werden. Der neue Bereich wurde ab 1998 "vogelschutzgerecht" und beobachterfreundlich umgestaltet.


Lebensräume

Im nördlichen (alten) Teil des Gebietes liegen die schachbrettartig angeordneten und durchnummerierten Klärteiche, die durchschnittlich etwa einen Hektar groß und maximal einen Meter tief sind. Sie sind durch Dämme oder regelbare Be- und Entwässerungsgräben getrennt, in denen hauptsächlich Schilf und andere Röhrichtpflanzen wachsen.

Das südlich angrenzende Erweiterungsgebiet ("E1"), das als Naturerlebnisgebiet gestaltet ist, besteht aus einem Mosaik von Flachwasserbereichen mit Röhrichten, Feuchtgrünlandflächen und mit Obstbaumreihen gesäumten Wegen.


Besondere Vogelarten

Das Gebiet ist vor allem für seinen Wat- und Wasservogelreichtum bekannt. Praktisch alle in Mitteleuropa durchziehenden Limikolenarten sind zur geeigneten Zeit zu sehen. Kiebitze, Kampfläufer, Rot- und Grünschenkel, Bruch- und Waldwasserläufer, Alpen-, Sichel- und Zwergstrandläufer, Bekassinen sowie Dunkle Wasserläufer sind regelmäßige und meist sicher anzutreffende Arten. Seltenere Gäste sind Knutts, Regenbrachvögel, Teichwasserläufer und Säbelschnäbler.

Neben den Limikolen rasten oder brüten fast alle Entenarten im Gebiet. Häufig zu sehen sind Schnatter-, Krick-, Löffel-, Reiher- und Tafelenten. Brandenten brüten seit mehreren Jahren, Grau- und Kanadagänse gehören zum alltäglichen Bild. Auch Möwenfreunde kommen auf ihre Kosten. Herings-, Silber- und Lachmöwen sind vor allem zur Zugzeit häufig. Letztere brüten auch in einer Kolonie. Zwergmöwen, Trauerseeschwalben und - seltener - Flussseeschwalben nutzen zur Zugzeit die Wasserflächen zur Nahrungssuche. Zu den weniger weit verbreiteten Singvögeln Westfalens, die im Gebiet brüten, gehören Blaukehlchen, Bart- und Beutelmeise. Sehr selten sind Schilfrohrsänger und Rohrschwirl. Man kann die fünf Arten meist in den Schilfröhrichten der Klärteiche finden. Als typische Bewohner von Obstwiesen brüten Steinkäuze am Rand des Gebietes und auf der Ochsenwiese. Hier lassen sich zur Zugzeit auch regelmäßig verschiedene Stelzen- und Pieperarten beobachten.

Die Liste der Ausnahmegäste und Seltenheiten der Rieselfelder Münster ist lang. Neben Arten wie Nachtreiher, Rotfußfalke, Odinshühnchen oder (Sumpf-)Seeschwalben hat das Gebiet auch Highlights wie Grasläufer (Mai 2006) und Bairdstrandläufer (August 2004) zu verzeichnen.


Reisezeit

Das Gebiet ist vor allem zu den Zugzeiten, also im April/Mai und August/September besonders attraktiv, denn dann sind die meisten Limikolen zu sehen. Zu dieser Zeit kann man innerhalb eines Tages relativ leicht 10 bis 15 Watvogelarten beobachten. Im Frühling und Sommer sind eine Reihe andernorts selten gewordenener Brutvögel anwesend. Blaukehlchen und Beutelmeisen besetzen ihre Reviere bereits Anfang April, Teichrohrsänger Ende April, Sumpfrohrsänger schließlich Mitte Mai. Bartmeisen sind am auffälligsten, wenn sie im Sommer in Familienverbänden durch das Schilf streifen (auf die etwas metallisch klingenden "pseng"-Rufe achten), Steinkäuze und Kormorane sind ganzjährig zu sehen. Im Winter kommen u. a. Gänsesäger und viele Möwen hierher, solange die Gewässer eisfrei bleiben.


Beobachtungsmöglichkeiten

Das Gebiet ist mit 12 km zugänglichen Wegen für Besucher gut erschlossen. Die meisten Wege sind asphaltiert (jedoch für PKW gesperrt). Insgesamt stehen Beobachtern zwölf Beobachtungshütten - die meisten im Südteil - zur Verfügung, aus denen die Vögel oft aus nächster Nähe zu sehen sind. Im Erweiterungsgebiet besteht außerdem die Möglichkeit, von einem hohen Turm aus auf Wasserflächen und Feuchtwiesen zu schauen, allerdings aus einer entsprechend großen Entfernung (Spektiv sinnvoll). Aus der Beobachtungshütte im Nordwesten des Erweiterungsgebiets lassen sich Limikolen z. T auf kürzeste Distanz beobachten. An verschiedenen Stellen weisen Informationstafeln auf gebietsspezifische Besonderheiten hin.

Einen Besuch startet man am sinnvollsten im Informationszentrum oder mit der Ausstellung in der Gaststätte "Heidekrug". Dort erhält man auch einen kleinen, kopierten Gebietsplan (Auslage beachten).


Weitere Beobachtungs- und Freizeitmöglichkeiten

Die westfälische Großstadt Münster ist nur wenige Kilometer entfernt und bietet ein breites kulturelles (und als eine der größten Universitätsstädte Deutschlands auch studentisches) Angebot. In der Stadt gibt es einen sehenswerten Zoo (Allwetterzoo Münster) und - gleich nebenan - ein informatives Naturkundemuseum. Auf dem Aasee in Münster werden immer wieder seltene Wasservögel beobachtet, deren Herkunft aber z. T. rätselhaft ist.

Etwa 70 km östlich (Fahrzeit ca. 1 Stunde) liegt zwischen Bielefeld und Paderborn die Senne, die wir im Falken 8/2007 als Beobachtungstipp vorstellten.


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Infomaterial/Literatur:

Anthes, N. & C. Sudfeldt (2000): Von der Kloake zum Vogelparadies: Das Europareservat Rieselfelder Münster. Der Falke 47: 380-388.

Biologische Station "Rieselfelder Münster" (1981): Die Rieselfelder Münster - Europareservat für Wat- und Wasservögel. Selbstverlag, Münster.

Harengerd, M., F. Pölking, W. Prünte & M. Speckmann (1972): Die Tundra ist mitten in Deutschland. Kilda-Verlag, Greven.

Moning, C. & F. Weiß (2007): Vögel beobachten in Norddeutschland. Kosmos, Stuttgart.

Rheinwald, G. & M. Schmitz (2007): Vögel zwischen Rhein und Weser. Ginster-Verlag, St. Katharinen.

Außerdem erscheinen regelmäßig die Jahresberichte der Biologischen Station "Rieselfelder Münster" mit Projektberichten und Wissenswertem zur Avifauna des Gebietes.

Internetseite mit Informationen zu Vogelbeobachtungen in Münster (Beobachtungsmeldungen, Fotos, Gebietsübersicht): www.msorni.de


Anfahrt:

Mit Bahn und Bus:
Ab Münster-Hauptbahnhof kann man mit dem Nahverkehrszug den Ortsteil Sprakel erreichen. Nach einem kurzen Fußweg (Richtung Gimbte) biegt man nach einer Brücke über den Fluss Aa rechts in die Straße Wöstebach ab, die direkt von Norden in das Gebiet führt.

Mit dem Auto:
Von der A1 wählt man die Abfahrt Greven und folgt dem Schiffahrter Damm (L 587) in Richtung Münster. Von diesem fährt man bei Gelmer ab und biegt kurz darauf am Ortsanfang in die Gittruper Straße (anfangs gepflastert) ein. Nach der Ortschaft fährt man über den Dortmund-Ems- Kanal und biegt gleich danach links in die Straße Coermühle ein. Nach 1 km gelangt man an die Kreuzung mit dem Hessenweg und befindet sich damit am östlichen Rand der Rieselfelder. Rund 100 m über die Kreuzung hinweg liegt die Biologische Station, ein Parkplatz und der Lehrpfad. Ein weiterer Parkplatz befindet sich am Heidekrug und ist über die Straße Coermühle erreichbar.

Mit dem Fahrrad:
Das Gebiet ist gut per Rad zu erschließen. Es ist empfehlenswert, eine Übersichtskarte an der Biologischen Station mitzunehmen. Hier hängen auch die Ergebnisse der jeweils letzten Wat- und Wasservogelzählung aus.


Adressen

Biologische Station, Coermühle 181, 48157 Münster, Tel.: 0251/161760,
Fax: 0251/161763, E-Mail: biolstat.ms@t-online.de oder
info@rieselfelder-muenster.de, Internet: www.rieselfelder-muenster.de

Gaststätte Heidekrug mit Infozentrum, Coermühle 100, 48157 Münster
Tel.: 0251/1620444, Internet: www.rieselfeldhof.de

Außergewöhnliche Beobachtungen können gemeldet werden an
beobachtung@msorni.de oder info@rieselfelder-muenster.de


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 6/2008
55. Jahrgang, Juni 2008, S. 205-208
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,60 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 47,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2008