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TOURTIP/979: Der Seeburger See in Niedersachsen - Das Auge des Eichfeldes (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 5/2011

Der Seeburger See in Niedersachsen - Das Auge des Eichfeldes

Von Felix Weiß, Christoph Moning, Christopher König und Christian Wagner


Die Lage macht den Unterschied. In gewässerreichen Regionen Deutschlands würde der Seeburger See sicher nicht weiter Beachtung finden. Doch mit seinen 90 Hektar ist er das größte natürliche Gewässer im südöstlichen Niedersachsen und durch seine Nähe zur Universitätsstadt Göttingen seit vielen Jahren ein beliebtes Exkursionsziel von Vogelbeobachtern. Mit dem Seeanger und dem Lutteranger liegen zwei weitere interessante Feuchtgebiete in unmittelbarer Nachbarschaft des Seeburger Sees.



Landschaftsgeschichte und Lebensräume

Der Seeburger See liegt im südlichen Harzvorland. Die Landschaft ist leicht gewellt, die lössbedeckten Böden sind sehr produktiv und werden intensiv ackerbaulich genutzt. Die Region trägt aufgrund ihrer Fruchtbarkeit auch den Namen Goldene Mark. Drei Feuchtgebiete mit sehr unterschiedlichem Charakter liegen inmitten dieser Landschaft und umgeben auf drei Seiten den kleinen Erholungsort Seeburg. Ihre Entstehung reicht weit zurück. Vor dem Ende der Eiszeiten wurden über einen langen Zeitraum aus tiefliegenden Gesteinsschichten unterhalb Seeburgs Salze ausgewaschen. Vor etwa 10000 Jahren brach die darüberliegende Schicht aus Buntsandstein ein und es bildete sich das Seeburger Becken. In drei Senken entstanden der Seeburger See, der Lutteranger und der Westersee. Der Seeburger See ist heute 90 ha groß und an seiner tiefsten Stelle vier Meter tief. Gespeist wird er von der Aue, einem kleinen Bach, der bei Seeburg einmündet. Aus der Umgebung schwemmt das Wasser der Aue reichlich Nährstoffe in den See. Deswegen treten in manchen Sommern Algenblüten auf. Die Ufervegetation wird von einem Schilfgürtel gebildet, dem eine Zone mit Schwimmblattvegetation aus Laichkräutern und Teichrosen vorgelagert ist. Landwärts geht der Schilfgürtel in ein Mosaik aus Erlenbruchwäldern, Weidengebüschen, kleinen Grünländern, Streuobstbeständen und Hochstaudenfluren über. Der landschaftlich schöne See ist ein beliebtes Ausflugsziel und das Seeufer bei Seeburg ist mit Restaurant, Bootsverleih, Strandbad und Minigolfplatz intensiv erschlossen. Ein Holzsteg reicht weit auf den See hinaus.

Während der Seeburger See über die Jahrtausende leicht schrumpfte, aber seinen Charakter ansonsten beibehielt, haben Seeanger und Lutteranger eine sehr wechselvolle Geschichte hinter sich. Der Seeanger ging aus dem ehemaligen Westensee hervor, einem der drei "Urseen" des Seeburger Beckens. Wie der Seeburger See wird auch er von der Aue durchflossen. Da er jedoch flussaufwärts vom Seeburger See liegt, lagerte die Aue in ihm ihre Sedimentfracht ab, sodass er über die Jahrtausende verlandete und in eine feuchte Senke mit Niedermoorböden und Auelehmen überging. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Senke trockengelegt, der Fluss begradigt und die Böden umgebrochen. Der Seeanger hatte seine Funktion als Sedimentfalle verloren und auch der Seeburger See begann langsam zu verlanden. 1988 begann der Landkreis Göttingen mit einem ehrgeizigen Projekt dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Große Flächen der Niederung wurden aufgekauft, Entwässerungsgräben geschlossen, die Aue in ihr ursprüngliches Bett zurückverlegt und angestaut. Äcker wurden wieder zu Grünland und fortan extensiv bewirtschaftet. Das Renaturierungsprojekt wurde 2003 erfolgreich abgeschlossen. Heute präsentiert sich der Seeanger als eine Grünlandniederung mit Flachwasserzonen, Kopfweiden und Rohrkolbenbeständen. In trockenen Jahren bilden sich im Sommer Schlammflächen aus.

Der Lutteranger nördlich des Seeburger Sees bezieht sein Wasser aus unterirdischen Quellen. Über die Jahrtausende bildeten sich im Zuge der Verlandung Niedermoortorfe, die 1840 einen Göttinger Baumeister bewogen den Lutteranger trockenzulegen, um die Torfe abbauen zu können. Über einen Stollen wurde das Wasser in den tieferliegenden Seeburger See abgeleitet. Der Kanal, der zum Stollen führt, ist heute noch am Südrand des Lutterangers zu erkennen. 1988 wurde der Lutteranger wieder eingestaut. Dabei wurden auch Baumbestände überschwemmt, die daraufhin abstarben und heute als schwarze Stümpfe aus dem Wasser ragen. Der Lutteranger wird umgeben von einem Waldstreifen aus Erlen, Pappeln und Weiden. Die Bedeutung der drei Feuchtgebiete spiegelt sich auch in ihrem Schutzstatus wieder. Der Seeburger See ist seit 1976 als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Seeanger, Lutteranger und Seeburger See sind Teil des europäischen Schutzgebietssystems Natura 2000 und sowohl als Europäisches Vogelschutzgebiet als auch als FFH-Gebiet ausgewiesen.



Besondere Vogelarten und Reisezeit

Im Mai wird der besondere Reiz des Seeburger Sees deutlich. Durch seine isolierte Lage in einer gewässerarmen Landschaft wirkt er auf Durchzügler wie ein Magnet. Regelmäßige Rastvögel sind Trauerseeschwalben und Zwergmöwen, die im wendigen Flug stundenlang niedrig über dem Wasser umherfliegen und immer wieder Zuckmückenlarven von der Oberfläche picken. Das Spektrum der Rastvögel am See ändert sich ständig und jeder Besuch bietet neue Überraschungen. Besonders lohnend kann eine Exkursion nach Seeburg auch bei ungemütlichem Wetter sein. Nach starken Schauern und Gewittern etwa unterbrechen viele Wasservögel ihren Zug, der oft unbemerkt in großer Höhe über Land führt. Dann bestehen im Mai gute Chancen seltene Arten wie Küsten-, Raub-, Weißbart- und Weißflügelseeschwalben zu entdecken. Während Schlechtwetterperioden jagen oft Hunderte Mauersegler, Rauch-, Mehl- und Uferschwalben flach über dem Wasser. Fischadler stehen rüttelnd hoch in der Luft und spähen nach Fischen. Am Seeanger rasten vor allem Gründelenten und Limikolen. Regelmäßige Gäste aus diesen Artengruppen sind Knäkenten, Löffelenten, Flussuferläufer, Bekassinen, Temminckstrandläufer, Kampfläufer, Grünschenkel, Bruchwasserläufer und Waldwasserläufer.

Die Brutvogelwelt ist für die Region bemerkenswert vielfältig. Im Schilfgürtel des Seeburger Sees brüten zum Beispiel Haubentaucher, Wasserrallen, Blässhühner, Teichrohrsänger und Rohrammern. Unregelmäßig besetzen auch einzelne Drosselrohrsänger Reviere. Im Übergangsbereich vom Schilf zum Grünland kommen Blaukehlchen in wenigen Paaren vor. Weißstörche brüten mit zwei Paaren in der Umgebung von Seeburg und können besonders am Seeanger bei der Nahrungssuche beobachtet werden. Dort sind Graugänse die auffälligsten Brutvögel. Am Lutteranger brüten Schwarzmilane. Kleinspechte und Weidenmeisen leben in dem breiten Gehölzgürtel. Charaktervögel der Region sind die Rotmilane, die auch bei Seeburg brüten und in der umliegenden Agrarlandschaft nach Nahrung suchen. Auf dem Herbstzug ist vor allem der Seeanger interessant. Ab Juli rasten Limikolen, besonders wenn in trockenen Sommern größere Schlammflächen trockenfallen. Neben den auf dem Frühjahrszug erscheinenden Arten ist besonders im August und September auch mit Alpenstrandläufern, Zwergstrandläufern oder Sandregenpfeifern zu rechnen. Stare, Schwalben und Stelzen suchen den Seeburger See und den Seeanger zum Schlafen auf. Die Winter am Seeburger See sind ruhig. Vereinzelt werden Rohrdommeln im Schilf beobachtet. Gänsesäger, Zwergsäger und Schellenten schwimmen auf der freien Wasserfläche. Im November und von Februar bis April rasten ganz vereinzelt Samt-, Eider- und Trauerenten sowie Prachttaucher auf dem Gewässer. Die scheuen Vögel verweilen jedoch meist nur für kurze Zeit.



Beobachtungsmöglichkeiten

Die Beobachtungspunkte liegen alle in der näheren Umgebung von Seeburg und können vom Parkplatz am Ende der Seestraße zu Fuß erreicht werden. Vom Parkplatz gelangt man in 200 m an das Seeufer. Am Restaurant und Freibad sind Steganlagen errichtet, von denen man hervorragende Beobachtungsmöglichkeiten hat. Mit dem Spektiv lässt sich von dort der gesamte See überblicken. Graugänse, Haubentaucher und Blässhühner lassen sich beim Brutgeschäft beobachten und zahlreiche Entenvögel rasten auf dem Wasser. Auch lohnt es sich nach jagenden Möwen und Seeschwalben Ausschau zu halten. Der See kann auf einem 5langen, rot ausgeschilderten Weg umrundet werden, der bei Bernshausen weitere interessante Beobachtungsmöglichkeiten bietet. Unterwegs sind aus dem Schilf Teichrohrsänger, Wasserrallen und Rohrammern zu hören.

Am Nordufer des Seeburger Sees zweigt vom Rundweg ein unbefestigter Feldweg nach Norden ab, überquert eine Kuppe und führt dann hinab zum Lutteranger. Ein breiter Gehölzstreifen verhindert einen freien Blick auf das Gewässer. Ein kurzes Stück weiter hat man linkerhand durch die Bäume jedoch einen mehr oder weniger guten Blick auf die Wasserfläche. Weidenmeise und Kleinspecht sind als regionale Besonderheiten hier vertreten. Der Lutteranger ist störungsärmer als der benachbarte Seeburger See und bietet geschützte Rastmöglichkeiten für verschiedene Entenarten, z. B. für Krickenten. In manchen Jahren siedelte sich eine Lachmöwenkolonie an. Silberreiher sind regelmäßig zu sehen.

Um zum Seeanger zu gelangen, begibt man sich zurück zur Hauptstraße und geht nach rechts entlang der Straße bis man auf eine Querstraße stößt. Zur Linken beginnt nach 20 m auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Plattenweg, der einen Hügel hinaufführt. Von der Kuppe aus erblickt man bereits die Wasserflächen des Seeangers. Von dem Feldweg hat man einen ausgezeichneten Blick auf die Gewässer und Grünlandflächen. Hier lohnt es sich länger zu verweilen. Oft kann man rastende Limikolen entdecken. Im Randbereich des Gewässers besetzen Rohrammern und einzelne Blaukehlchen ihre Reviere. Weißstörche und Graugänse stehen im Grünland. Auch am Seeanger gibt es einen durch blaue Schilder gekennzeichneten, 4,7 km langen Rundweg durch eine Niederung.



Weitere Freizeitmöglichkeiten

In der Agrarlandschaft um Seeburg kommen noch Rebhühner vor, auch Feldlerchen sind noch verbreitete Brutvögel. Im Landkreis Göttingen werden die beiden Arten seit einigen Jahren mit einem Blühstreifenprogramm gefördert. In der Abenddämmerung hat man im Frühjahr entlang von Feldwegen um Seeburg die Chance Rebhühner zu hören. Am besten eignen sich windstille, trockene Abende für die Suche nach diesen bedrohten Hühnervögeln.


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Infomaterial/Literatur

Lohmann M, Haarmann K 1989: Vogelparadiese. 122 Biotope zwischen Wattenmeer und Bodensee. Bd. 1 Norddeutschland. Verlag Paul Parey, Hamburg.

Moning C, Weiß F 2007: Vögel beobachten in Norddeutschland - Die besten Beobachtungsgebiete zwischen Sylt und Niederrhein. Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart.

www.ornithologie-goettingen.de
Internetseite des Arbeitskreises Göttinger Ornithologen (AGO)
u. a. mit aktuellen Zusammenfassungen über das Vogelleben in der Region.


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Anfahrt

Mit Bahn und Bus
Vom ZOB Göttingen und vom ZOB Duderstadt verkehren Busse nach Seeburg (Haltestelle "Seeburg Mitte"). Die Fahrtzeit beträgt etwa eine halbe Stunde.

Mit dem Auto
Von der A7, Abfahrt "Göttingen Nord" sind es nur 21 km bis Seeburg. Von der Abfahrt fährt man zunächst auf der B27 nach Osten. Nach 18fährt man von der Bundesstraße ab und biegt rechts auf die B446. Nach 1,3 km ist linkerhand der Abzweig nach Seeburg.



Adressen

Natur-Informationszentrum Seeburger See, Öffnungszeiten samstags 14:00 bis 16:00 Uhr, sonntags 13:00 bis 17:00 Uhr. Von Dezember bis Februar nur sonntags. Gruppen können nach Anmeldung unter 05507/555999 auch andere Besuchszeiten vereinbaren.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 5/2011
58. Jahrgang, Mai 2011, S. 165-168
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2011