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SCHLUCKAUF/0070: Pseudo-Atomstreit? - Nachtisch & Satire (SB)


Pseudo-Atomstreit?


SCHLUCKAUF-Interview mit Ato Meiler, derzeitiger Sprecher der europäischen Atomlobby.

SCHLUCKAUF: Herr Meiler, was sagen Sie als Befürworter der Nutzung von Kernenergie zur erhöhten Leukämie- und Schilddrüsenkrebsrate in der Asse bei Wolfenbüttel?

Ato Meiler: Herrje, selbst wenn die Asse als Endlager dafür verantwortlich wäre - was ich selbstverständlich bezweifle - sähe ich darin noch lange keinen Grund, Kernenergie in Bausch und Bogen zu verteufeln. Schön und gut, ein paar Leute trifft es vielleicht. Die leben dann eben ein paar Jahre weniger. Aber denken Sie doch mal an den Straßenverkehr. In Deutschland gibt es jährlich über 7000 Verkehrstote - kennen Sie irgendeine politische Organisation, die deshalb den Autoverkehr abschaffen will? Oder soll ich Ihnen sagen, wie viele Menschen jährlich durch medizinische Kunstfehler sterben, da könnten Sie -

SCHLUCKAUF: Ich verstehe schon. Sie meinen, wegen einiger Tausend zusätzlicher Krebstoter aufgrund von Strahlenexposition müssen wir nicht nach alternativen Energiequellen suchen?

Ato Meiler: Was glauben Sie, wie viele Opfer der ach so harmlose Kohlebergbau jährlich gekostet hat und weltweit noch kostet. Da dürfen Sie nicht nur die verschütteten Kumpel zählen, sondern müssen auch die Lungengeschädigten, die von Kohlewaggons Überfahrenen, die beim Umgang mit Arbeitsmaschinen Getöteten und so weiter mitrechnen.

SCHLUCKAUF: Aber eine Zeche kann notfalls innerhalb von Jahresfrist geschlossen werden, ein Atommüll-Endlager dagegen bleibt für viele Jahrtausende eine Gefahrenquelle.

Ato Meiler: Diese Vergleiche sind doch Kokolores. Als ob die Abholzung der Wälder zur Gewinnung von Brenn- und Baumaterial das Gesicht der Erde nicht lange vor dem Einsatz von Kernenergie unumkehrbar verändert hätten. Nur gab es damals noch keine Klima-Beobachtung und keine Satelliten-Aufnahmen.

SCHLUCKAUF: Sie meinen, die Zivilisation fordert eben ihren Tribut, sie hinterläßt in der Natur dauerhaft ihre Spuren, da kommt es auf die Art der Zerstörung nicht an?

Ato Meiler: Natur versus Zerstörung, immer der gleiche unreflektierte Mist. Schauen Sie sich in der sogenannten Natur doch einmal um. Was sehen Sie? Stoffwechselprozesse, Verbrennnung, Zerfall. Selbst das Keimen und Heranwachsen eines Baumes ist doch bei nüchterner Betrachtung nichts anderes als die Verstoffwechselung höherwertiger Energieformen. Wenn Sie so wollen, gibt es nichts Natürlicheres als die Zerstörung. Die Natur - und ich würde diesen Begriff ohne Zögern bis ins Weltall ausdehnen - ist ein gigantischer Verdauungsprozeß.

SCHLUCKAUF: Na toll. Und wir Menschen mit unserer Industrie und unseren Kriegen sind so etwas wie kosmische Darmbakterien?

Ato Meiler: Es sieht ganz danach aus, nicht wahr. Jedenfalls sind die Bemühungen der Menschen, sich gegen die Natur zu stellen und damit auch gegen ihre eigene, ziemlich dünn gesät. Die meisten Leute sind einfach nur nicht in der Lage, dazu zu stehen. Sie konstruieren sich eine nette, schöpferische Natur zurecht. Und wundern sich dann, wenn diejenigen, die diesen Selbstbetrug nicht nötig haben, weltweit das Ruder in der Hand halten. Also Leute wie Sie, Herr Schluck, oder wie auch immer -

SCHLUCKAUF: Herr Meiler, ich unterbreche Ihren Exkurs ins Kosmisch-Grundsätzliche nur ungern, aber kommen wir doch auf eine konkrete Frage zurück. Trotz erheblicher Widerstände in der Bevölkerung gegen ein atomares Endlager Gorleben ist die Enteignung einiger dortiger Anlieger in greifbare Nähe gerückt. Wird die europäische Atompolitik notfalls mit Gewalt gegen den kernkraftkritischen Bürger durchgesetzt?

Ato Meiler: Wie ich schon sagte, dieser Bürger steht im Grunde auf derselben Seite wie wir. Nur kann er sich nicht dazu durchringen, es sich einzugestehen. Daher ist es unsere Aufgabe, ihm zu ermöglichen, guten Gewissens unsere Entscheidungen mitzutragen. Konkret heißt das, der Bürger protestiert. Woraufhin wir scheinbar gewaltsam mit Hilfe sehr gut geschulter Einsatzkräfte intervenieren. Auf diese Weise helfen wir dem Bürger aus seinem Dilemma. Er hat sich widersetzt, wurde von bösen Polizisten niedergerungen und kann sich beruhigt dem zuwenden, was doch unser aller stilles Bedürfnis ist: Uns ein dickes Stück vom Kuchen abzuschneiden und es zufrieden in uns hineinzumampfen. Zerstörung pur, wenn Sie so wollen, hö hö.

SCHLUCKAUF: Herr Meiler, ich bin sicher, der deutsche Atomkraftgegner ist Ihnen dankbar für Ihr einfühlsames Engagement. Ich für mein Teil danke Ihnen für dieses aufschlußreiche Gespräch und wünsche Ihnen weiterhin jede Menge Mißerfolg!

2. Dezember 2010