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SCHLUCKAUF/0112: Rebellenmode und Moderebellen - Nachtisch & Satire (SB)


Rebellenmode und Moderebellen

(übersetzt aus dem Arabischen)



Was tut der im ganzen Orient erfolgreiche saudische Mode-Designer Ibn Al Machschick inkognito in der norddeutschen Kleinstadt Jever? Ein wachsamer SCHLUCKAUF-Redakteur hatte ihn dort ausgemacht, obwohl er sich offenbar mit einer friesischen Trachtenweste über dem Gewand zu tarnen versuchte. Unser Redakteur konnte den medienscheuen Mode-Emir durch die Zusicherung, ihn mit Vertretern der Friesischen Autonomiebewegung bekannt zu machen, zu einem Exklusiv-Interview überreden.

SCHLUCKAUF: Herr Machschick, was tun Sie hier in Friesland? Sie sehen nicht nach einem Urlauber aus.

IBN AL MACHSCHICK: Nein, ich bin aus geschäftlichen Gründen hier oder besser aus politischen. Aus geschäftspolitischen Gründen, um genau zu sein. Ich möchte die Friesische Autonomiebewegung mit meinem nicht unerheblichen Kapital unterstützen, damit sie den Kampf für ein freies Friesland auf allen Ebenen wieder aufnehmen kann.

SCHLUCKAUF: Gibt es in Ihrem eigenen Land mit etwa 30% Nomanden nicht genug ethnische Minderheiten, für deren Interessen Sie sich einsetzen könnten?

IBN AL MACHSCHICK: Darum geht es nicht. Sie vergessen den geschäftlichen Aspekt meines Engagements, den ich eben erwähnte. Wie Sie wissen, ist Mode, also Bekleidung, mein Betätigungsfeld.

SCHLUCKAUF: Was hat denn die Wiederbelebung der friesischen Autonomiebewegung mit Mode zu tun?

IBN AL MACHSCHICK: Sehr viel. Die Popularität einiger der langlebigsten textilen Modeartikel westlicher Industrieländer leitet sich direkt oder indirekt aus dem politischen Widerstand her. Nehmen Sie die Blue Jeans. Es gab sie, lange bevor US-amerikanische Cowboys und Goldgräber sie trugen. Aber erst mit Beginn der Arbeiterbewegung in den USA begann ihr eigentlicher Siegeszug. Oder die Krawatte, deren Vorläufer, ein rotes Halstuch, um 1850 in den deutschen Gebieten von Revolutionären getragen wurde. Auch das Palästinensertuch, dessen modische Variante heute selbst in Hollywood von Colin Farell oder Mischa Barton getragen wird, stammt bekanntlich aus dem politischen Widerstand.

SCHLUCKAUF: Ja, gut, aber weshalb wollen Sie die Friesen -

IBN AL MACHSCHICK: Ist Ihnen bei meiner Aufzählung eben nichts aufgefallen? Sicher nicht. Aber die von mir erwähnten Kleidungsstücke, ob Blue Jeans, Krawatte oder Kufiya, Entschuldigung, Palituch, sind für Menschen mit, ich sage mal, orientalischem Bekleidungsstil, nicht geeignet. Blue Jeans und Krawatte sind mit unseren weiten Gewändern nicht kompatibel und die als Palituch bezeichnete Kopfbedeckung ist bei uns ohnehin nichts besonderes. Ich will es einmal etwas übertrieben ausdrücken: Der Orient schreit nach einem tragbaren Kleidungsstück mit dem Nimbus der Rebellion.

SCHLUCKAUF: Jetzt verstehe ich. Dann ist die Friesenweste, die Sie tragen, keine Tarnung, sondern gewissermaßen der Prototyp Ihres neuen Revoluzzer-Modells?

IBN AL MACHSCHICK: So einfach ist das nicht. Für den Nimbus, für den widerständigen Hintergrund, für den Geruch der Rebellion in den schwarzen Baumwollfasern muß erst noch gesorgt werden. Deshalb bin ich hier in Friesland. Zwar sind die Friesen in Deutschland eine offiziell anerkannte ethnische Minderheit, aber ihre Sprache und ihre Kultur sind dem Vergessen anheimgestellt. Da kann ich einhaken und den Traum von einem eigenen Staat zu neuem Leben erwecken.

SCHLUCKAUF: Und all der Aufwand nur, um ein Kleidungsstück populär zu machen?

IBN AL MACHSCHICK: Wieso "nur"? Schon allein der Blue-Jeans-Hersteller Levi Strauss beschäftigt über 10.000 Mitarbeiter. Befreiungskämpfe kommen und gehen, ihre Mode aber bleibt mitunter hunderte von Jahren bestehen.

SCHLUCKAUF: Wie wollen Sie denn überhaupt in Ihrem Land das Augenmerk der Bürger auf den friesischen Befreiungskampf richten?

IBN AL MACHSCHICK: Das läuft über die Universitäten. Überall auf der Welt gibt es unter jungen Akademikern eine Art Wohlstands-Rebellentum. Junge Leute wollen politisch aktiv sein, sich aber im eigenen Land nicht die Karrierechancen verderben. Also unterstützen Sie irgendwo im Ausland eine Widerstandsorganisation. An der Universität Rijad gibt es bereits ein Aktionskomitee "Freies Friesland". Drei Angehörige dieser Gruppe habe ich mit hierher genommen. Sie erkunden gerade vor Ort das Ausmaß der Unterdrückung friesischer Lebensart im deutschen Alltag.

SCHLUCKAUF: Fürchten Sie denn gar nicht, von den Deutschen angefeindet zu werden, weil Sie sie als Unterdrücker der Friesen hinstellen?

IBN AL MACHSCHICK: Ach was, auch hierzulande ist es gang und gäbe, daß Studenten sich mit Minderheiten in anderen Ländern solidarisieren, daß sie in den Semesterferien dorthin fahren, deren Eßgewohnheiten nachahmen, sich in sie verlieben. Warum sollten unsere jungen Leute hier nicht dasselbe dürfen?

SCHLUCKAUF: Wie Sie es beschreiben, ist das regelrechter Polit-Kolonialismus.

IBN AL MACHSCHICK: Das ist Menschenkenntnis. In der Modebranche unverzichtbar, wenn man erfolgreich sein will. Sicherlich wird es in zehn oder fünfzehn Jahren Usus sein, daß Widerstandsbewegungen von Weltkonzernen gesponsert werden wie heute Olympiasportler. Ich habe nur die Ehre, einer der Wegbereiter zu sein.

SCHLUCKAUF: Glauben Sie nicht, daß jemand sich ausschließlich aus dem Grund, notleidenden Menschen helfen zu wollen, in ein anderes Land aufmacht?

IBN AL MACHSCHICK: Doch, auf jeden Fall. Aber wenn es ihm wirklich ernst damit ist, kommt er niemals dort an.

SCHLUCKAUF: Herr Machschick, vielen Dank für das offene und aufschlußreiche Gespräch.

IBN AL MACHSCHICK: Ma'as-salama oder, wie sagt der Friese, oant sjen!

3. September 2012